Süddeutsche Zeitung

Sozialreferat:Auf Kurssuche in der Flüchtlingsfrage

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Die Stadt könnte die Unterbringung von Asylbewerbern an den Staat abgeben - doch sie weiß noch nicht, ob sie das will

Von Thomas Anlauf

Die Fragen werden drängender, doch das Sozialreferat hüllt sich weiter in Schweigen. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung über neue Verträge zur Betreuung unbegleiteter jugendlicher Flüchtlinge fragen sich die Fraktionen im Stadtrat, weshalb die Politik nicht vor der Vertragsunterzeichnung gefragt worden ist. Nach CSU, SPD und Grünen forderten am Donnerstag auch die Fraktion Freiheitsrechte, Transparenz, Bürgerbeteiligung (FTB) und Alfa Aufklärung darüber, wie es zu dem Vertragsabschluss kommen konnte. In der Vereinbarung wird den freien Trägern, die Unterkünfte für junge Flüchtlinge betreiben, ein doppelt so hoher Personalschlüssel zur Betreuung zugesichert als zuvor. Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) lässt ausrichten, dass sie derzeit nicht Stellung nehme: Wegen der Verträge läuft eine Prüfung. "Vieles hängt am Prüfbericht der Innenrevision", sagte Schiwys Sprecher. Die sogenannte Ergänzungsvereinbarung, die der SZ vorliegt, unterzeichnete Markus Schön vom Stadtjugendamt am 31. Mai 2016. Damals leitete noch Brigitte Meier das Sozialreferat, zu dem das Jugendamt gehört.

Interessant ist aber nicht nur die Frage, warum der Stadtrat bislang nicht über die Vereinbarung informiert wurde. Denn sie könnte auch Teil einer neuen Strategie in der Münchner Flüchtlingspolitik sein, die derzeit im Sozialreferat intensiv diskutiert wird. Schließlich kommen seit Monaten immer weniger Flüchtlinge an. Seit April weist der Freistaat in Gestalt der Regierung von Oberbayern der Stadt grundsätzlich keine neuen Asylbewerber mehr zu. Die Regierung hatte erklärt, es bestehe bei der Unterbringung keine Notlage mehr, sie übernehme nun vorrangig wieder selbst die Versorgung der Flüchtlinge. Doch aus einem aktuellen Strategiepapier des Sozialreferats, das der SZ vorliegt, geht hervor, dass die von der Stadt betriebenen Unterkünfte, in denen Asylbewerber beherbergt werden, auch künftig in städtischer Hand bleiben könnten. Lediglich Flüchtlinge, die voraussichtlich kein Bleiberecht erhalten werden, sollen laut dem Papier vom 3. August in staatliche Einrichtungen wechseln.

Die derzeit im Führungskreis des Sozialreferats diskutierte Strategie widerspräche nicht nur dem Kurs der Regierung, die Flüchtlingsarbeit wieder ganz zu übernehmen. Auch in einem Schreiben der Referatsleitung vom 17. Juni hieß es noch, es gebe "keinen sachlichen Grund und keine Notwendigkeit mehr für die dezentrale Unterbringung" durch die Stadt. Die betroffenen Menschen sollten "in die originäre Zuständigkeit der Regierung wechseln und in staatlichen Unterkünften aufgenommen werden und die Unterkünfte an die Regierung abgegeben werden".

Bislang äußert sich das Sozialreferat zu dem Thema nicht, es fänden intensive Gespräche statt, heißt es lediglich. Offenbar auch mit der Bezirksregierung: "Auf Arbeitsebene befinden sich die Regierung von Oberbayern und die Landeshauptstadt dazu laufend im vertrauensvollen und konstruktiven Kontakt", teilt ein Regierungssprecher mit. Über Inhalte der Gespräche sagen beide Seiten nichts.

Die gegensätzlichen Aussagen im Sozialreferat innerhalb der vergangenen Wochen weisen darauf hin, dass es derzeit offenbar noch keine eindeutige Haltung dazu gibt, wie die Stadt künftig mit den Flüchtlingen umgehen soll. Im Stadtrat besteht nach Angaben mehrerer Politiker offenbar ein weitgehender Konsens darüber, dass Flüchtlinge, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in Deutschland bleiben können, auch von der Stadt untergebracht und betreut werden. Das wiederum wäre die Haltung im aktuellen Strategiepapier des Sozialreferats. Es sieht vor, dass Flüchtlinge mit hoher Bleibeperspektive - vor allem aus Syrien, Afghanistan und Irak - im Aufgabenbereich der Stadt bleiben sollen oder aus der staatlichen Unterbringung übernommen werden sollen. Derzeit wären das knapp 3400 Menschen. Die Experten im Sozialreferat versprechen sich davon wohl, dass Asylbewerber so früher betreut werden könnten. Denn in den Zuständigkeitsbereich der Stadt fallen sie ohnehin, wenn sie anerkannt sind. Bis Ende des Jahres soll das laut Prognosen bei 2000 bis 3000 Flüchtlingen der Fall sein.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2016
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