Süddeutsche Zeitung

Kritik an Schulbesuchen:Verfassungsschützer im Klassenzimmer

An Münchens Schulen ist der Verfassungsschutz unterwegs, um Jugendlichen von Erfahrungen mit Rechtsextremen zu berichten - sehr zum Missfallen von Grünen und SPD. Sie kritisieren die Besuche. Informationen des Verfassungsschutzes kämen "manchmal auf zweifelhafte Art und Weise zusammen".

Von Dominik Hutter

An Münchens Schulen ist der Verfassungsschutz unterwegs - sehr zum Missfallen von SPD und Grünen, die den Inlandsnachrichtendienst dafür nicht als legitimiert ansehen. Derartige Aktivitäten bitte man, künftig zu unterlassen, befanden Abgeordnete der beiden Oppositionsparteien unlängst nach einer Diskussion im Innenausschuss des Landtags. Ein Minderheitsvotum, das wohl ohne Folgen bleiben wird.

Denn die Vertreter der Regierungskoalition haben kein Problem damit, dass die Behörde in Schulen über politischen Extremismus aufklärt. "Es gehört zu den zentralen Aufgaben des Verfassungsschutzes, über die Gefahren des Extremismus zu informieren und davor zu warnen", erklärt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). "Daher kann ich nicht erkennen, was an der wichtigen Aufklärungs- und Präventionsarbeit kritikwürdig sein soll."

Bei der Debatte geht es um die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (Bige), deren Mitarbeiter Beamte des Verfassungsschutzes oder des Polizeivollzugsdienstes sind. Seit ihrer Gründung 2009 hat die Bige nach eigener Auskunft 24-mal an Münchner Schulen Vorträge und Workshops zum Thema Extremismus organisiert, bayernweit waren es 250 Veranstaltungen. Sie richten sich sowohl an Schüler als auch an Eltern oder Lehrer.

Die Bige kommt laut ihrer stellvertretenden Leiterin Doris Tschauner stets nur auf Anfrage vorbei. In den auf Zielgruppe und Altersstufe zugeschnittenen Infostunden gehe es unter anderem um die Strukturen des Rechtsextremismus, seine Kennzeichen und Symbole sowie die Strategien zum Anwerben von Jugendlichen. "Teilweise berichten auch Aussteiger aus der rechtsextremistischen Szene, die im staatlichen Aussteigerprogramm betreut wurden, von ihren Erfahrungen", erklärt Tschauner. Die Referenten stellten die Bige als Dienststelle des Innenministeriums vor und gäben sich als Mitarbeiter von Polizei oder Verfassungsschutz zu erkennen.

"Ist das wirklich die Aufgabe eines Geheimdienstes?", fragt sich hingegen Susanna Tausendfreund. Der grünen Landtagsabgeordneten ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass sich eine Organisation, die mit V-Leuten aus der Szene arbeitet, vertrauensvoll an Jugendliche wendet. Immerhin kämen die Infos, die dem Verfassungsschutz vorliegen, "manchmal auf zweifelhafte Art und Weise zusammen". Es müsse sichergestellt sein, dass der Verfassungsschutz nicht etwa der Verlockung nachgebe, aussteigewillige Rechtsextremisten als V-Leute zu rekrutieren.

"Sehr unterschiedliche Aussagen über die Qualität"

Auch Gülseren Demirel, die Fraktionschefin der Grünen im Münchner Stadtrat, sieht einen Widerspruch zwischen der Vertrauensposition von Schülerberatern und den eigentlichen Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutz: der Strafverfolgung und dem Sammeln von Informationen. Die Stadtrats-Grünen haben inzwischen eine Anfrage ans Referat für Bildung und Sport gestellt, um mehr Details über die Aktivitäten der Bige zu erfahren. Die städtische Behörde weiß allerdings nach eigener Aussage fast nichts. Dafür seien die Schulen in eigener Verantwortung zuständig.

Demirel will unbedingt verhindern, dass "Parallelstrukturen" entstehen. Denn es gebe bereits ein gut funktionierendes Informationsangebot der Stadt, das durch die Bige nicht kannibalisiert werden dürfe. Zumal viele der Organisationen gegen rechts, mit denen die Stadt zusammenarbeite, Vorbehalte gegen eine Kooperation mit dem Verfassungsschutz hätten.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter hält für Aufklärungsarbeit an Schulen eher die Landeszentrale für politische Bildung geeignet. Es gebe "sehr unterschiedliche Aussagen über die Qualität" der Bige-Informationen. Tatsächlich handelt es sich nach Auskunft Tschauners bei den Bige-Mitarbeitern nicht um pädagogisches Fachpersonal, sondern um Beamte, die allerdings regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen teilnähmen.

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SZ vom 13.08.2013/dayk
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