Soziale Gerechtigkeit:"Manchmal sind die traurigen Klischeebilder eben wahr"

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Mit 16 ist Thomas Donauer der Jungen Union beigetreten. Jetzt ist er bei der SPD und diskutiert mit seinen ehemaligen Kumpels über soziale Ungleichheit und Chancengerechtigkeit. (Foto: Robert Haas)

Thomas Donauer wächst in Nymphenburg auf. Sein Vater war Schichtarbeiter, die Familie fuhr nie in Urlaub. Seine Freunde stammen aus reichen Familien. Heute streitet er mit ihnen über Gerechtigkeit.

Von Sophie Rohrmeier

Er hat immer alle aus der Clique zusammengerufen. Nur zu sich nach Hause eingeladen hat er nie. Wenn Thomas Donauer durch Nymphenburg läuft, sieht er die Häuser, die seine besten Freunde erben werden, die Steuerberaterkinder, Unternehmerkinder, Grundbesitzerkinder. Donauer ist auch hier aufgewachsen, aber auf der anderen Seite, wo die Wohnanlagen stehen. Sein Vater ist Lokführer. Früher hat er immer versucht mitzuhalten. Heute will er soziale Gerechtigkeit.

Thomas Donauer ist 30 Jahre alt. Gerade arbeitet er im Referendariat an einem Gymnasium in Bad Tölz. Deutsch, Ethik und Sport unterrichtet er. Vor einem Jahr machte er sein Examen, mit 10 000 Euro Bafög-Schulden kam er von der Uni. Seine Freunde bekommen jetzt Grundstücke und Gebäude überschrieben, die ein paar Millionen wert sind. Noch immer sind sie seine besten Freunde. Aber heute streiten sie manchmal, über Geld und die Politik. Denn Donauer ist gerade in die SPD eingetreten. Obwohl er früher in der Jungen Union war.

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Mit Lederhosen und Bayern-Fahne ist er mit seinen Kumpels aus der Nymphenburger Clique durch Kölner Kneipen gezogen, vor zwölf Jahren. Weltjugendtag in Köln, sie sind auch da gewesen, schließlich hat die Firmgruppe sie überhaupt zusammengebracht, ihn, den Lokführer-Sohn, und die Kinder der Wohlhabenden.

Sie sind zusammen herumgehangen, auf Gruppenfahrten nach Südtirol, an den Wochenenden in München. "Wir fanden uns schon geil", erzählt er. "Wir haben uns ziemlich aufgeführt." Auf eine WG-Party gehen und Stühle aus dem Fenster schmeißen, Polohemden und Segelschuhe tragen, das setzte den Standard.

Aber es geht nicht allen gut, und Donauer will das jetzt nicht mehr ignorieren, sagt er, deshalb sein Eintritt in die SPD, als Statement. Wie so viele Neumitglieder zieht ihn das Versprechen von Kanzlerkandidat Martin Schulz an: mehr soziale Gerechtigkeit. An diesem sonnigen Samstagvormittag ist er von Bad Tölz nach München gefahren, die Eltern besuchen, in dem Stadtteil, in dem er lange zu Hause war. In Sneakers und hochgekrempelten Jeans spaziert er durch Neuhausen-Nymphenburg.

Ein Viertel mit vielen Gesichtern

Hier, südlich vom Schloss, wechselt das Viertel von einem Straßenzug zum nächsten sein Antlitz. Große, freistehende Villen, aus der Gründerzeit oder modern, hinter Mauern, Hecken und Eingangstoren auf der einen Seite, dort leben die Familien von Thomas Donauers Freunden. Auf der anderen Seite wohnen noch heute seine Eltern, in einer Eisenbahner-Wohnung direkt am Hirschgarten. Die mehrstöckigen Wohnanlagen ohne hohe Zäune drumherum - auch sie sind Nymphenburg.

Es macht einen Unterschied, ob man mitkommen darf auf das Grundstück am Starnberger See - oder ob man dorthin einlädt. Er durfte immer mitkommen, sagt Donauer, den Unterschied aber habe er lange nicht gesehen, nicht bewusst. Zu seiner Firmgruppe gehörten auch die Kinder der Familie, die mit dem Hubschrauber nach Davos flog und für ein Abendessen schon mal 5000 Euro zahlte.

Im engeren Kern seiner Clique besaßen viele ein gediegenes Haus in der gehobenen Gegend, Designermöbel, Kunst an der Wand, einen Garten. Im Wohnzimmer der Donauers steht ein dunkler Einbauschrank, für die Miete arbeitete der Vater Schicht. Donauer schämte sich für die Wohnung seiner Eltern, zum Grillen dirigierte er seine Freunde nicht auf die Grünfläche hinter dem Mietkomplex, sondern in die Gärten der anderen.

"Ich war ein Alphatier", sagt er. Das ist ihm wichtig: dass er nicht nur so dabei war, aus Mitleid gar, sondern den Ton angab. Die Kinder der Reichen und er, sie fanden ganz selbstverständlich zusammen, und selbstverständlich fanden sie, dass alles gut war, in Nymphenburg und in Bayern. "Genau diese Selbstverständlichkeit", sagt er, "kotzt mich heute an."

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Zwei Drittel der Menschen mit hohen Vermögen erwarben ihren Reichtum durch Erbschaften und Schenkungen, zitierte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles kürzlich aus einem Regierungsbericht. Seht ihr denn nicht, dass Kinder andere Chancen haben, wenn schon die Eltern Juristen sind oder Professoren, und ihren Kindern nicht nur Geld, sondern auch Ideen mitgeben können, welches Studium wohin führt? Solche Fragen stellt Donauer seinen Freunden abends nach ein paar Bieren. Keiner von ihnen definiere sich über Geld, sagt Donauer. Weil sie viel davon haben.

Was viel Geld ist und was wenig, jahrelang habe er selbst dafür kein Verhältnis gehabt, sagt er. Aber es muss ihm geschwant haben, dass ihn die Selbstverständlichkeit mehr kostete als seine Freunde. In den Ferien jobbte er bei einem Filmunternehmen in Schwabing, damit er alle zwei Wochen für 400 Euro die Poloshirts kaufen konnte, die damals alle anhatten in der Clique. Sie liegen heute noch in seinem Schrank, geordnet nach Farben. Tragen will er sie nicht mehr, jetzt, da er Schulden hat und kein Aktien-Portfolio. Jetzt, da er seit ein paar Jahren in Schulen jeden Arbeitstag erfährt, wie sich Wohlstand und Bildung reproduziert, oder eben Armut.

Wie bei diesem Jungen in Passau. Er war vom Gymnasium an die Mittelschule gekommen, an der Donauer während seines Studiums arbeitete. "Es war schwer für den Jungen", sagt er, "weil der daheim eben nicht gepampert wurde." Eines Tages kam der Vater des Jungen in seine Sprechstunde, ein Lkw-Fahrer, betrunken, um 10 Uhr morgens. Der Kleine war seinem Vater über den Kopf gewachsen, aber er hatte nirgends hinzuwachsen.

Ein Lehrer als Mentor

Seinen Eltern über den Kopf gewachsen: Das sagt Donauer auch über sich selbst. Die Mutter ist Hausfrau, unpolitisch, froh, dass der Sohn Freunde aus der Pfarrei hatte, das kann nur gut sein. Von ihr lernt er hinzuschauen und mitzufühlen, und auf dem Gymnasium pusht ihn sein Sozialkundelehrer, er zeigt ihm, wohin es gehen kann. "Ein Sozi war das", sagt Donauer. Ihm erzählt er damals auch, dass er in die Junge Union eingetreten war. "Der fand das nicht so cool."

Aber die Clique ist dem Teenager wichtiger, den Mitgliedsantrag unterschreibt er mit 16, einem seiner engsten Freunde zuliebe. Der will etwas werden in der JU, und bei den Versammlungen hebt Donauer immer dann die Hand, wenn es seinen Kumpel näher ans Ziel bringt. Es geht damals, so erzählt er es heute, um Posten, nicht um politische Inhalte. "Es ist auch geil, Arroganz zu zeigen", sagt er.

Ein Abend im Münchner Club Neuraum an der Hackerbrücke, Neumitgliedertreffen der SPD. Auf der Tanzfläche mischen sich Bundestagskandidaten und alte Mitglieder mit den neuen, Donauer aber lehnt oben an der Balustrade der Treppe. Er beobachtet lieber. Oberbürgermeister Dieter Reiter zum Beispiel, der auf einem Podium von seinem halben Tag erzählt, den er mit dem Kanzlerkandidaten verbracht hat. Die Rechten in die Schranken weisen müsse die SPD, gerade die Jungen im Raum nicken, soziale Gerechtigkeit brauche es, besonders die Alten nicken. Rentnerinnen, die um Abfalleimer herumschleichen und Flaschen sammeln, das dürfe es nicht geben, sagt Reiter.

"Manchmal", sagt Donauer, "sind die traurigen Klischeebilder eben wahr." Seine Eltern fahren nie in Urlaub, erzählt er, und um sein Studium für ihn zu finanzieren, rannte sein Vater neben der Schichtarbeit in Hochhäuser, um Heizungen abzulesen, und fuhr Schulbus.

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Die Miete für die Genossenschaftswohnung könnten sich die Eltern nur noch knapp leisten, zwei Drittel der Rente gingen dafür drauf, beklagen aber würden sie sich niemals. Vielleicht, sagt Donauer, sei sein Eintritt in die SPD gar nicht so idealistisch, sondern egoistisch. "Vielleicht bin ich sogar wütend." Dieser Schritt ist eine öffentliche Erklärung für ihn, auch vor seinen Freunden - und er riskiert den Streit.

Geld, sagt er, ist kein Thema in der Clique. Er aber macht es zu einem, und manche empfänden das als Angriff, als persönlichen Vorwurf. Eine Freundin rief ihn an, nach einer der Diskussionen übers Erben, sie hatte gerade ein Mehrparteienhaus von den Eltern bekommen. Gemein fand sie ihn. Sie haben noch einmal geredet miteinander.

Er verlange nicht, dass seine Freundin mit dem Mehrparteienhaus überhaupt nicht erben kann, erklärte er ihr. Aber sie solle schon mehr davon abgeben müssen. Sie und alle, die besser dran sind, und sei es er selbst. Sollten die Steuern steigen und es auch ihn als bald verbeamteten Lehrer treffen - er wäre bereit, sagt er, mehr zu zahlen. Dass alle gleich werden, das wolle er nicht. Dass der Reichtum in Deutschland besser verteilt wird, wünscht er sich aber sehr wohl.

Der Wahlkampf mit der Nachbarschaft

Vor allem aber will Donauer Verständnis von den Wohlhabenden in Deutschland, von seinen Freunden in Nymphenburg. Dafür, dass die Verhältnisse eben nicht selbstverständlich sind und auch nicht überall gut. "Man wächst hier auf und verbindet total viel miteinander, aber man hat keine Chance, hier Fuß zu fassen", sagt Donauer. "Und dabei geht es mir noch gut. Es gibt Menschen, denen geht es viel schlechter."

Mit dieser Ungleichheit ist Thomas Donauer in Nymphenburg aufgewachsen, das hat ihn sensibel gemacht für Ungerechtigkeit. Donauer wartet jetzt, ob Martin Schulz genügend Menschen überzeugen kann. Bis dahin streitet er weiter mit seinen Freunden, das ist sein Wahlkampf.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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