Das Festival „Sound of Munich Now“:„Es ist so wichtig, dass die Szene hier floriert“

Lesezeit: 7 Min.

Was das Publikum über das Festival "Sound of Munich Now" sagt: „Die Stimmung hier ist immer super und man bekommt ein gutes Bild von der Münchner Musikszene.“ Hier ein Foto vom Auftritt der Band "Plume". (Foto: Stephan Rumpf)

Melli Zech erntet Liebesbekundungen, bei „Fujju“ steigen den Zuhörerinnen Tränen in die Augen und bei „Plume“ bilden sich rekordverdächtig drei Moshpits in einer Viertelstunde – was macht die Magie des Festivals „Sound of Munich Now“ aus?

Von Veronika Tieschky, Melissa Kleindienst, Luka Kraft

Wann genau die Magie des Festivals „Sound of Munich Now“ zu spüren ist? Der Moment, wenn alles zu stimmen scheint? Die richtige Musik im passenden Augenblick? Ist es, wenn beim Auftritt der Singer-Songwriterin Melli Zech ein kleines Transparent hochgehalten wird mit der Aufschrift: „Melli we love you!“ Ist es der Moment, wenn die zwei Musiker von Fujju bei ihrem ersten Auftritt die letzte Strophe ihres Abschlusssongs ohne Mikro vortragen, das Publikum im Feierwerk mitsingt und der Mutter von Sänger Derrick Waluube Tränen in die Augen steigen? Oder ist es der Augenblick, wenn die Electric-Post-Rock-Band Plume ihre Fans zum dritten Moshpit innerhalb von 15 Minuten bittet?

Die Magie des Abends steckt nicht nur in den lauten, wilden Momenten. Es sind die kleinen, intimen Gesten, die das Festival „Sound of Munich Now“, veranstaltet vom Feierwerk und der Süddeutschen Zeitung, so besonders machen. Wenn der Musiker Cellz lange nach seinem Auftritt dem Konzert von Vandalisbin lauscht und anerkennend nickt. Wenn Sängerin Caitlin Dalton nach ihrem Konzert in der bis auf den letzten Platz gefüllten H39 schwärmt, sich zum ersten Mal „wie ein richtiger Rockstar“ gefühlt zu haben. Und welch Ehre es doch sei, beim „Sound of Munich Now“ dabei zu sein bei all diesen tollen Musikerinnen und Musikern, wie sie sagt. Wenn Künstler und Fans zu einer Einheit verschmelzen, dann wird klar: Sound of Munich Now ist mehr als nur ein Musikfestival – es ist ein verbindendes, magisches Erlebnis. Aber was genau macht diese Magie aus?

Schon vor der Halle deutet sich diese besondere Atmosphäre an. Die Auftritte werden draußen auf die Hauswand projiziert, und obwohl ein leichter Regen fällt, versammeln sich neugierige Zuhörer, um die Energie der Veranstaltung mitzuerleben. Drinnen im Feierwerk füllt sich die Halle schnell. Die Stimmung ist erwartungsvoll, vereinzelt tragen Gäste bayerische Tracht – ein bunter Mix aus Tradition und musikalischer Moderne.

Maria de Val eröffnete am Samstag das Festival. (Foto: Stephan Rumpf/Stephan Rumpf)
Fühlte sich zum ersten Mal wie ein Rockstar: Caitlin Dalton. (Foto: Stephan Rumpf)
München ist auch eine Punkrock-Stadt: Hier "Captain Asshole". (Foto: Stephan Rumpf)

Den Abend eröffnet die in München lebende Südtiroler Musikerin Maria de Val, die mit ihren zarten Indie-Klängen für die erste Welle der Entspannung sorgt. Doch bevor die Entspannung zu tief geht, bringen die nächsten Acts mehr Energie auf die Bühne, mal Punkrock, mal Alternative-Pop.

Melli Zech, die bereits 2021 beim Sound of Munich Now auftrat – damals noch coronabedingt bei der Digital-Version – ist dieses Mal sichtlich aufgeregt. „Endlich darf ich hier im Feierwerk mit Publikum auftreten – ich freue mich so sehr“, sagt sie und strahlt. Seit ihrem letzten Auftritt hat sich bei Melli viel verändert. „Irgendwann reicht es nicht mehr aus, ab und an auf der Bühne zu stehen. Man möchte es ständig tun“, hat sie einmal der SZ gesagt. Mittlerweile arbeitet sie nur noch drei Tage als Erzieherin, um sich stärker auf die Musik zu konzentrieren. Und nutzt ihren Urlaub, um auf Deutschland-Tour zu gehen, wie gerade eben. „Als Musikerin und als Erzieherin zu arbeiten, wurde mir irgendwann zu viel, da ich in beiden Jobs 100 Prozent geben muss – und ich gemerkt habe, dass das auf Dauer gar nicht geht.“

„Ich bin glücklich mit meiner Tour, glücklich mit meinem Leben und glücklich, hier spielen zu dürfen“, sagt Melli Zech. (Foto: Stephan Rumpf)

Ihr Lieblingssong für den Abend? „Bisschen glücklich“ – ein Stück, das perfekt zu ihrem Lebensgefühl passt. „Ich bin glücklich mit meiner Tour, glücklich mit meinem Leben und glücklich, hier spielen zu dürfen“, sagt sie. Schon bei den ersten angestimmten Akkorden erntet sie Applaus.

Für „Sound of Munich Now“ ist in der H39 eine zweite Bühne aufgebaut worden. Im Viertelstunden-Takt werden hier Band, Bühne und Genre gewechselt, sehr zur Freude des Publikums. „Ich finde das Sound of Munich Now richtig cool und abwechslungsreich. Macht einfach Spaß“, sagt etwa Sebastian Spirld. „Am Sound of Munich Now schätze ich besonders, dass so viele verschiedene Genres und Künstler vertreten sind. Man hat die Möglichkeit, viele unbekanntere Künstler und neue Musik kennenzulernen“, sagt Lisia Tkochova. „Die Stimmung hier ist immer super und man bekommt ein gutes Bild von der Münchner Musikszene“, sagt Carina Lavye. Und Johanna Wolf erklärt: „Ich finde das Konzept mit freiem Eintritt total cool. Man kann einfach spontan vorbeikommen und sich die verschiedenen Acts anschauen, ohne sich vorher großartig informieren zu müssen.“ Muss man nicht, kann man aber, wie eine Zuhörerin beweist, die mit der gedruckten SZ im Publikum steht und den Vorbericht über das Festival liest. „Da kann man sich besser einstimmen, was kommt“, sagt sie und lächelt.

"Johnny Fab Kaufmann" mit der Sängerin Sofia Lainovic, die bereits 2020 alleine als Singer-Songwriterin beim "Sound of Munich Now" aufgetreten ist. (Foto: Stephan Rumpf)
Stilwechsel im 15-Minuten-Takt: Cellz begeisterte das Publikum mit Soul und R'n'B. (Foto: Stephan Rumpf)
Ihre Musik klingt wie der Soundtrack zu einem Coming-of-Age-Film: "Hallway". (Foto: Stephan Rumpf)
Der erste Auftritt mit eigenen Songs: "Fujju" mit Derrick Waluube und Kilian Unger - ihn kennt der "Sound-of-Munich"-Kenner vom Deutsch-Pop-Projekt "Liann". (Foto: Stephan Rumpf)

Was das Sound of Munich Now, wie immer unterstützt vom Münchner Kulturreferat und dem Jugendkulturwerk, seit 2009 bietet, hat sich längst herumgesprochen. Viele Münchner Musikerinnen und Musiker, die bereits bei diesem Festival gespielt haben, sind Stammgäste. Aber auch Vanessa Patrick und Andy Barsekow von der Puls-Musikredaktion stehen in diesem Jahr im Publikum, genauso wie Ralf Weigand, Aufsichtsratsvorsitzender der Gema, oder Antje Zelnitschek, Geschäftsführerin der Plattenfirma F.A.M.E. Recordings.

Bereits nach der zweiten Band herrscht Einlass-Stopp. Wer kurz ins Freie geht zum Luftschnappen oder Rauchen, muss sich einreihen in eine lange Schlange, bis wieder ein Plätzchen frei wird in der H39. Warten, oder einfach in die Kranhalle zum parallel stattfindenden „Sound of Bavaria Now“ schauen, veranstaltet vom Verband für Popkultur in Bayern. Was sich übrigens den ganzen Abend gelohnt hat. Entdecken kann man hier zum Beispiel Lisl. Die Indie-Rock-Musik der 23-jährigen Lisa-Marie Kämpf dreht sich um soziale Ängste, mentale Gesundheit und alltägliche Struggles. In Leo-Chucks steht die junge Frau aus Würzburg mit ihrer Band auf der Bühne und singt einen „kleinen traurigen queeren Lovesong“, wie sie sagt.

Vier Bands spielten in der Kranhalle beim "Sound of Bavaria Now". Hier der Auftritt von Ulla Suspekt aus Nürnberg. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Sound of Bavaria klingt bei Ulla Suspekt schon wieder ganz anders: Nach NDW, Post- und Fun-Punk, laut, mit deutschem Gesang. Die junge Frau aus Nürnberg schwingt ein LED-Licht, springt auf der Bühne herum, im Saal wird geheadbangt. „Ich glaube, dass gerade Menschen in Bayern dankbar sind, wenn Punk hier passiert“, erzählt die Kunst-Studentin vor ihrem Auftritt. „Manchmal habe ich trotzdem noch das Gefühl, dass unsere Musik in Berlin besser ankommen würde.“

Ceci steht an diesem Abend ohne ihre Band auf der Bühne. Ihre Tunes sind ruhig, weich. Die Deutsch-Kanadierin singt auch mal über die Menstruation, „eine Ode an die Periode“, wie sie sagt. Das Publikum lacht mit ihr. „Der Staat Bayern muss einfach ein bisschen attraktiver für junge Leute werden“, sagt sie nach ihrem Auftritt. „Er wird als konservativ abgestempelt, dabei gibt es hier echt mehr, als viele Leute denken. So viel bunte Kreativität und Offenheit.“

Zum Abschluss wird bei Louis Emp wieder gezappelt. Der Augsburger DJ spielt seine Techno-Beats normalerweise als Resident DJ der queeren Clubnacht in München in der Roten Sonne, hat aber auch immer wieder Spaß daran, bei lokalen Festivals aufzutreten. Das ist ihm wichtig. „Nicht einfach nach Berlin abhauen! Es ist so wichtig, dass die Szene hier floriert.“

„Wir sind zum Singen und zum Tanzen da – also tanzt!“, fordert Helena Niederstraßer von "Vandalisbin" das Publikum auf. (Foto: Stephan Rumpf)
Ein Ausflug in die goldenen Jahre des Trip-Hop: "FEH". (Foto: Stephan Rumpf)
Volle Energie voraus: "Die Streuner" und ihre moderne Auslegung von NDW. (Foto: Stephan Rumpf)

Das gilt auch für München, also zurück zum „Sound of Munich Now“: Helena Niederstraßer und ihre Band Vandalisbin sorgen für reichlich Bewegung im Saal. „Wir sind zum Singen und zum Tanzen da – also tanzt!“, fordert Helena mit kräftiger Stimme die Menge auf, und es dauert keine Sekunde, bis die Fans zu ihrem Song „Dornen“ loslegen. „Dieses Lied geht live total ab“, erzählt sie später und lacht. „Aus meiner Erfahrung von anderen Konzerten weiß ich, dass das Lied ein totaler Banger ist – da tanzen die meisten!“ Und sie behält recht – auch an diesem Abend lässt die Energie im Raum kaum nach.

Bei Leniliciouz geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Haltung. (Foto: Stephan Rumpf)

 „Smash Patriarchy“ steht in neonfarbenen bunten Buchstaben, auf der weißen Flagge, die die Rapperin Leniliciouz auf der Bühne hisst. Ihre Präsenz ist kraftvoll, ihre Botschaft unüberhörbar. Schon mit den ersten Beats, die durch die Halle hallen, wird klar: Hier geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Haltung. Mit einem entschlossenen Lächeln schwenkt sie die Fahne, während das Publikum tobt. Es ist nicht nur eine symbolische Geste – es ist ein Statement. Als sie die Flagge über die Köpfe der Zuschauer schwenkt, entsteht ein Moment der Einheit, der spürbar durch die Halle vibriert. Die Menge jubelt, viele Fans recken ihre Hände in die Luft, einige singen lauthals mit. Die Flagge weht weiterhin über der Menge, und für einen kurzen Moment scheint es, als ob die gesamte Halle im Einklang atmet. Ihre Botschaft gegen das Patriarchat ist klar und unmissverständlich, und die Fans tanzen und singen in völliger Einheit mit ihr.

Will aus dem Schatten seines Vaters treten: Yaris, Sohn von Peter Maffay. (Foto: Stephan Rumpf)

Zwischen Indie, Folk, Rock und Soul überrascht das Festival mit seiner musikalischen Vielfalt. Yaris, ein Deutsch-Rock-Sänger – und ganz nebenbei der Sohn von Peter Maffay, was an diesem Abend keine Bedeutung besitzt –, bringt noch eine Prise Abenteuer und Sehnsucht nach Freiheit auf die Bühne. Er singt über seine Erlebnisse auf Mallorca, wo er bis zu seinem 17. Lebensjahr gelebt hat. Und auch wenn er häufig gemeinsam mit seinem Vater auf den ganz großen Bühnen Deutschlands spielt, ist er in diesem für seine Verhältnisse intimen Konzert-Umfeld nervös und hat sich extra Notizen für seine Ansagen gemacht.

„Mein Vater riet mir immer, für meine Karriere ‚ein Haus‘ aus mehreren Steinen zu bauen“, verrät er nach seinem Auftritt. Er setzt dies um, indem er neben dem Singen auch auf Social Media und andere Jobs rund um die Musik annimmt, um sich weitere Standbeine aufzubauen. Doch an diesem Abend stehen ganz klar seine Lieder im Mittelpunkt – das spürt man mit jeder gespielten Note. „Egal, in welcher Stadt ich war, ich komme immer wieder am liebsten nach München zurück – die Leute und auch die Gigs, die man hier spielen kann, sind großartig.“

Plume ruft rekordverdächtig häufig zum Moshphit auf – und Sänger Pascal Pashaee schenkt der Kamera höchste Aufmerksamkeit. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Münchner Musikszene ist vielfältig, lebendig und vor allem miteinander verwoben. Der Schlagzeuger von Plainhead spielt auch bei Hallway. Packed Rich, der bereits im Vorjahr beim Sound of Munich Now gespielt hat, begeistert in diesem Jahr am Keyboard bei Cellz. Caro Kelley, 2022 Künstlerin beim Festival, spielt heuer in der Band von Caitlin Dalton. Und weil auch in diesem Jahr die Video-Crew von Ideal Ent. jeden Auftritt filmt, sieht man wildes Posen der Bands. Plume ruft rekordverdächtig häufig zum Moshphit auf – und Sänger Pascal Pashaee schenkt der Kamera höchste Aufmerksamkeit.

Was das Sound of Munich Now zu einem unvergesslichen Erlebnis macht, ist nicht nur die Musik, sondern die spürbare Verbundenheit. Bands und Publikum verschmelzen zu einer Einheit. Den ganzen Abend über. Bis zum letzten Konzert. Bis zum letzten Song der erst 2023 gegründeten Band BLŸTE. Sänger Florian Endriß springt beim Song „Wie immer“ von der Bühne, läuft durch die Menge, während die Fans den Text laut mitsingen. Da ist sie wieder. Die Magie des Augenblicks. Der Zauber des Sounds of Munich.

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