Spiegelkabinett:"Manche muss man rausholen, weil sie sich verlaufen"

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Das Spiegelkabinett ist ein Klassiker - manche Besucher schaffen es nur mit Anleitung wieder raus. (Foto: SZ Grafik/ Dalila Keller)

Kleiner, größer, dicker, dünner, auf dem Kopf und seitenverkehrt: Im Spiegellabyrinth hat der Oktoberfest-Besucher viel zu lachen. Aber wie funktioniert es?

Von Ingrid Hügenell

Einst waren sie die große Attraktion, dann aus der Mode, jetzt sind sie wieder in: Spiegelkabinette. Inzwischen sind sie Teile größerer Irrgärten, wie beim doppelstöckigen "Großen Irrgarten" von René Rasch, der heuer auf der Wiesn rechts vom Riesenrad zu finden ist. Darin gibt es allerlei Hindernisse, die man überwinden muss wie eine sich drehende Holzröhre oder ein Labyrinth aus Spiegeln. Zehn Minuten braucht man, wenn man schnell durch den Irrgarten läuft, 20, wenn man sich Zeit lässt. "Manche muss man rausholen, weil sie sich verlaufen", erzählt Rasch.

Im Spiegellabyrinth stehen normale, plane Spiegel. Doch auch etwa ein Dutzend Zerrspiegel sind im Irrgarten zu finden. Sie stammen aus dem 19. Jahrhundert, genau weiß Rasch es nicht. Wenn einer kaputt gehe, könne man ihn nicht ersetzen, sagt er bedauernd. Denn es handelt sich um Quecksilber-Spiegel, die aufwendig von Hand auf einem Schwenktisch hergestellt wurden.

Heute würden alle Spiegel maschinell hergestellt, das aber funktioniere für Zerrspiegel nicht, erklärt der Schausteller. Denn die sind gewölbt, nach hinten, nach vorne, seitlich, und das abwechselnd, damit die grotesken Verzerrungen zustande kommen, die dem Publikum so viel Spaß machen. "Die stehen davor und lachen sich kaputt", sagt Rasch. Über die Gesetze der Optik, die dahinter stehen, macht sich sicher niemand Gedanken.

Grundsätzlich gilt bei ebenen Spiegeln, wie sie im Labyrinth Verwendung finden: Jeder auftreffende Lichtstrahl verlässt den Spiegel im selben Winkel, in dem er aufgetroffen ist. Das ist das Reflexionsgesetz - Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel, Alpha = Alpha'. Das Bild im Spiegel ist ebenso groß wie der Gegenstand oder der Mensch davor, erscheint aber spiegelverkehrt. Wer vor dem Spiegel mit der rechten Hand winkt, dem winkt das Spiegelbild mit der linken zurück.

So weit, so einfach. Am gewölbten Spiegel wird es komplizierter, weil sich die Strahlen schneiden, und es kommen ein paar Begriffe dazu, etwa der Scheitelpunkt S. So bezeichnet man die Mitte der spiegelnden Fläche. Es gibt auch einen Mittelpunkt des Kreises, aus dem man sich den Wölbspiegel herausgeschnitten denken kann, der trägt den Buchstaben M. Die Gerade, die (gedacht) senkrecht aus dem Scheitelpunkt tritt, heißt optische Achse. Alle Lichtstrahlen, die parallel zu dieser Achse verlaufen, nennt man Parallelstrahlen - Physik kann recht logisch sein. Die Parallelstrahlen werden vom gewölbten Spiegel so reflektiert, dass sie sich in einem Punkt schneiden. Das ist der Brennpunkt F (für Fokus), er liegt auf der optischen Achse. Der Abstand des Brennpunkts zum Scheitelpunkt heißt Brennweite f.

Nach außen gewölbte, sogenannte Konvexspiegel, zeigen das Bild aufrecht und verkleinert. Beim Hohl- oder Konkavspiegel, der nach innen gewölbt ist, kommt es darauf an, in welcher Entfernung zum Spiegel sich der Gegenstand - oder der Mensch im Spiegelkabinett - befindet. Wer innerhalb der Brennweite steht, erscheint vergrößert, aufrecht und seitenvertauscht. Wer weiter weg steht, also außerhalb der Brennweite, der erscheint im Spiegel umgekehrt und seitenvertauscht. Steht er weiter entfernt als der Mittelpunkt M, ist das Bild kleiner, steht er zwischen Mittelpunkt und Brennpunkt, wird es größer.

Die Spiegel der Kabinette sind vielfach gewellt, Konvex- und Konkavflächen wechseln sich ab. So entstehen die Effekte, die manche Teile des Körpers kurz und dick, andere dagegen lang und dünn zeigen. René Rasch ist sein Leben lang mit dem Großen Irrgarten unterwegs, er gehörte erst seinem Vater und nun ihm. Das Oktoberfest ist etwas ganz Besonderes für ihn, nicht nur, weil er das Publikum dort sehr schätzt. Er wurde 1960 während der Wiesn geboren und feiert jedes Jahr auf dem Oktoberfest Geburtstag.

In der Serie "Die Physik der Wiesn" analysiert die SZ in loser Folge verschiedene Bestandteile des Oktoberfests nach naturwissenschaftlichen Kriterien.

Gute Wiesn-Gschichten bleiben gut. Dieser Text wurde zuerst am 03. Oktober 2018 veröffentlicht.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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