Sozialdemokratie:Vor 150 Jahren wurde die Münchner SPD gegründet

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Das damals sogenannte Münchner Gemeindekollegium im Jahr 1900 im Neuen Rathaus - ganz links, am Vorstandstisch stehend, ist der SPD-Mann Georg Birk zu sehen. In dem Saal tagt der Stadtrat noch heute. (Foto: Privat)
  • Am 1. März 1869 gründete sich in der Maxvorstadt der Münchner Ableger des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, einem Vorläufer der heutigen SPD.
  • Vor allem die miserablen Bedingungen für Arbeiter waren es, die die SPD stark werden ließen.
  • Was Münchens Genossen damals umtrieb, ist teilweise noch immer aktuell.

Von Dominik Hutter

Die Nordendhalle gibt es nicht mehr. Sonst hätte die SPD wohl dorthin zur Geburtstagsfeier geladen - an die Ecke Luisen-/Theresienstraße in der Maxvorstadt, wo sich nach Recherchen von Stadtarchiv-Leiter Michael Stephan diese längst vergessene Veranstaltungshalle befand. Die Party zum 150-jährigen Bestehen der Münchner SPD findet nun in der Alten Kongresshalle auf der Theresienhöhe statt, die eine spätere Phase der Sozialdemokratie repräsentiert: die Ära Thomas Wimmer, mit der die lange Reihe der SPD-Oberbürgermeister in der Nachkriegszeit begann.

Erst Wimmer, dann Hans-Jochen Vogel, Georg Kronawitter, Christian Ude und nun Dieter Reiter. Nur unterbrochen durch die Regierungszeit von CSU-Mann Erich Kiesl. Darüber redet man in der SPD nicht so gern. Aber auch das ist Teil der sozialdemokratischen Geschichte: Dass sich die Sozialdemokraten in den 1970er-Jahren so heftig zofften, dass sie von den Münchnern in die Opposition geschickt wurden.

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Begonnen aber hat alles vor 150 Jahren in der Nordendhalle, wo am 1. März 1869 eine Veranstaltung angekündigt war, deren einziger Tagesordnungspunkt die "Besprechung der Arbeiterfrage" war. Tatsächlich handelte es sich um eine Gründungsversammlung - als die Besucher die Nordendhalle wieder verließen, gab es einen Münchner Ableger des seit 1863 bestehenden "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins". 70 Leute sollen gleich an diesem Tag beigetreten sein. Das war noch nicht die SPD. Aber einer ihrer Vorgängervereine. Einer, der ziemlich schnell wieder verboten wurde, weil die politischen Debatten in Vereinen der Obrigkeit suspekt waren. Als 1878 unter Otto von Bismarck die berühmt-berüchtigten Sozialistengesetze dazukamen, wurde die Situation für die Münchner Sozis noch schwieriger. Das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" galt bis 1890.

Was Münchens Genossen damals so umtrieb, ist teilweise noch immer aktuell. Andere Themen sind aus dem politischen Diskurs verschwunden. Das Wahlrecht für alle gibt es längst. Zu Zeiten des Nordendhallen-Treffens durfte dagegen nur ein Bruchteil der Bevölkerung über seine politische Vertretung abstimmen. Frauen waren von vornherein ausgeschlossen, sie mussten bis zur ersten Wahl in der Weimarer Republik 1919 warten.

Die Sozialdemokraten forderten damals eine "gebührenfreie Verleihung des Bürgerrechts nach einjährigem Aufenthalt", schreibt der SPD-Lokalpolitiker Hermann Wilhelm in seinem Beitrag zum 1994 erschienen Buch "100 Jahre SPD im Münchner Rathaus". Außerdem müsse es öffentliche Lesehallen und Volksbibliotheken geben, und zu Konzerten und Theateraufführungen sollten die weniger Reichen ermäßigten Eintritt erhalten. Apropos weniger Reiche: Wie das Leben damals in Herbergshäuschen und "Zinskasernen", etwa in Haidhausen, ablief, hat mit der heutigen Situation in den aufgehübschten Altbaustraßen nichts mehr zu tun. Man hauste zu zehnt auf weniger als zwanzig Quadratmetern, und viele konnten sich überhaupt nur eine Bettstelle für wenige Stunden leisten.

Schon damals beschäftigte die SPD das Wohnungsproblem

Diese Situation und die miserablen Bedingungen für Arbeiter waren es, die die SPD stark werden ließen. 1893 zog mit dem Gastwirt Georg Birk erstmals ein Sozialdemokrat ins Rathaus ein - sein Wirtshaus in der Baaderstraße hatte in Zeiten des SPD-Verbots als konspirativer Treffpunkt gedient. Schon damals beschäftigte die SPD das Wohnungsproblem - München wuchs enorm, es wurde gebaut wie wild, und trotzdem gab es zu wenig Wohnraum. Weitere Forderungen waren die nach einer Eindämmung der Bodenpreise (eine Debatte, die gerade wieder sehr aktuell geworden ist) und die nach einer Kommunalisierung der Grundversorgung - wobei damals nicht nur städtische Verkehrsbetriebe, sondern auch gemeindliche Metzgereien und Bäckereien, Volksküchen und Wärmehallen auf der Wunschliste standen.

Ein typischer Herbergsbau in Haidhausen. (Foto: Münchner Stadtarchiv)

Den Aufstieg der Nationalsozialisten bekam die Münchner SPD früh zu spüren. 1923, beim Hitlerputsch, wurden Bürgermeister Eduard Schmid und diverse SPD-Rathauspolitiker entführt, misshandelt und erst freigelassen, als klar wurde, dass der Staatsstreich misslungen war. Nazis überfielen die Zentrale der SPD-Zeitung Münchner Post und zerstörten die Druckmaschinen. 1933 dann wurde die SPD verboten, es kam zu einer Verhaftungswelle und zahlreiche Münchner Sozialdemokraten kamen ins Konzentrationslager Dachau. Auch Thomas Wimmer war darunter, der "Wimmer Damerl", der nach dem Krieg als Oberbürgermeister Münchens Geschicke bis 1960 bestimmen sollte. Der gelernte Schreiner zählt heute zu den legendären Figuren der Münchner SPD. Noch immer gibt es regelmäßig Aktionen, die Ramadama heißen. Auch wenn heute nicht mehr Kriegsschutt, sondern Müll weggeräumt wird.

Ob Hans-Jochen Vogel zur Jubiläumsfeier in der Alten Kongresshalle kommen kann, ist unklar. Wenn es seine Gesundheit zulässt, nimmt der Wimmer-Nachfolger im Chefbüro des Rathauses (Amtszeit von 1960 bis 1972) aber noch immer an SPD-Veranstaltungen teil. Mit seinem Namen sind moderne Großsiedlungen, der Bau von U- und S-Bahn, die Fußgängerzone und natürlich die Olympischen Sommerspiele von 1972 verbunden. Der 2016 verstorbene Georg Kronawitter ist der einzige SPD-Nachkriegs-OB, in dessen Amtszeit eine Pause lag: Er regierte von 1972 bis 1978 und dann wieder von 1984 bis 1993. Dazwischen lag die Ära Kiesl.

Kronawitter traute sich als erster Münchner Sozialdemokrat, mit den Grünen eine Koalition einzugehen. Das Bündnis hielt von 1990 bis 2014 und umfasst damit auch die gesamte Amtszeit des Nächsten in der Münchner OB-Nachkriegsriege: Christian Ude. Der übrigens die SPD-Forderungen der Frühzeit beherzigte und dem damals vorhandenen Trend der Privatisierung kommunaler Einrichtungen widerstand. 2014 übernahm dann Dieter Reiter. Zu seinen Hauptthemen gehört, ganz wie vor 150 Jahren: das Wohnen.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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