Süddeutsche Zeitung

Special Olympics 2012:Alle inklusive

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Die Special Olympics in München sind ein Sportfest mit Botschaft: Menschen mit geistiger Behinderung brauchen mehr gesellschaftliche Teilhabe. In vielen Vereinen ist zwar Wille zur Zusammenarbeit mit Behinderten da, doch oft klappt die noch nicht - wie das Beispiel von André zeigt.

Anja Perkuhn

Um das Große im Kleinen zu verstehen, muss man die Geschichte von André kennen. André könnte auch Stefan sein oder Klara, das ist fast einerlei. André ist geistig behindert und er möchte Sport treiben, Basketball. Er hat Glück: In der betreuenden Wohneinrichtung, in der er lebt, gibt es ein Sportangebot. Sogar mit Unified-Mannschaften - also gemischten Teams, in denen Menschen mit geistiger Behinderung und Menschen ohne geistige Behinderung gemeinsam trainieren und spielen.

Sein Spielpartner dort, der Co-Trainer des Teams, nahm André irgendwann einfach in seinen Sportverein mit, in dem sonst kein Behinderter spielte. Das ging einige Jahre gut, auch wenn André kein einfacher Charakter war, aufbrausend, manchmal aggressiv. Dann verließ sein Spielpartner den Verein. Es dauerte keine drei Monate, bis André ebenfalls ging. Es funktionierte nicht mehr mit ihm im Team - denn es war niemand da, der ihn hätte leiten können.

"Bei der Inklusion in Vereinen stehen wir noch am Anfang", sagt Sven Albrecht. Albrecht kennt viele solcher Geschichten mit traurigem Ende, weil in vielen Vereinen zwar der Wille da ist zur Zusammenarbeit mit Behinderten, aber die Fähigkeiten fehlen. Er ist Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland (SOD), dem Sportverband für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. SOD richtet gerade in München die nationalen Special Olympics aus, bis Freitag werden sich 5000 Athleten in 19 verschiedenen Sportarten messen.

Dabei steht das Erlebnis im Vordergrund, nicht das Ergebnis: Es geht um den Effekt von Sport für Körper und Seele und die Gemeinschaft, die dadurch entstehen kann - auch zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen. In München treten sieben Unified-Mannschaften und -Staffeln an und wie schon bei den Spielen 2010 gibt es unter den freiwilligen Helfern solche mit geistiger Behinderung und solche ohne.

"Wir wollen die Menschen nicht nur integrieren"

Diese Plattform nutzt Sven Albrecht nun, um darauf hinzuweisen, dass die Inklusion außerhalb der großen, durchdeklinierten Special Olympics eben nicht immer funktioniert.

Inklusion, das ist ein Ansatz, der über den der Integration hinausgehen soll. Bei dem Gedanken, behinderte Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, geht man per Definition davon aus, dass diese Gruppe aus der Gesellschaft ausgegliedert ist und man ihr zurückhelfen muss. "Wir wollen die Menschen aber nicht nur integrieren, sondern die Strukturen der Gesellschaft so verändern, dass Partizipation möglich wird", sagt Albrecht. Dieser Gedanke ist nicht neu, der paralympische Sport fordert das bereits seit Jahren; Einzelne hätten gern, dass die Paralympischen Spiele in das Olympische Programm aufgenommen werden.

2009 schon hat der Deutsche Bundestag die UN-Konvention ratifiziert, die Inklusion von geistig und körperlich behinderten Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen verlangt. Der Sport ist da nur ein kleiner Teil, "aber Sport wird ja für viele gesellschaftliche Probleme als universelle Lösung hingestellt", sagt Albrecht, "und die Sportvereine stehen dann da und sagen: ,Inklusion Behinderter jetzt auch noch? Und wie soll das gehen?'"

Man müsse deshalb an der Basis ansetzen: beim Bewusstsein. Vielen Sportvereinen müsse man erst einmal vergegenwärtigen, dass Menschen mit geistiger Behinderung in ganz normalen Mannschaften aktiv sein können und auch wollen. "Ein Mensch mit geistiger Behinderung soll selbst entscheiden können, wann, wo und mit wem er Sport treibt", sagt Albrecht.

Aus dieser Einstellung heraus sind viele Projekte entstanden, wie zum Beispiel die "Fußballfreunde", die Kinder und Jugendliche mit und ohne Beeinträchtigung im Training zusammenbringen. Oder der Integrationssportverein Norderstedt, den die Norderstedter Werkstätten gründeten und in den sie nichtbehinderte Sportler herzlich einluden - inzwischen gibt es dort 35 Mannschaften. Oder die Unified-Mannschaften der Bruckberger Heime, an deren Training regelmäßig Schüler und Schülerinnen einer örtlichen Realschule teilnehmen.

"Wir machen da kleine Schritte", sagt Michael Newton, Sportkoordinator beim FC Bruckberg und des deutschen Unified-Basketballteams. "In der Breite ist das Prinzip schon bekannter geworden, wir steuern das gezielte Miteinander im Sport schon recht gut. Wenn man das gesamte Bild nimmt, sind wir aber noch weit entfernt von den Uno-Konventionen zur Inklusion."

Der entsprechende Aktionsplan der Bundesregierung, der die Umsetzung der UN-Konventionen formuliert, geht vielen nicht weit genug. Sven Albrecht sagt: "Man muss auch den Breitensport fördern und sich nicht nur am Leistungssport orientieren. Es ist zum Beispiel nicht geklärt, welche Bedeutung der Sport in Wohngruppen oder am Arbeitsplatz spielen kann - es gibt ja nicht nur Sportvereine und Behindertensportvereine." Man muss an diesen Orten auch die Voraussetzungen schaffen, indem man die Vereine, die Trainer dafür schult - pädagogisch und menschlich.

"Bisher sind es nur kleine Zellen, in denen das vorbildlich funktioniert", sagt Albrecht. "Es ist noch lange nicht der Zeitpunkt gekommen, an dem man sich zurücklehnen könnte."

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Quelle:
SZ vom 22.05.2012
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