Süddeutsche Zeitung

Spätes WM-Finale:Warum Vorschlafen wenig bringt

Beim Halbfinale Niederlande gegen Argentinien konnten viele Zuschauer die Augen kaum mehr aufhalten. Am Sonntag, wenn Deutschland Weltmeister werden kann, wird es wieder spät. Bringt vorschlafen etwas? Biologe Till Roenneberg erforscht die innere Uhr des Menschen.

Von Sebastian Gubernator

Sonntag, 21 Uhr: Anpfiff in Rio, Deutschland kann Weltmeister werden. Damit sie am nächsten Morgen fit sind, versuchen manche Fans, vorzuschlafen. Und Eltern schicken ihre Kinder vorher ins Bett, um sie zum Anpfiff wieder aufzuwecken. Bringt das was? Die SZ hat den Biologen Till Roenneberg gefragt, der an der LMU München die innere Uhr des Menschen erforscht.

Herr Roenneberg, ist es sinnvoll, vor späten WM-Spielen vorzuschlafen?

Sinnvoll schon, nur ist es streng genommen kein Vorschlafen. Schlaf ist wie ein Kreditkonto, auf dem man kein Guthaben anhäufen kann. Man kann es entweder auf Null setzen, indem man ausreichend schläft, oder neue Schulden anhäufen, indem man zu wenig schläft. In unserer modernen Gesellschaft haben wir alle Schlafschulden. Wenn wir "vorschlafen", häufen wir kein Guthaben an, sondern reduzieren nur den Schuldenberg - eigentlich müsste man also von "nachschlafen" oder "indirekt vorschlafen" sprechen.

Es bringt also nichts, wenn man am Samstagabend früh ins Bett geht, um für das Finale am Sonntag fit zu sein?

Ob man einschlafen kann oder nicht, hängt von zwei Faktoren ab: dem Schlafdruck und der inneren Uhr. Wenn wir lange wach waren, ist der Schlafdruck hoch und wir sind müde. Die innere Uhr ist etwas komplizierter: Bei den meisten Menschen hat sie heutzutage Verspätung, weil wir tagsüber zu wenig und abends zu viel Licht abbekommen. Deshalb schlafen die Menschen spät ein, müssen morgens aber früh zur Arbeit - ein Grund, weshalb sich mehr als 80 Prozent der Menschen einen Wecker stellen müssen. Wenn wir nach den Vorgaben unserer inneren Uhr schlafen könnten, also ohne Wecker aufwachen dürften, dann hätten wir keine Schlafschulden. Wenn man im Vorfeld einer langen Nacht am Abend davor früher ins Bett geht als sonst, kommt einem eventuell die eigene innere Uhr dazwischen, die die Physiologie abends noch einmal hochschraubt, sodass man nicht einschlafen kann. Versucht man, noch früher einzuschlafen, wacht man oft in der Nacht auf und kann dann länger nicht einschlafen. Es gab mal einen schönen Versuch von Tom Wehr, der Menschen in ihrem eigenen Apartment hat leben lassen - und ihnen von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang kein Licht erlaubte. Sie berichteten, dass sie vor diesem Versuch keine Ahnung hatten, was richtig ausgeschlafen bedeutet.

Wie übersteht man das Finale am besten?

Wir können Schlaf sehr gut nachholen. Die meisten Menschen müssen am Montag nach dem Spiel früh raus. Sie können aber abends früh ins Bett - und relativ gut einschlafen, weil sie ein großes Schlafdefizit haben. So funktionieren übrigens auch Nachmittagsschläfe: Wer nachmittags schläft, hat ein Schlafnachholbedürfnis und baut seinen Schuldenberg ab, kann dann aber eventuell abends erst später einschlafen.

Wie kann man einschlafen, auch wenn man nach einem Spiel aufgedreht ist?

Da kann man wenig tun. Allgemein gilt: Wir können besser schlafen, wenn die Körperkerntemperatur sinkt, das Gehirn und andere Organe kälter werden. Es gibt den Trick, abends die Arme und Beine kalt abzuduschen, um die Körperkerntemperatur zu senken und sich auf den Schlaf vorzubereiten. Das sollte man aber nur tun, wenn man keine Herz- oder Kreislaufprobleme hat. Und es hilft nicht, wenn die eigene Mannschaft in einem WM-Spiel 7 : 1 gewonnen hat - das ist dann ein mentales Problem, das einen vom Schlafen abhält.

Wie sieht denn ein vollkommen gesundes Schlafverhalten aus?

Gesundes Schlafverhalten fängt mit gesundem Lichtverhalten an. Wir brauchen vor allem vormittags viel Licht, abends so wenig Licht wie möglich - dann ist der Körper relativ früh bereit zu schlafen. Außerdem sollte man in einem Raum schlafen, in dem es keine Gegenstände gibt, die nichts mit dem Schlaf zu tun haben - vor allem keine Bildschirmgeräte, auch keine Handys oder Tablets. Aber das ist natürlich theoretisch - in der Praxis macht das niemand.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2014/amm
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