Soziales Engagement:Die Mutmacherin

Soziales Engagement: "Wir reden über benachteiligte Gruppen, schicken dann aber die Gymnasiasten als erste wieder in die Schule", sagt Mara Bertling. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins "Dein München".

"Wir reden über benachteiligte Gruppen, schicken dann aber die Gymnasiasten als erste wieder in die Schule", sagt Mara Bertling. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins "Dein München".

(Foto: Stephan Rumpf)

Mit ihrem Verein "Dein München" zeigt Mara Bertling benachteiligten Kindern und Jugendlichen, dass die Stadt auch ihnen gehört

Von Annika Wiedemann

Große, rostige Metallbuchstaben sind das erste, was die Besucher der Freiheizhalle an diesem Abend sehen. Von der Türe aus versperrt die Skulptur die Sicht auf die Bühne. Und bildet das Wort "Mut". Ein Wort, das an diesem Abend viel Gewicht trägt. Mut, den hatte auch Mara Bertling, als sie sich gegen eine feste Anstellung entschied und stattdessen die Gründung ihres Vereins "Dein München" in Angriff nahm.

Mara Bertling, 39, sieht müde aus. Aber auch zufrieden. Sie sitzt in der Küche ihres Büros in einem Hinterhof in Schwabing und nippt an ihrem Kaffee. Im Gang begrüßt einen der Bürohund, Kisten stapeln sich bis zur Decke. Flyer quellen heraus und bedecken den Boden im Eingangsbereich. "Das ist alles noch von unserem Event", kommentiert Mara Bertling. Man sieht ihr den Stolz an. Ihr Verein ermöglicht benachteiligten Münchner Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an Angeboten in Bildung, Kultur und Sport.

Dieses Gebiet ist nichts Neues für die Diplomsozialpädagogin. Vor der Gründung ihres Vereins im Jahr 2014 arbeitete die Mutter einer Tochter freiberuflich für das Familien- und das Vormundschaftsgericht in München, danach in der ambulanten Erziehungshilfe. "Ich habe während dieser Zeit sehr viel erlebt und habe Eindrücke gesammelt, was hinter den Fassaden hier in München so passiert," sagt Mara Bertling und streicht sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. In keiner anderen deutschen Stadt sei die Armut so unsichtbar wie in München. Mara Bertling hat Kinder und Jugendliche kennengelernt, die für sich selbst keine Perspektive sehen. Die in ihrem Leben noch nie ihr Stadtviertel verlassen haben. Junge Menschen, die München gar nicht kennen. Und somit auch nicht am Stadtleben teilnehmen können.

Was die gebürtige Münchnerin durch ihre Arbeit sah, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie fühlte sich verpflichtet zu handeln. Auch wenn der Anfang schwer war, auch wenn der erste Schritt sie weg von einer sicheren Stelle hin in die Unsicherheit führte. Dass die Suche nach Spendern so schwer sein würde, ahnte Mara Bertling zu Beginn noch nicht. Und es ist bis heute schwer. "Weil die Armut in München nicht so sichtbar ist, ist die Motivation, etwas zu unternehmen oder zu spenden, eher gering", sagt sie. Bekannte Paten des Vereins wie Willy Astor oder Luise Kinseher sorgen für mehr Bekanntheit und motivieren Menschen, den Verein zu unterstützen.

An dieser Stelle wird klar, dass Mara Bertling und ihre Schützlinge mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick denken könnte. Den ersten Schritt gehen, raus aus der Bequemlichkeit, hinein ins Ungewisse. Aus einer Idee, einer Chance etwas machen. Die Kinder und Jugendlichen, die bei "Dein München" mitmachen, kommen aus benachteiligten Familien, Notunterkünften und Heimen. Der Verein arbeitet sehr eng mit mehreren Mittelschulen im Raum München zusammen. Die Schüler können sich selbst bei dem Projekt bewerben oder werden von Lehrern vorgeschlagen. Ihr gewohnte Umgebung verlassen und Neues wagen, fällt ihnen oft schwer. Dennoch ist die Abbruchquote bei "Dein München" sehr gering. "Oft sind gerade die, die am Anfang mit tief in die Stirn gezogener Mütze dasitzen, tatsächlich die, die dann am aufgeschlossensten und engagiertesten dabei sind", sagt Mara Bertling. Sie ist der Meinung, dass es sogenannte Problemjugendliche nicht gibt. Letztendlich brauche jeder Mensch nur Aufmerksamkeit.

"Dein München" setzt zudem auf Nachhaltigkeit. Es soll keine kurzfristige Hilfe geleistet werden. "Die Jugendlichen werden bei uns nicht weitergereicht. Sind sie einmal im System, dann bleiben sie auch da. Wir begleiten sie oft jahrelang. Unterstützen sie, wo wir nur können." Die Teilnehmer können an regelmäßigen Workshops teilnehmen, beispielsweise zur Berufsfindung. Es gibt Theaterbesuche, Ausflüge und Sporttage, bei denen sie neue Dinge ausprobieren können, zu denen ihnen sonst der Zugang verwehrt wäre.

Mara Bertlings Büro ist mehr Wohnzimmer als klassische Arbeitsstätte. Die Wände zieren Fotos und Kunstwerke von Teilnehmern. Auf die Frage, ob eine Geschichte sie besonders berührt habe, dreht Mara Bertling sich um und zeigt auf eben jene Fotografien. "Es gibt immer besonders tragische Fälle. Oft sind das die, bei denen die Kinder von zu Hause gar keine Unterstützung bekommen. Da wird sogar noch gegen uns gearbeitet." Aber sie kann auch von außergewöhnlichen Erfolgsgeschichten erzählen. Eine Schülerin war auf der Mittelschule, als sie in das Programm aufgenommen wurde. Sie machte die Mittlere Reife, ging auf die Fachoberschule und holte ihr Abitur nach. Heute studiert sie und unterstützt "Dein München" ehrenamtlich. Der Erfolg ist also sichtbar. "Unser Ansatz ist es, authentisch zu sein, den Schülern wirklich auf Augenhöhe zu begegnen. Und sobald sie merken, da ist jemand, der interessiert sich wirklich für mich, machen die total auf."

An diesem Montagabend im Mai stehen die jungen Menschen auf der Bühne der Freiheizhalle - und im Mittelpunkt: die Teilnehmer von No Limits, dem Bildungsprojekt von "Dein München". Über acht Monate wurden die Jugendlichen begleitet und gefördert. Unter dem hellen Scheinwerferlicht und den Augen der Zuschauer führen sie durch den Abend, erzählen aus erster Hand. Manche sind sichtlich nervös, eine junge Frau versucht, sich hinter ihren Haaren zu verstecken. Aber was sie sagen, ist erstaunlich reflektiert. Ein Teilnehmer erzählt, er habe vorher geglaubt, keine wirklichen Stärken zu besitzen. Heute wisse er, dass Durchhaltevermögen auch eine Stärke sei. Die Aufmerksamkeit ist den meisten der Jugendlichen deutlich unangenehm. Aber wenn sie gefragt werden, über ihre Zeit bei "Dein München" zu erzählen, tun sie das souverän. Es fallen Wörter wie Selbstvertrauen, Chancen. Und Mut.

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