Soziales Klima in München:"Wohlstand ist etwas Zweischneidiges"

Alexander Dill untersucht in einem Projekt, wie es um das Miteinander in München bestellt ist. Warum im Hasenbergl wohl ein besseres soziales Klima herrscht als in Grünwald und warum Geld nicht Glück bedeutet.

Benjamin Krischke

Der Philosoph und Soziologe Alexander Dill, geboren 1959, erhebt in München den Sozialklimaindex. Mit einer Umfrage soll geklärt werden, wie positiv oder negativ die Bewohner das Miteinander in ihrem Stadtteil erleben: In dem Online-Fragebogen wird abgefragt, wie es um die Hilfsbereitschaft der Nachbarn bestellt ist oder wie sich das Vertrauen zu den Mitmenschen entwickelt. München ist die erste deutsche Stadt, in der dieses Projekt umgesetzt wird. Im Juli 2009 gründete Dill das Basel Institute of Commons and Economics, das die Studie durchführt.

Alexander Dill

Der Soziologe und Philosoph Alexander Dill will herausfinden, wie wohl sich die Münchener wirklich in ihrem Stadtteil fühlen.

(Foto: Finanzbuchverlag)

sueddeutsche.de: Herr Dill, was macht mich zu einem guten Nachbarn?

Alexander Dill: Ein guter Nachbar ist freundlich, bringt den anderen ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen und lädt seine Mitmenschen auch gerne einmal ein. Durch solche immateriellen Güter möchte er ein positives soziales Klima wahren.

sueddeutsche.de: Warum haben Sie sich für München entschieden, um Ihre Studie das erste Mal in Deutschland durchzuführen?

Dill: München steht in vielen Statistiken vorne, vor allem wenn es um den Wohlstand geht. Durch die Studie möchten wir herausfinden, ob sich das ändert, wenn wir das soziale Klima erheben. Ob München beim Sozialklima auch ganz weit vorne liegt?

sueddeutsche.de: Warum ist das soziale Klima denn überhaupt wichtig? Wenn man sich überlegt, in ein Stadtviertel zu ziehen, dann berücksichtigt man doch vor allem Faktoren wie Nähe zum Zentrum und zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und nicht, ob sich die Nachbarn alle gern haben.

Dill: Dass man sich an äußeren Kriterien orientiert, passiert jedem von uns. Irgendwann stellt man jedoch fest, dass man sich dort, wo man sich befindet, gar nicht wohlfühlt. Die Entscheidung irgendwo hinzuziehen ist deswegen irrational, weil man weniger an die subjektiven Folgen, aber mehr an die oberflächlichen Voraussetzungen denkt. Wir wollen, dass das Sozialklima einen genauso hohen Stellenwert bekommt wie das Konsum- und Geschäftsklima.

sueddeutsche.de: Wagen Sie eine Prognose, welcher Stadtteil in München besonders negativ abschneiden wird?

Dill: Also ein Ergebnis kann ich vorwegnehmen. Mit Sicherheit werden Grünwald, Nymphenburg und Bogenhausen, alles Bezirke mit einem überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf-Einkommen, nicht besser bewertet werden als Hasenbergl, Perlach oder Au.

sueddeutsche.de: Warum?

Dill: Viele Menschen leiden darunter, dass alles nur am Geld gemessen wird. Erfolg bedeutet für die meisten zu studieren und im Anschluss ein Jahresgehalt von 100.000 Euro zu verdienen. Doch so kann eine Gesellschaft nicht funktionieren.

"Was sind denn schon 4000 Euro?"

sueddeutsche.de: Heißt das, dass die freie Marktwirtschaft einen schlechten Einfluss auf das Wohlbefinden des Einzelnen hat, weil das soziale Klima leidet?

Dill: Mit Sicherheit. Es zeichnet sich ab, dass der sogenannte Wohlstand etwas Zweischneidiges ist. Was bedeutet Wohlstand in München bei diesen Mietpreisen und Sozialabgaben? Was ist ein Bruttoeinkommen von 4000 Euro in München schon wert? 4000 Euro klingt viel im ersten Moment, aber damit kommen sie hier als Familie gerade so durch.

sueddeutsche.de: Aber vom sozialen Klima kann man seine Kinder auch nicht satt ins Bett schicken.

Dill: Das kann man nicht gegeneinander ausspielen. Beispielsweise haben wir den Sozialklimaindex in Nepal beim Bergvolk der Chepang erhoben. Dort gelten Nahrungsmittel als Hauptgeschenk untereinander, nicht wie bei uns als Gut, dass wir finanziell erwerben müssen. Stellen Sie sich vor, die Uno würde den Menschen dort diese soziale Interaktion entreißen, dann würde das gesamte soziale Leben zusammenbrechen. Nahrungsmittel sind bei den Chepang Teil des Sozialklimas und kein Teil eines Wirtschaftssystems.

sueddeutsche.de: Wieviel soziale Nähe suchen die Deutschen denn überhaupt zu ihren Mitmenschen?

Dill: Das kann man nicht pauschalisieren. In der türkischen Kultur, um nur ein Beispiel zu nennen, ist der Zusammenhalt untereinander grundsätzlich größer. Nicht nur in der Familie, sondern auch unter Freunden und Nachbarn. Unter den Deutschen gibt es ganz unterschiedliche Biotope. Im privaten Raum gehen wir in entspannter Atmosphäre sehr nett miteinander um. Andererseits sind wir im öffentlichen Raum aggressiv, ungeduldig und unfreundlich.

sueddeutsche.de: Leidet der Zusammenhalt untereinander, wenn in einer Gegend die monetäre Basis besonders hoch ist?

Dill: Das ist eine interessante Fragestellung, aber für eine Antwort wissen wir noch zu wenig.

sueddeutsche.de: Aber die Möglichkeit besteht?

Dill: Auf jeden Fall. Es ist doch eine Krankheit zu glauben, dass alles Glück der Welt nur davon abhängt, ob man einen akademischen Titel inne hat. Es herrscht die Logik vor, dass Geld gleich Glück und Wohlstand bedeutet. Wenn das Sozialklima jedoch völlig unabhängig vom Pro-Kopf-Einkommen ist, wäre das eine interessante Erkenntnis, auf die weitere Schritte zum Beispiel in der Kommunalpolitik folgen müssen.

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