München:Festival "Sound Of Munich Now" im Video-Format

Sound of Munich Now

Sieben Kameras, mehr als 40 Lichter und eine aufmerksame Crew: Die 20 Bands, hier Melli Zech, wurden beim "Sound Of Munich Now" bestens betreut.

(Foto: Friedrich Bungert)

Fünf Tage lang werden die Konzerte für das Festival "Sound Of Munich Now" aufgezeichnet. Die Künstler sind froh, wieder auf der Bühne zu stehen.

Von Clara Löffler, München

Kristina Moser steht gleich zweimal auf der Bühne. Einmal im knallgelben T-Shirt, einmal in einem roten. Kristina nennt sich als Musikerin Blushy AM. Sie tanzt in der Mitte eines kreisrunden weißen Teppichs zu den Klängen ihrer ersten Single "Tip Toein". Auf den Teppich werden Ausschnitte ihres Musikvideos in Dauerschleife projiziert. In dem Video tanzt sie. In roten Klamotten. Und auf der Bühne macht sie die gleichen Tanzschritte. In Gelb. Wie die Zitronen, die vor ihr in einem durchsichtigen Rucksack auf der Bühne stehen. Kristina nimmt sich eine Zitrone und beißt genüsslich in die Frucht. "Manchmal schmeißt einem das Leben Zitronen zu", ruft sie.

Es ist ein positives Bild, das Kristina vergangene Woche bei den Dreharbeiten für das Festival "Sound Of Munich Now" in der Kranhalle gezeichnet hat. Dabei liegen turbulente eineinhalb Jahre hinter der Musikbranche. Auch an dem von Feierwerk und Süddeutscher Zeitung organisierten Festival ist die Pandemie nicht spurlos vorüber gegangen. Vergangenes Jahr als einmalige Sache geplant, muss es auch in diesem November digital stattfinden. Die 15-minütigen Live-Videos, die jede der 20 Bands zusammen mit der Filmcrew von Freitag bis Dienstag aufgenommen hat, sind dabei noch aufwendiger gestaltet als im Vorjahr.

"Vergangenes Jahr wurden wir alle ins kalte Wasser geschmissen. Keiner wusste, was auf einen zukommt", sagt Bernhard Schinn, der auch heuer die kreative Leitung der Videoproduktion übernommen hat. Dieses Jahr sei das gesamte Team eingespielter gewesen, fügt Produktionsleiter Marcel Chylla hinzu. 12,5 Meter lang ist das extra angemietete Gleis, auf dem Bernhard Schinn mit seiner Kamera entlang der Bühne fahren und die Künstler von allen Seiten filmen kann.

Für viele Musiker ist es der erste Auftritt seit Langem, für Blushy AM der dritte überhaupt. Kristina arbeitet als Flugbegleiterin, die freie Zeit während des Lockdowns hat sie genutzt, um jahrelang aufgestaute Kreativität in Songs zu entladen. Und es ist ihr gelungen, Anschluss an die Münchner Musikszene zu finden. An die Stelle von analogen Networking-Plattformen wie dem "Sound Of Munich Now" sind digitale getreten. Darunter die Whatsapp-Gruppe Female Artists, der auch R 'n' B-Sängerin Dani DeLion angehört. Dani DeLion heißt eigentlich Amelie Geiss. An ihrem Beispiel wird deutlich, wie unterschiedlich die Musiker die Pandemie erlebt haben. Bei ihr blieb die Inspiration zunächst aus. Sie suchte sich einen Vollzeitjob.

Kristina und Amelie sind nur zwei der mehr als 20 Künstlerinnen, die innerhalb von fünf Tagen auf dem weißen Teppich in der Kranhalle stehen. Mit einer Frauenquote von weit mehr als 50 Prozent steht das Line-up im Kontrast zu dem vieler anderer Festivals, wo nach wie vor deutlich mehr Männer ins Programm aufgenommen werden. Dabei habe man anfangs nicht einmal bewusst darauf geachtet, sondern einfach die Künstler gebucht, die einem am besten gefielen, sagt Alessa Patzer von der Fachstelle Pop.

Doch nicht nur Frauen-Empowerment ist in diesen Tagen häufiges Thema. Viele Musiker nutzen ihren Auftritt für politische Statements. Wie etwa die Punkband Uschi. "Uschi ist wütend, weil die Uschi setzt sich für Frauenrechte und für Tierrechte ein und gerne auch für Menschen, die nicht so viele Rechte haben", ruft Sängerin und Bassistin Charlotte Scheidegger ins Mikrofon. Der Umgang der Band mit ihrer Musik mag ein humorvoller sein, doch was sie sagen, meinen sie ernst.

Auch Queen Lizzy, die mit gebürtigem Namen Lise-Christine Kobla Mendama heißt, hat eine Botschaft. Sie möchte mit ihrem Erfolg für schwarze Frauen ein Vorbild sein. Nervös läuft die 20-Jährige vor ihrem Auftritt am Set auf und ab. Das Plüsch-Schaf Melissa, das ihre Schwester ihr als Glücksbringer mitgegeben hat, hält sie beim Soundcheck fest in den Händen. "Ich bin so blessed, dass ich hier performen darf", ruft sie immer wieder. Sie schaut glücklich aus. Es scheint zu sein, als könne sie noch immer nicht fassen, wie rasant sich ihr Leben im vergangenen Jahr verändert hat.

Nach dem Tod von George Floyd hielt sie bei den Black-Lives-Matter-Protesten auf dem Königsplatz vor 25 000 Menschen eine Rede, sprach darin über ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus. Davon handelt auch ihre Debüt-Single Black Rolemodel, die sie bei "Sound Of Munich Now" performt.

Nach ihr tritt Achim Waseem Seger, kurz Waseem, auf, den man nicht nur als Rapper, sondern auch als Aktivisten kennt. Weil Konzerte ausfielen, hat er sich während der Pandemie vor allem auf sein politisches Engagement konzentriert und seine Hip-Hop-Partei weiter aufgebaut. "Die ganze Corona-Debatte ist natürlich sehr politisch. Die Spaltung ist weiter vorangeschritten. Es hat Menschen, aber auch die Ruhe und Zeit gegeben, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Man musste die Perspektive wechseln und Sachen noch mal neu hinterfragen."

Auch bei den Interviews nach den einzelnen Konzerten kommen die Moderatoren nicht darum herum, die Bands zu fragen, wie es ihnen während des Lockdowns ergangen ist. Das Fazit fällt überraschend positiv aus. Jammern würde nichts bringen, schließlich könne man die Situation nicht ändern. "Man hatte viel mehr Zeit zu schreiben", sagt Laura Glauber, Frontfrau der Band Lauraine, die im September ihre erste Single "Drowning In Flames" veröffentlicht hat. In dieser Konstellation ist es erst der zweite Auftritt, doch wirkt die Band, als würde sie schon ewig miteinander spielen. Immer wieder nimmt Laura während des Auftritts Blickkontakt zu ihren Kollegen auf, lächelt sie an, tanzt ausgelassen zum Gitarrensolo. Mit ihrem großen Stimmspektrum gelingt es der Sängerin innerhalb von 15 Minuten, jede mögliche Emotion zu transportieren, von Wut über Trauer bis hin zu Freude ist alles dabei. "Ich war so aufgeregt wie noch nie vor einem Gig", gesteht Laura. Angemerkt hat man ihr das nicht.

Nicht nur Lauraine hatte im vergangenen Jahr viel Zeit, neue Songs zu schreiben. Zahlreiche Soloprojekte sind entstanden, etwa das der Varo-Frontfrau Elisa Giulia Teschner. Unter dem Namen Ellereve hat sie 2020 gleich eine ganze EP veröffentlicht. "Ich bin nicht der Typ, der wartet." Bei "Sound Of Munich Now" ist auch Blackout-Problems-Gitarrist Moritz Hammrich als Emmerich vertreten. Seine EP "Ufo Emo" wird im Oktober erscheinen. "Ich habe mich in der Pandemie selbst challengen wollen." Was dabei rausgekommen ist, erinnert an den Sound seiner Alternative-Rock-Band, doch klingt er rauer, kompromissloser, persönlicher.

Wer keine Lust auf musikalische Alleingänge hatte, musste erfinderisch werden, selbst Bandproben waren zeitweilig nicht erlaubt. So entstanden neue Songs teilweise über das Telefon, wie bei der Blues-Band Young Fast Running Man.

Auch der Umgang des Filmteams mit Corona ist routinierter geworden. Dass sich noch nicht geimpfte Crew-Mitglieder jeden Morgen einem Test unterziehen und in der Kranhalle Maskenpflicht herrscht, ist schon lange kein Thema mehr. Plötzlich rücken ganz banale Probleme in den Vordergrund. Die wohl größte Herausforderung in den fünf Tagen ist es, den weißen Teppich sauber zu halten. Vor jedem Auftritt müssen die Schuhe der Künstler geputzt werden. Bereits bei der zweiten Band kommt der Handstaubsauger zum Einsatz. Aus der Ruhe bringen lässt sich das Team davon nicht.

"Die Leute, die hinter dem Ganzen stehen, sind alle so unfassbar nett und bemüht. Sie versuchen, es einem echt so schön wie möglich zu machen", schwärmt Singer-Songwriterin Melli Zech nach ihrem Auftritt. Sie ist nicht die Einzige, die vor dem Video-Dreh größere Nervosität verspürt als vor einem Konzert mit Publikum. "Normalerweise komme ich mit dem Publikum in Kontakt, quatsche mit denen, erzähle etwas über mich." Hinzu komme, dass durch die Kamera der Auftritt definitiv festgehalten werde, auch mögliche Fehler.

Vor dem Feierwerk ist ein Zelt aufgebaut. Kristina sitzt dort direkt nach ihrem Auftritt. Gleich zweimal ist sie zu sehen. Zweimal in einem knallgelben T-Shirt. Auf einem großen Bildschirm ist das Video ihres Auftritts zu sehen. Dass das so schnell möglich ist, liegt daran, dass Marcel bereits während des Drehs das Video schneidet. Kristina ist begeistert. Von dem Video. Von dem Festival. Auch von ihrer Show. Sie verschenkt die Zitronen von ihrem Auftritt. Zitronen braucht sie gerade nicht im Leben.

Zur SZ-Startseite
Auf der Friedrichstraße Ecke Taubenstrasse wächst in einem Blumenkübel ganz unbehelligt von den Passanten und scheinbar

SZ PlusDrogendelikte vor Gericht
:München, die Stadt der Kiffer

Kokain nehmen eher hippe Leute, Heroin ist als Elendsdroge fast aus der Stadt verschwunden. Und Cannabis? Ist dem Münchner Amtsgericht zufolge "die Droge Nummer eins". Gekifft wird offenbar in rauen Mengen - und in allen Bevölkerungsschichten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: