Süddeutsche Zeitung

Sozialreferat:Wie die Stadt 178 Millionen Euro eintreiben will

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Von Sven Loerzer

Rund 178 Millionen Euro Erstattungsansprüche für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen über mehrere Jahre hinweg hatte das Stadtjugendamt bis zum 1. November 2015 nicht geltend gemacht. Diese Zahl nannte Sozialreferentin Brigitte Meier nun erstmals öffentlich im Sozialausschuss des Stadtrats. Inzwischen habe der Bezirk Oberbayern 37 Millionen Euro überwiesen, außerdem seien noch im vergangenen Jahr weitere 26,6 Millionen Euro überörtlichen Kostenträgern in Rechnung gestellt worden.

Wenn dieser Betrag bezahlt ist, belaufen sich die offenen Erstattungsansprüche nach Meiers Angaben auf 113,4 Millionen Euro. "Wir wollen bis Mitte des Jahres das Geld zurückholen", versicherte Brigitte Meier. Diese Frist hat ihr auch OB Dieter Reiter gesetzt, wie das Sozialreferat bereits zuvor in der Rathaus Umschau einräumte: In sechs Monaten soll das Referat gemeinsam mit dem Revisionsamt und der Stadtkämmerei "abschließend" berichten.

Die Forderungen verjähren bald

Denn spätestens Ende des Jahres verjähren die offenen Forderungen, wenn nicht sogar früher: "Problematisch ist das Jahr 2014 wegen der Fristen", sagte Bürgermeisterin Christine Strobl. Gerade in dem Jahr war die Zahl der jungen Flüchtlinge, die das Jugendamt in Obhut nehmen musste, erheblich angestiegen, sie hatte sich auf rund 2610 fast verfünffacht. Im letzten Jahr waren es sogar 5100 minderjährige Flüchtlinge. Trotz der Unsicherheiten wegen der Fristenregelung sagte Strobl, "ich denke, dass ein Großteil der Summe tatsächlich eingeht".

Brigitte Meier sprach von einer dramatischen Belastungssituation im vergangenen Jahr. Bis Ende Oktober habe das Jugendamt alle in seinem Einzugsbereich aufgegriffenen unbegleiteten Minderjährigen in Obhut nehmen müssen. Erst seit 1. November erfolge die bundesweite Verteilung, die auch die Abrechnung erleichtere.

Weil die Erstattungsansprüche aus den Jahren 2011 bis 2015 aber bis Ende 2016 verjähren und Jugendhilfeleistungen sogar bis 31. Juli 2016 angemeldet sein müssen, ist Eile geboten: Deshalb sind jetzt bereits 37 Mitarbeiter aus dem Jugendamt, den Sozialbürgerhäusern und dem Jobcenter ausschließlich damit beschäftigt, die etwa 10 000 Fälle zu sichten, Ansprüche anzumelden und zu liquidieren, zum Teil sogar samstags. Mindestens zehn weitere Kräfte aus anderen Referaten seien aber noch nötig, sagte Meier, weil das Sozialreferat an seine personellen Grenzen komme und natürlich andere Arbeit liegen bleibe.

Komplizierte Verwaltungsverfahren mit Tücken

Zufrieden zeigten sich die sozialpolitischen Sprecher der CSU, Marian Offman, und der SPD, Christian Müller, mit der Darstellung von Brigitte Meier, die in der nächsten Woche erneut für sechs Jahre zur Sozialreferentin gewählt werden soll. "Die Versäumnisse liegen dort, wo komplizierte Verwaltungsverfahren erfunden werden", richtete Müller den Blick nach Berlin. Allerdings sei es ein "Problem, wenn wir das Geld nicht reinholen, wir wollen es nicht kleinreden". Auch Jutta Koller (Grüne) betonte, "wir können bei diesen Summen nicht sagen, das ist uns egal".

Allerdings dürften auch nicht die Jugendhilfeträger, die im Auftrag des Jugendamtes sich um die jungen Flüchtlinge kümmern, auf ihren Kosten sitzenbleiben. Das aber sei bei vielen freien Trägern der Fall, erklärte Karin Majewski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. So warte ein Träger auf 1,3 Millionen Euro vom Jugendamt: "Das ist eine enorme Belastung, wenn solche Summen auflaufen." Meier räumte ein, dass es da seit Ende 2015 Probleme mit den Auszahlungen gebe wegen des Aktensturzes, die Auszahlungen hätten aber "oberste Priorität".

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SZ vom 22.01.2016
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