Süddeutsche Zeitung

Soziales Engagement in München:Weg mit Ellenbogenhausen

Das Leben in der ach so reichen Stadt können sich immer mehr Menschen nicht mehr leisten. Eigentlich Anlass genug für soziale Konflikte - doch die sind in München kaum wahrzunehmen: Weil es hier Tausende Bürger gibt, die sich nicht mit der Not anderer abfinden wollen.

Von Christian Krügel und Sven Loerzer

Eine Milliarde Euro. Darunter macht es München nicht. Wer eine Milliarde Euro als Vermögen zur Verfügung hat, der hat es in dieser Stadt wirklich geschafft. Der gehört zu den ganz großen Familien, zu den Quandts und Klattens. Eine Milliarde Euro - das ist aber auch in etwa die Summe, die die Stadt München jedes Jahr für Sozialleistungen ausgeben muss. Das Leben in der ach so reichen Stadt können sich immer mehr Menschen einfach nicht mehr leisten.

Fast jeder fünfte Münchner ist arm oder von Armut bedroht, wobei in der teuren Landeshauptstadt die Risikoschwelle dafür schon bei 1000 Euro angesetzt wird, die jemand monatlich zur Verfügung haben muss. Rund 260.000 Münchner leben an oder unter dieser Grenze, knapp 120.000 sind auf staatliche Unterstützung in irgendeiner Form angewiesen - dramatische Zahlen, da sich gleichzeitig der Reichtum immer mehr auf immer weniger konzentriert: Ein Fünftel der Münchner verfügt inzwischen über knapp die Hälfte des gesamten monatlichen Grundeinkommens.

Eigentlich Anlass genug für soziale Konflikte in der Stadtgesellschaft. Doch die sind in München kaum wahrzunehmen - weil es in dieser Stadt Tausende Menschen gibt, die sich nicht mit der Not anderer abfinden wollen. Sie engagieren sich auf ehrenamtlicher Basis in Nachbarschaftshilfen, Betreuungseinrichtungen, in der Jugendarbeit, für Kranke, Alte und Behinderte. Sie spenden Geld für Hilfswerke und Zeit für Mitmenschen, sie gründen Stiftungen und entwickeln in Eigeninitiativen Projekte für Randgruppen, die andere noch nicht einmal wahrnehmen.

Diese Tausenden Ehrenamtlichen sind echte Macher in München: Sie machen eine kalte, konsum- und wirtschaftsorientierte Metropole dann doch noch irgendwie liebens- und lebenswert. Oberbürgermeister Christian Ude hat dafür einen recht passenden Spruch erfunden, den er gerne bei Ehrungen für diese freiwilligen Helfer sagt: "Sie sorgen dafür, dass München mehr ist als Ellenbogenhausen."

Ude weiß dabei sehr wohl, dass auch der Erfolg seiner rot-grünen Regierungszeit immer sehr davon abhing, dass dieses soziale Gleichgewicht noch einigermaßen austariert wurde, auch durch die städtische Sozialpolitik. Die Bedeutung, die seine langjährige Stellvertreterin Gertraud Burkert (SPD) und der frühere Sozialreferent Friedrich Graffe dabei hatten, kann da gar nicht überbewertet werden. Burkert ist für viele Münchner bis heute eine Art städtische Übermutter, die immer ein offenes Ohr für jedes Projekt und jede Initiative hatte. Ihre Nachfolgerin Christine Strobl (SPD) bemüht sich darum, ihr es gleich zu tun, an die Wärme und Herzlichkeit Burkerts reicht sie aber gewiss nicht heran.

Ähnlich geht es Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) mit ihrem Vorgänger Graffe. Der hatte das Gesicht der sozialen Stadt maßgeblich geprägt, durch den Aufbau der Sozialbürgerhäuser oder die Erhöhung der Sozialhilfe. Meier hat in der Stadtverwaltung bei weitem nicht den Stand, den sich Graffe erkämpft hatte. Viele sagen, ihr fehle das Durchsetzungsvermögen und die klare Linie ihres Vorgängers, sie nehme zu viel Rücksicht auf die Positionen des OBs und der SPD-Stadtratsfraktion.

So sieht mancher den sozialpolitischen Sprecher der Rathaus-SPD, Christian Müller, als den eigentlichen Sozialreferenten. CSU-Stadtrat Marian Offman bemüht sich redlich um seine Rolle als Widerpart und um eine offenere Sozialpolitik. Seit dem Wechsel des Grünen-Politikers Siegfried Benker an die Spitze des Münchenstifts fehlt dem Rathaus aber ein führender sozialpolitischer Kopf, der sich detailliert von der Sozialhilfe bis zur Altenpflege auskennt.

Den Großteil der sozialen Arbeit leisten die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen. Allein die katholische Caritas beschäftigt 25.000 Mitarbeiter und Tausende Ehrenamtliche im Erzbistum, das selbst Träger von rund 465 Kindertagesstätten ist. Diözesan-Caritasdirektor Hans Lindenberger und Elke Hümmeler, von Kardinal Reinhard Marx als Ressortleiterin für Caritas und Beratung ins Ordinariat geholt, sind so vielleicht die mächtigsten Sozialmanager der Region. Ähnlich wie bei Meier und Graffe ist aber auch Hans Lindenberger deutlich weniger öffentlich wahrnehmbar als sein Vorgänger Peter Neuhauser. Auf evangelischer Seite leistet die Diakonie wertvolle Arbeit gerade mit ihrer Stadtteilarbeit, etwa im Hasenbergl.

Erfolg der Wohlfahrtsverbände hängt ganz entscheidend davon ab, wie sie sich auf dem sozialen Markt positionieren. Der ist inzwischen hart umkämpft: Die Einschnitte bei den Sozialleistungen durch die Hartz-Reformen, die Deckelung vieler Kosten im Gesundheits- und Pflegebereich führen zu einem Verdrängungseffekt. So übel das vielen aufstößt: Wohlfahrtsverbände müssen oft genauso hart geführt werden wie Dax-Unternehmen. Jürgen Salzhuber, 30 Jahre lang Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, wurde deshalb oft vorgeworfen, er führe den Sozialverband nicht sozial genug. Andererseits sanierte er aber die Awo mit eiserner Hand.

Der Preis- und Konkurrenzdruck führt zur Spezialisierung: Ohne den Katholischen Männerfürsorgeverein und seinen Chef Viktor Münster geht in der Wohnungslosenhilfe nicht viel; die Innere Mission mit ihrem rührigen Chef Pfarrer Günther Bauer hat die Hauptarbeit bei der Betreuung von Flüchtlingen, Obdachlosen auf der Straße und Frauen ohne Wohnung übernommen.

Jenseits der institutionellen Sozialarbeit prägen viele Pädagogen, Psychologen, Therapeuten München mit Projekten, die einst klein angefangen haben, jetzt aber aus der Stadt nicht mehr wegzudenken sind. Peter Peschel und sein H-Team e.V. zum Beispiel, die Menschen dank vielfacher Hilfsangebote ein möglichst langes Leben in der eigenen Wohnung ermöglichen. Oder der Imma e.V., lange Jahre von Geschäftsführerin Gudrun Keller geführt, die sich um Mädchen und junge Frauen in Notsituationen kümmert und Zuflucht gibt. Oder die Münchner Aids-Hilfe, die 1984 als erstes regionales Hilfsangebot in Deutschland gegründet wurde und für die heute fast 100 Ehrenamtliche und mehr als 60 Hauptamtliche arbeiten. Und schließlich die große Zahl an Nachbarschaftshilfen und -Initiativen, die in den Stadtvierteln die Not ein wenig lindern. Agnes Lochbrunner, die vor 30 Jahren in der Au eine solche Hilfe aufgebaut hat, ist eine der bekanntesten Gesichter aus diesem Bereich. Die 72-Jährige weiß, dass die Arbeit der Ehrenamtlichen nötiger denn je ist: "Viele Münchner brauchen finanzielle Unterstützung, die Leute kommen mit Sozialhilfe und Hartz IV schwer über die Runden."

Geld gibt es hier genug

Fast alle Projekte sind essenziell auf Spenden angewiesen, doch die Spendenbereitschaft der Münchner schwankt. Umso wichtiger sind für die vielen kleinen Projekte die traditionellen Hilfswerke, allen voran der SZ-Adventskalender: 19 000 Leser engagierten sich im vergangenen Jahr dafür und sammelten so fast 5,7 Millionen Euro. Immer wichtiger wird auch die Bedeutung der vielen Stiftungen: In diesem Jahr gab es erstmals einen "Münchner Stifter-Frühling", um Bürger zu beraten, die mit ihrem Vermögen helfen möchten. Für viele Promis ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit, mit Stiftungen, die ihren Namen tragen, offensiv Hilfe anzubieten, seien es Philipp Lahm, Roland Berger, Anne Sophie Mutter oder Uschi Glas. Letztere kämpft derzeit mit ihrem Projekt "Brotzeit" dafür, das alle Münchner Kinder ein vernünftiges Frühstück bekommen. Andere Promis geben viel Geld, neigen aber dabei zu hanseatischer Zurückhaltung, was ihre eigene Person angeht. Dallmayr-Chef Georg Randlkofer gehört zu diesem Typus: Ohne ihn wäre das Projekt "Lichtblick Hasenbergl" wohl nie so erfolgreich, Charity-Glamour-Galas sind seines aber nicht.

München braucht diese Großspender und braucht die vielen Ehrenamtlichen, um die Kluft in der Stadt nicht größer werden zu lassen. Ohne mehr staatlichen Leistungen werden sie aber auf Dauer nicht verhindern können, dass aus einer zwei Städte werden: ein armes und ein reiches München. Geld gibt es hier genug - nur nicht immer an der richtigen Stelle.

Mit diesem Beitrag endet die Serie über "Münchens Macher".

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Quelle:
SZ vom 16.11.2013/segi
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