Süddeutsche Zeitung

Sound of Munich:Pakt der Popkultur

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Münchens Musikszene ist groß, aber nur schwer zu katalogisieren. Man muss sich hineinbegeben, um Konzerte aufzuspüren, Bands zu finden und verschiedene künstlerische Linien zu erkennen.

Von Rita Argauer

Ein kleiner Kellerraum, maximal 20 Quadratmeter groß. Die Bands spielen dort auf dem Fußboden, in der Regel brüllend laut vor einem kleinen Publikum, das sich aber wie eine große Menge anfühlt, als sei man bei etwas Geheimen und gleichzeitig Großem dabei. So ist das häufig bei Münchner Underground-Konzerten. Die Konzerte, die vor einigen Jahren regelmäßig unter dem Namen Under13 im Kellerraum des Lothringer-13-Kunstraums in Haidhausen stattfanden, vermittelten das par excellence. Da spielten Münchner Bands, aber auch internationale Acts, die in anderen Städten auf ganz offiziellen Bühnen und breit beworben auftraten. Offiziell angemeldet war im Under13 vermutlich nie irgendetwas, mittlerweile finden dort auch keine Konzerte mehr statt. Doch es gibt sie immer noch, diese versteckten Bühnen, vor denen sich in guten Momenten das Gefühl einstellt, man sei gerade bei der Geburt einer neuen künstlerischen Idee dabei, eines neuen Ausdrucks, eines neuen Styles. Etwas, das Popmusik im Idealfall vermittelt und das ihr eine unbändige Kraft gibt; auch in der Stadt München, der so etwas wie Underground-Kredibilität, Pop-Glamour und DIY-Charme oft und gerne abgesprochen wird

Doch München hat eine weit gesprenkelte Szene, wie es sie in fast allen Großstädten gibt. Jedoch gibt es einen grundlegenden Unterschied von München zu den beiden großen nördlichen Nachbarn Hamburg oder Berlin: München funktioniert nicht als stilprägendes Label. Die Stadt nutzt die heimischen Bands weder für das Stadtmarketing, noch nutzen die Musiker München für ihre stilistische Einordnung. Oder wie es Magnus Textor, A&R-Mitarbeiter bei Sony, kürzlich bei einer öffentlichen Diskussion zu diesem Thema ausdrückte: Ein junger Mensch, der Musiker werden möchte, wo zieht der dafür hin? Nach Hamburg, nach München oder nach Berlin? Die Antwort ist hier ziemlich eindeutig. München hat nicht das Image, Menschen den Weg zum beruflichen Popmusiker zu erleichtern.

Musiker gibt es dennoch en masse: Die Indie-Pop-Schiene etwa, aus der immer wieder auch kommerziell erfolgreiche Bands aufsteigen, aktuell das Quartett Kytes. Es gibt eine ausgesprochen blühende Songwriter-Szene, die sich in der Regel auf diversen Songslams oder offenen Bühnen versammelt und die in den vergangenen Jahren mit Jesper Munk ebenfalls einen mittlerweile erfolgreichen Spross hervorbrachte. Ebenso die Elektro- und DJ-Szene - beim Blick, wie viele Münchner Resident-DJs regelmäßig in der Roten Sonne oder im Harry Klein auflegen und von wie vielen Münchner VJs sie dabei begleitet werden, bleibt kein Grund zur Klage. Der Münchner Hip-Hop zeigt sich derzeit mit den Alben von Fatoni und Moop Mama als die bundesweit bissigste und gleichzeitig tanzbarste Ausprägung dieses Stils. Hinzu kommt eine von Trends, Geld und Kommerz herrlich unabhängige Punk- und Hardcore-Szene und das arty-versponnene Konglomerat, das sich um die Splitter der Band Kamerakino herum gebildet hat, während es mit Claire und Cosby Bands gibt, die sich am Mainstream-Pop und an großen Gesten versuchen. Und die Noise-Kapelle Friends of Gas wurde gerade als erste Münchner Band von Staatsakt unter Vertrag genommen, dem stilbildendsten Berliner Indie-Label des vergangenen Jahrzehnts.

Doch auch der ökonomische Wert einer vitalen Popkultur steigt. Man zählt das zur Kreativwirtschaft und die ist gerade schwer angesagt - sowohl bei Stadtverantwortlichen als auch bei Künstlern, die nicht wie Spitzwegs "armer Poet" ewig in prekären Verhältnissen leben wollen. Die Münchner Musikerin Julia Viechtl nimmt da gerade eine wortführende Position ein. Die frühere Bassistin der Band Fertig, los! und jetzige Mitarbeiterin der Fachstelle Pop schrieb ihre Master-Arbeit, die demnächst auch veröffentlicht werden soll, über den möglichen "Weg zur Music City", den München gehen könnte. Dazu befragte sie mit 506 Teilnehmern umfassend die Musiker in Münchens sämtlichen Sub-Szenen zu Themen wie Probenraumsituation oder ob die Musik ganz oder teilweise zum Lebensunterhalt der Befragten beitrage. Am auffälligsten ist, dass es kaum Musiker gibt, die angeben, zwischen 50 und 70 Prozent ihres Lebensunterhalts mit der Musik zu verdienen. Es gibt die wenigen, die sich kommerziell durchgesetzt haben und von der Musik leben können (15 Prozent). Mit 48 Prozent gibt jedoch knapp die Hälfte der Befragten an, mit ihrer Musik nichts zu verdienen oder für die Musik sogar Geld auszugeben. Am erschreckendsten aber ist, dass gut 40 Prozent derzeit keinen Probenraum haben. Das Münchner Kulturreferat hat nun angesichts dessen eine halbe Stelle geschaffen. Die neue Mitarbeiterin soll nun sowohl für Nachwuchskünstler als auch für professionelle Musiker bezuschusste Probenräume schaffen und akquirieren. Doch auch dort spürt man den Druck, der auf dem Münchner Immobilienmarkt liegt.

In der Raumproblematik kulminiert das Münchner Pop-Problem. Die, die ein Berufsmusiker-Dasein anstreben, erreichen in günstigeren Städten viel schneller den Status, mit der Musik ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Orte zum Wohnen, zum Proben und zum Auftreten sind in München generell zu rar und zu teuer. Auffällig ist hier auch, dass einige Münchner Popmusiker sich für ihre Tätigkeit quasi indirekt fördern lassen: Manu Rytzki alias Parasyte Woman, Polly Ester oder Benedikt Brachtel arbeiten regelmäßig als Theatermusiker an subventionierten Häusern wie dem Residenztheater oder der Bayerischen Staatsoper.

Münchens Szene ist nicht leicht zu katalogisieren. Man muss sich hineinbegeben, damit man die Konzerte aufspürt, die Bands findet und die verschiedenen künstlerischen Linien erkennt. Und das ist Fluch und Segen zugleich. Denn ein Außenstehender sieht hier erst einmal nichts. Die Szenen wirken klein, die Musiker verschlossen. Andererseits hat Popmusik in dieser Stadt noch einen Anti-Establishment-Status, der als künstlerische Antriebskraft nicht zu verachten ist. Die geheimen Veranstaltungen in der Lothringer 13 wurden nicht irgendwann hip und von einer Werbeagentur als Pausengag benutzt. Sie zogen einfach weiter, finden nun an anderen Orten statt, immer noch vor wenigen Zuschauern, immer noch mit kühnen künstlerischen Vorschlägen. Der Pakt der Popkultur mit der Wirtschaft funktioniert nicht durchgehend in München. Und das hat durchaus auch positive Seiten.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2016
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