Süddeutsche Zeitung

Sound of Munich:So international klingt die Stadt

Viele Musiker verschiedener Nationalitäten ziehen nach München. Wie ergeht es ihnen hier? Wie werden sie von ihren Kollegen aufgenommen?

Von Michael Bremmer

Die Münchner Pop- und Rockszene kann sich mit anderen Großstädten messen. Trotzdem wandern eine Reihe von Münchner Bands nach Berlin ab: Jesper Munk, MarieMarie, Gaddafi Gals, Young Chinese Dogs. Das ist die eine Seite, die andere: Viele Musiker verschiedener Nationalitäten ziehen nach München. Wie ergeht es ihnen hier? Wie viele Konzerte haben sie gespielt, seitdem sie hier leben? Acht Musiker im Kurzporträt.

Ian Chapman, Folk, 50 Konzerte seit 2010

Manchmal hilft nur Humor. Und davon hat Ian Chapman reichlich. Als er mal bei einer Probe vom Go Sing Choir nicht rechtzeitig auftauchte, versuchte Chorleiter Jens Junker, Chapman übers Handy zu erreichen. Der Brite ging ans Telefon, schimpfte über die Störung, schließlich sei er gerade im Puff. Das sagte er zumindest am Telefon. Legte auf und klingelte Sekunden später an Junkers Wohnungstür. Auch über die Tücken der Münchner Musikszene spricht er mit dem ihm eigenen trockenen Humor. Das Verhältnis zu anderen Bands? Mit einigen verstehe er sich sehr gut, andere empfinde er als zu "exklusiv". Münchner Cliquenwirtschaft gibt es auch in der Musik. Die Auftrittsmöglichkeiten in München sieht er differenziert: Sie sind schon gut, sagt er, "aber es hat gedauert, bis wir Auftritte in guten Musikclubs bekommen haben".

Aufgewachsen ist Chapman in West Bromwich, im sogenannten Black Country. Wie in allen englischen Städten, in denen Kohle abgebaut wurde, gab es auch dort eine starke Brass-Szene - Chapman lernte als Kind erst einmal ein Blasinstrument, als Teenager spielte er dann Keyboard und Gitarre in Rockbands. Ein EU-Projekt führte ihn nach München in die Villa Waldberta. Seit 2010 lebt er in München. Traditionelle Musik findet man noch immer in seinen Musikprojekten. Er spielte in der Schicksalscombo, Lischkapelle, bei Jodelfisch und bei Gurdan Thomas, seine Hauptband, die gerade aufgelöst wurde. Die neue Band heißt The Long Dining Society.

Deer Park Avenue, Rock / Pop-Punk, 100 Konzerte seit 2015

Die Ankündigung ist deutlich: kein Schnickschnack, nur Rock 'n' Roll. Die Schwestern Sarah und Stephanie Snyder haben ordentlich Tempo von San Francisco nach München gebracht, ihre Band Deer Park Avenue spielt energiegeladenen Pop-Punk nach Vorbild der frühen Green Day.

Alles begann in einer Kirche. Ihre Jugend verbrachten die Schwestern in unterschiedlichen Ländern, ihr Vater ist Pastor und predigte vor englischsprachigen Gemeinden. Vor ein paar Jahren kamen sie nach Gauting, um in der internationalen Kirchengemeinde Starnberg Fellowship Musik zu machen. Ein halbes Jahr wollten sie bleiben, es wurde vorerst eine Entscheidung fürs Leben. Aber ist es in München als Band wirklich so reizvoll, wenn man schon Erfahrungen auf den Bühnen zwischen Sacramento und Hollywood sammeln konnte? Sarah und Stephanie Snyder sehen es so. Natürlich sei die Musikszene in Kalifornien sehr lebendig, sagen sie. Man müsse nur zu Konzerten gehen und schon sei der Bekanntenkreis größer. Aber eine Einschränkung gebe es in den USA: Deer Park Avenue musste dort oft Cover-Shows spielen, da die Zuschauer gerne bei Konzerte mitsingen wollen. Das gebe es in München nicht. Auch hier ist die Musikszene sehr miteinander verbunden, auch konnten sie sehr schnell Konzerte spielen: vom Hardrock-Café bis zum Studentenfestival, vom verregneten Akustik-Open-Air-Konzert bis zum heißen Tollwood-Auftritt. Gut, mehr Bühnen könnte es geben, sagen sie, "aber Punks finden immer einen Ausweg". Und mit Hilfe des Glaubens erst recht: Sarah und Stephanie Snyder haben in ihrer Kirche das "Youth Band Project" gestartet.

Jordan Prince, Folk, mehr als 100 Konzerte seit 2016

Wie sehr ein Musiker in seiner neuen Heimat verwurzelt ist, zeigt sich zum Beispiel, mit welchen Künstlern er gemeinsam auftritt. Bei Jordan Prince etwa Henny Herz oder Antun Opic. Man erkennt es auch daran, welche Künstler ihn anfragen. Bei Jordan Prince etwa die Indie-Rock-Band Me + Marie, für die er Songtexte schrieb. Ein Gradmesser ist auch, welche Künstler man selbst für eine Zusammenarbeit gewinnen kann. Im Musikvideo für den Song "Sophomore Year" von Jordan Prince spielt Sängerin und Schauspielerin Birte Hanusrichter. Zudem hat er selbst eine kleine Konzertreihe etabliert.

Es existiert in München seit ein paar Jahren eine beeindruckende Folk-Szene - und Jordan Prince hat daran Anteil. Geboren wurde er in Mississippi, zur Schule ging er in New Orleans, eine Musik-Metropole, vielleicht sogar die musikalischste Stadt der Welt. Prince spielte dort in drei Bands und war beeindruckt von der "riesigen Musikszene dort", auch, dass jeder "auf einzigartige Weise sehr talentiert" sei. Den ganzen Tag machte er Musik, er wollte "mit allen mithalten können", sagt er. Doch dann kam etwas dazwischen. Prince verliebte sich in eine Frau aus München, die mit ihm gemeinsam Film studierte.

2015 verkaufte er sein Auto und all seine Besitztümer und zog nach München. Die Musikszene dort kannte er nicht, noch nicht einmal die deutsche, "mit Ausnahme der Band Rammstein", sagt er und lacht. Von Beginn an versuchte er, viele Menschen zu treffen und möglichst viele kleine Konzerte zu spielen, etwa Open Mics. Bereut hat er den Umzug zu keiner Zeit. Auch die Münchner Musikszene hat er schätzen gelernt. Viele Musiker hier unterstützten sich untereinander, sagt er. Überhaupt gebe es sehr viele tolle Bands. Auch die Bedingungen für Musiker seien hier gar nicht so schlecht, wie viele es sagen. "Ich komme aus einer am härtesten umkämpften und undankbarsten Gegend für Musik, die es je gab. Selbst die schlechteste Show in München ist unterstützender und fürsorglicher als eine Show in einer Bar in New Orleans."

Maria Rui, Singer-Songwriterin, 40 Konzerte seit 2013

Die gute Nachricht gleich zu Beginn: "Ich bleibe erst einmal weiterhin hier", sagt die Singer-Songwriterin Maria Rui, die aus Porto in Portugal stammt. In ihrer Heimat studierte sie Klavier, wechselte aber zu Mathematik und Physik und studierte dann an der TU in München Luft- und Raumfahrttechnik. "Nach dem Studium bin ich tatsächlich nur wegen der Musik in München geblieben", sagt sie. Maria Rui hatte hier ihre Band, ein paar Auftrittsmöglichkeiten. "Dem Ganzen wollte ich eine Chance geben", sagt sie.

Als sie nach München kam, war sie sehr von der Klassik-Szene angetan. Aber schnell merkte sie, dass dies nicht alles war, was sie in München erleben konnte. "Dass es ein ganzes Magazin pro Monat mit kulturellen Events gibt, hat mich total begeistert", sagt sie, so etwas kannte sie nicht aus Porto. 2006 hatte sie ihr erstes Konzert mit dem Uni-Chor, ihr erster Auftritt als Singer-Songwriterin folgte sieben Jahre später auf dem Kulturstrand - plötzlich war sie Teil der Münchner Szene. Am Anfang unterstützten sie die Musiker der Ska-Band Jamaram, Phil Vetter buchte sie für das Vorprogramm seiner Konzerte. "Ich bin nicht sicher, ob ich wieder zur Musik gekommen wäre, wenn ich in Porto geblieben wäre", sagt sie heute. In München fällt sie zumindest mehr auf mit ihren Balladen, die sie auf Portugiesisch singt und die sie mit jazzigen Latin-Rhythmen mischt. Südländische Leichtigkeit trifft auf eine Großstadt-Melancholie - passt eigentlich ganz gut zu München.

"Man meckert immer wieder über Musik-München", sagt sie, aber: "Bei allen Hürden und Schwierigkeiten merke ich spätestens, wenn ich in Portugal bin, wie viel besser ich es in München habe." Die Schwierigkeiten als Musiker seien überall ähnlich, "aber hier in München fühle ich mich vor allem als Künstlerin wertgeschätzt".

Matthew Austin, Folk / Blues, mehr als 100 Konzerte seit 2012

Für manche Musiker sind Bühnen zu groß. Andere füllen jeden Zentimeter, selbst wenn sie ohne Band, nur mit einer Gitarre vor den Zuschauern stehen. Matthew Austin gehört zu dieser Art von Musikern. Er ist jetzt nicht unbedingt ein Entertainer - und doch reicht oft schon ein Akkord auf seiner Gitarre, und das Publikum achtet nur noch auf ihn. Ist das seine Virtuosität? Seine Attitüde?

Matthew Austin ist in Oldham aufgewachsen, nordöstlich von Manchester. Über dem Pub gab es einen Club. Die örtliche Szene war ihm damals wichtiger als der Mainstream - vermutlich, weil er selbst das Ziel hatte, einmal auf der Bühne zu stehen. Als Austin 18 Jahre alt war, hatte er schon erste Support-Konzerte gespielt. Nur: Davon leben konnte er nicht. Und weil er der Rezession in England entkommen wollte, zog er für ein Designpraktikum nach Deutschland - und landete doch bei der Kunst. "München gab mir das Gefühl, dass die Musik meine richtige Karriere sein könnte", sagt er heute.

Die Musikszene in München findet Austin professionell. Die Musiker respektieren sich untereinander, sind offen. Und doch gibt es Unterschiede zu Manchester. In München brauche man "musikalisches Können, Übung und Professionalität, um ein Rockstar zu werden", sagt er, "während alle in Manchester schon vor dem ersten Gig dachten, dass sie Rockstars wären." Auch die Auftrittsmöglichkeiten sieht Austin gut, seiner Erfahrung nach "kriegt man immer eine Chance und wird mit Respekt behandelt". Und doch vermisst er eine Sache - ein bisschen Inspiration von den Musikern aus der Szene. Und gegen etwas mehr "Attitude hätte ich auch nichts".

Stephanie Forryan, Singer-Songwriterin, 26 Konzerte seit 2010

Man muss ein bisschen abseits der üblichen Münchner Musikbühnen unterwegs sein, um ein Konzert der US-amerikanischen Singer-Songwriterin Stephanie Forryan zu erleben. Im Mai hat sie etwa in einem Café in Schwabing gespielt, in einer Art musikalischem Stuhlkreis mit anderen Solointerpreten. Zuvor konnte man sie - ebenfalls mit anderen Singer-Songwritern - bei einem Konzert in den Bavaria Musikstudios in Haidhausen erleben. Oder bei Sessions in der Küche einer Münchner Wohnung. Man merkt schon: Fest verankert ist die Musikerin hier noch nicht. "Als Mensch lebe ich gerne in München. Aber als Künstlerin fühle ich mich hier unterfordert", sagt sie. Man könne an der Isar sitzen, Songs schreiben und die Vorzüge einer schönen Stadt mit hoher Lebensqualität genießen, "aber für eine lebendigere Musikszene fehlt München der Underground". Das ist der Grund, warum sie häufiger in Nürnberg oder in Berlin spielt als in München, sagt sie. Auch in diesen Städten war es für Forryan zunächst schwer, Zugang zu guten Shows zu finden, bis sie "ganz bestimmte Menschen aus der Szene getroffen habe", sagt sie. "Da ich oft alleine im Studio arbeite oder auf Tour bin, kann es gut sein, dass ich diesem Münchner einfach noch nicht begegnet bin."

Stephanie Forryan stammt aus Boston, Massachusetts. Die Szene dort gilt als sehr lebendig: gute Musiker, spannende Clubs, allerdings hohe Lebenskosten. "Als ein Freund mir über die Möglichkeiten in Europa erzählt hat, schien es mir leichter, es in Deutschland zu riskieren, eine Karriere als Musikerin zu starten", sagt sie. 2003 ist sie nach Berlin gezogen, 2010 nach München, weil sie Teil der Chris Norman Band  wurde.

Derzeit arbeitet sie an ihrer neuen Platte, Schritt für Schritt unterrichtet sie ihre Fans über die sozialen Netzwerke. Poppiger sind die neuen Songs, fröhlicher - was unterstützt wird durch die offene Art der Sängerin. Sie hofft in ihrer neuen Heimat auf bessere Auftrittsmöglichkeiten. Sie sagt: "München ist eine Stadt mit vielen Möglichkeiten und Talenten, die nicht ausgeschöpft werden."

Ryan Inglis, Singer-Songwriter, 100 oder 200 Konzerte seit 2016

Dass man sich an die genaue Anzahl von Konzerten nicht erinnern kann, ist verständlich. Aber so ungefähr wenigstens. Singer-Songwriter Ryan Inglis hat nach eigenen Angaben hundert oder zweihundert Konzerte in München gespielt. Seit 2016.

Zugegeben, Ryan Inglis ist ständig unterwegs. Und egal, wo er ist, steht er auch auf einer Bühne. Da kann man schon mal durcheinanderkommen. Aufgewachsen ist er im englischen Ferienort Weston-super-Mare in der Nähe von Bristol. 2006 hatte er dort seinen ersten Auftritt - in einem Pub. So eine Bühne prägt, so eine Bühne härtet ab, wenn man später weltweit unterwegs ist, um auf der Straße oder bei Open Mics zu spielen. Tagsüber gab er Schülern Gitarrenunterricht, abends spielte er seine Songs - aber irgendwann hielt England, wie er selbst sagt, "kein Abenteuer mehr für mich bereit". Auf der Suche nach Neuem kam er schließlich nach München.

Gerade als Singer-Songwriter hat man in München viele Möglichkeiten, kleine Konzerte zu spielen. "Ich liebe es hier", sagt er. Die Menschen seien musikbegeistert, und die "meisten Musiker, die ich hier getroffen habe, haben sich gegenseitig geholfen". Man habe ihn sehr unterstützt. Zudem zog er durch die Welt, die Akustikklampfe immer im Gepäck. Vergangenes Jahr ging er etwa den Jakobsweg - und hat sich gleich zu einem Song inspirieren lassen, "Blessed with less", eine Gute-Laune-Nummer, die an sich überall funktionieren müsste. Auch in einem Pub.

Stella Sezon, R 'n' B, 20 Konzerte seit 2012

Stella Senzon ist enttäuscht von ihrer neuen Heimatstadt. Sie ist ja auch mit großen Hoffnungen hierher gekommen. Aufgewachsen ist sie in der Ukraine, hat dort eine Ausbildung zur Sängerin erfahren, arbeitete mit Produzenten zusammen, Pop und Hip-Hop. Das hielt sie nicht.

Seit 2012 lebt und arbeitet sie nun in München. Ein Manager hatte ihr, wie sie sagt, "einen Vertrag und eine große Zukunft angeboten". Aber die Zukunft scheint - zumindest derzeit - schwer erreichbar. Sie kam vor zwei Jahren beim Newcomer-Contest "Sprungbrett" ins Finale, durfte im Theatron spielen, bei der "Langen Nacht der Musik". Das ist nicht viel, zumindest nicht, wenn man eine Stimme wie Stella Senzon hat. R 'n' B ist in der Popmusik wohl der Stil, der am meisten technisches Können verlangt. Senzon vermengt ihn zudem mit Jazz und Blues. "Ich habe das Gefühl, dass in München Soul und generell Blackmusic nicht so gewünscht ist", sagt sie. "Ich bin an den Punkt gekommen wegzuziehen." Ihr Traumziel: London.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2019
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