Späterer Unterrichtsbeginn:Lernen für Langschläfer

Neue Grundschul-Lehrpläne

Ein späterer Schulbeginn passt besser zum Rhythmus der Kinder und Jugendlichen.

(Foto: Frank Leonhardt/dpa)
  • Ein späterer Schulbeginn entzerrt die Fahrt zur Schule und sorgt für entspanntere Schüler.
  • Die Schulleiter können selbst bestimmen, wann der Unterricht starten soll - an den meisten Schulen beginnt er allerdings nach wie vor um acht Uhr.
  • Der BLLV will einen grundsätzlich späteren Schulbeginn erproben - das würde vielen Schülern entgegenkommen.

Von Matthias Kohlmaier und Melanie Staudinger

Manchmal kommt die Revolution in kleinen Schritten. Das Gymnasium Trudering hat einen ersten Schritt gewagt: Hier beginnt der Unterricht morgens etwas später, nicht schon um acht, sondern erst um 8.15 Uhr. Mit pädagogischen Gründen allerdings hat das wenig zu tun, eher mit organisatorischen. Das Beispiel zeigt, was 15 Minuten bei der Arbeit von Verkehrsplanern der Münchner Verkehrsgesellschaft ausmachen. Diese Viertelstunde bewirkt, dass die MVG keine zusätzlichen Busse einsetzen muss, weil sich Schüler und Pendler auf mehrere Fahrzeuge verteilen - und sich nicht gleichzeitig in dieselben Busse drängeln.

Die Folge: mehr Platz, eine entspanntere Fahrt und keine unnötigen Kosten für die MVG. Der spätere Schulbeginn in Trudering zeigt aber auch, dass die Entscheidung aus reinen Sachzwängen gefallen ist. Dass man Kindern und Jugendlichen mit einem späteren Schulbeginn entgegenkommen würde, weil der ihrer inneren Uhr besser entsprechen würde, damit hat das Münchner Modell nichts zu tun.

BLLV will späteren Schulbeginn erproben

Wenn es allerdings nach dem Bayerischen Lehrerverband (BLLV) ginge, gäbe es sie bald, diese Schulen, deren Unterricht erst um neun Uhr anfängt. Zumindest will die neue BLLV-Vorsitzende Simone Fleischmann einen späteren Beginn erproben. Vor allem für Jugendliche und deren Biorhythmus, so argumentiert die Pädagogin und beruft sich dabei auf Studien, wäre das günstiger. Auch Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) brachte ein ähnliches Modell ins Gespräch. Viele Familien wünschten sich die Entschleunigung am Morgen, erklärte sie unlängst. Und löste damit kontroverse Diskussionen aus, wie immer, wenn das Thema angeschnitten wird.

Gegen einen gelasseneren Morgen hätte Susanne Arndt von der Landeselternvereinigung Bayern sicher nichts einzuwenden. Gegen einen späteren Schulbeginn ist sie trotzdem. "Er passt einfach nicht in unsere derzeitige Lebens- und Arbeitsrealität", sagt sie. Viele Eltern müssten ihren Job weit vor neun Uhr antreten, ihre Kinder wären ohne Aufsicht. Vom BLLV-Vorschlag, in der Früh eine qualitativ hochwertige Betreuung anzubieten, hält Arndt ebenfalls wenig: "Dann werden die Kinder in der Früh bis neun nur beaufsichtigt und müssen dafür dann nachmittags eine Stunde länger bleiben." Lösbar wäre ein solches Problem nur mit der Ganztagsschule - doch bei deren Ausbau hinkt Bayern trotz aller Anstrengung noch immer hinterher.

Till Roenneberg versteht die Abwehrhaltung der Landeselternvereinigung nicht. Der Chronobiologe ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und beschäftigt sich dort mit dem Biorhythmus von Menschen. Ein späterer Schulbeginn sei vor allem für ältere Schüler etwa von 16 Jahren an nötig. Jüngere Kinder könnten aus Sicht des Experten ruhig früher mit dem Lernen beginnen. Ihre innere Uhr sei früher dran, sie seien also im Durchschnitt frühmorgens wach. Von etwa 14 Jahren an aber wird es kritisch, weil sich die innere Uhr nach hinten verschiebt. 19-Jährige etwa müssten teilweise während ihrer inneren Mitternacht am Unterricht teilnehmen. Die Folge: Die Schüler sind müde, können sich nicht richtig konzentrieren und erzielen daher auch schlechtere Leistungen.

Eine echte Diskriminierung

Simone Fleischmann

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, will einen späteren Schulbeginn per Modellversuch erproben.

(Foto: dpa)

"Der Schulbeginn um acht Uhr stellt eine echte Diskriminierung dar", sagt Roenneberg. Wer ein Früh- und wer ein Spättyp ist, das lasse sich nicht beeinflussen, sondern ist biologisch verankert. Ein Teil der Schüler erziele quasi unschuldig bei Klausuren schlechtere Noten. "Überspitzt gesagt, entscheidet sich dadurch, ob jemand nach dem Abitur Medizin studieren kann oder nicht", sagt Roenneberg. Seine Empfehlung: Wenn der Unterricht schon nicht später startet, sollte in der Früh wenigstens Bewegung an der frischen Luft auf dem Stundenplan stehen. Prüfungen hingegen gehören erst nach elf Uhr angesetzt, damit möglichst viele gleiche Ausgangsbedingungen haben. Soweit zur wissenschaftlichen Forschung.

Das bayerische Kultusministerium sieht im späteren Unterrichtsbeginn kein grundsätzliches Problem, will den Vorstoß des BLLV allerdings auch nicht offen unterstützen. "Die rechtlichen Regelungen geben den Schulen einen Spielraum, den sie nutzen können", sagt ein Sprecher. Das soll heißen: Laut Schulordnung bestimmen den Unterrichtsbeginn in Grund- und Mittelschulen die Schulleiter in Absprache mit dem Sachaufwandsträger - das sind in der Regel die Kommunen. Der Unterricht soll um acht Uhr starten, Abweichungen lässt das Regelwerk aber zu. Bei Realschulen und Gymnasien sieht es erst gar keine Empfehlung vor. In der Realität fange der Unterricht in den meisten Schulen zwischen 7.30 und 8.30 Uhr an. "Von späteren Zeitpunkten ist uns nichts bekannt", sagt der Sprecher. Er gibt aber zu bedenken, dass ein späterer Unterrichtsbeginn auch einen späteren Unterrichtsschluss zur Folge habe - hier müssten die Interessen von Lehrern, Schulleitung, Eltern und Schülern in jedem Einzelfall abgewogen werden.

Pendeln kostet Zeit

Der Zeitpunkt des Unterrichtsbeginns ist auch bei den Verkehrsbetrieben ein Thema. Viele Schüler aus München und Umgebung nehmen mittlerweile lange Wege auf sich, um zu ihrer Lieblingsschule zu gelangen. Alleine knapp 25 000 Mädchen und Jungen pendeln täglich von den Umland-Landkreisen in die Stadt München. Die weite Fahrt bedeutet für sie: Sie müssen noch früher aufstehen als ihre Altersgenossen, die eine wohnortnahe Schule besuchen. Manche schätzen die kleine Reise: In Bus und Bahn lassen sich Vokabeln schließlich gut wiederholen oder die vergessenen Hausaufgaben erledigen. Andere dagegen sind tagsüber müde.

Dass der Unterrichtsbeginn generell nach hinten verlegt wird, muss aus Sicht der Verkehrsbetriebe dennoch nicht sein, zumindest nicht in Großstädten wie München, wo die MVG täglich 50 zusätzliche Busse einsetzt, um den morgendlichen Andrang zu bewältigen. Hier würde, so bestätigt ein Sprecher, schon eine Staffelung helfen. Eine Zeitspanne von 30 bis 45 Minuten würde ausreichen - dann könnte ein Bus mehrere Schulen hintereinander ansteuern, ohne dass er zu voll wäre. Bei der Eröffnung neuer Bildungseinrichtungen stimme sich das Bildungsreferat daher bereits mit der MVG ab. Aktuell geht es etwa um die Fachoberschule Nordheide und das Gymnasium Nord.

Auf dem Land sind die Probleme geringer: Hier betreibt der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) die Busse. "Für uns hätte ein späterer Unterrichtsbeginn Vorteile, weil die Busse in der Früh schon sehr voll sind", sagt eine Sprecherin. Allerdings ginge das nicht von heute auf morgen: "Einen Vorlauf bräuchten wir schon."

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