Sorgen junger Menschen:Eine Absage nach der anderen

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Die Corona-Krise macht es vielen Menschen schwer, einen guten Job zu finden. Mansoori S. arbeitete in Afghanistan als Dolmetscher, in München war er als Paketzusteller tätig, bis er krank wurde. Ahmet G. ist auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz

Von Thomas Anlauf

Er war ein hoch angesehener Mann in Afghanistan. Regelmäßig war er im Fernsehen zu sehen, wenn er etwa dolmetschte. Er arbeitete für internationale Organisationen, auch für die Bundeswehr in Kundus. Doch das war für die Taliban Grund genug, Mansoori S. töten zu wollen. "Ich habe alle zwei Wochen Morddrohungen bekommen", sagt der 38-Jährige, der fließend Deutsch und Englisch spricht. Der Agrarwissenschaftler und Businessmanager hatte mit seiner Frau, die Finanzmanagement studiert hatte, und seinen zwei kleinen Kindern eigentlich ein gutes Leben im Nordosten Afghanistans. Er hatte nicht daran gedacht, das Land zu verlassen. Doch es wurde immer gefährlicher für die Familie. Im Januar 2015 erhielten Mansoori S. und seine Familie Visa für Deutschland, sie wurden in Sicherheit gebracht.

Das Paar hatte große Hoffnungen, in München ein neues Leben aufbauen zu können - in Frieden und Freiheit. Mit seiner Berufserfahrung und seiner Ausbildung würden er und seine Frau sicherlich schnell Fuß fassen und auf eigenen Beinen stehen. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht. Jede Woche schrieb Mansoori S. zehn bis 15 Bewerbungen, "aber es gab nur Absagen", sagt er. Schließlich ging er zum Jobcenter. Doch da habe man ihm gesagt, es sei egal, ob er einen Bachelor oder Master habe, er müsse einfach etwas arbeiten. Also nahm Mansoori S. einen Job bei einer Mietwagenfirma an. Mittlerweile waren noch zwei Kinder geboren, heute sind die drei Buben und ein Mädchen neun, sechs, fünf und zwei Jahre alt. Die beiden älteren gehen schon zur Schule, ein Kind in den Kindergarten, ein weiteres in eine Kindertagesstätte. Die Ausgaben für die Kinder sind hoch, irgendwie ging es ja. Doch dann kam das Corona-Virus.

Wegen der vielen Kontakte, die Mansoori S. in seinem Job bei der Mietwagenfirma hatte, hörte er aus Sicherheitsgründen auf und begann als Paketzusteller zu arbeiten. Daneben bewirbt er sich natürlich weiter für einen Job, der mehr seiner Berufserfahrung und seiner Ausbildung entspricht. Aber jetzt haben viele wegen der Corona-Krise einen Einstellungsstopp. Und von der Schlepperei der schweren Pakete wurde Mansoori S. schließlich krank. Die Schulter ist entzündet, seit einem Monat ist er deshalb in ärztlicher Behandlung. Und er ist arbeitslos.

Doch er gibt die Hoffnung auf ein normales Leben nicht auf. Für seine Frau hat er nun einen Platz gefunden, wo sie in einem Kurs besser Deutsch lernen kann, währenddessen ist eines der Kinder in der Kita. Er hilft bei den Hausaufgaben. Und wenn er dann Zeit hat, schreibt er weiter Bewerbungen. Zurück nach Kundus kann er mit seiner Familie nicht mehr. Als die Taliban im September 2015 Kundus einnahmen, waren Mansoori S. und seine Familie zwar schon in Deutschland in Sicherheit. Doch die Kämpfer besetzten das Haus der Eltern und quartierten sich dort ein. Dem Vater sagten sie, er könne seinen Besitz behalten. Alles, was sie wollten, sei der Sohn. "Deshalb sind wir hier", sagt Mansoori S. Seine ganze Hoffnung ruht auf einem selbstbestimmten und sicheren Leben in München.

Die Corona-Krise macht es vielen Menschen schwer, einen guten Job oder einen Ausbildungsplatz zu finden. Zahlreiche Unternehmen in München haben ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und oftmals auch einen Einstellungsstopp verhängt. Wer jetzt keinen Job hat, findet auch nur schwer eine adäquate Stelle. Insbesondere Menschen, die nur gering qualifiziert sind, sind derzeit auf dem angespannten Arbeitsmarkt fast chancenlos. Die Arbeitslosigkeit hatte in München ihren bisherigen Höchstwert im August mit knapp 49 000 Arbeitslosen. Besonders die Zahl der Arbeitssuchenden, die Anspruch auf Grundsicherung haben, stieg in diesem Jahr deutlich an. Im Vergleich zu Februar waren es im Herbst 22,1 Prozent mehr Menschen. Gemessen an allen Arbeitslosen sind zwei Drittel nur geringqualifiziert. Auch Selbständige, die ihren Lebensunterhalt mit dem Einkommen nicht mehr bestreiten können, werden immer mehr: So hat sich deren Zahl im Vergleich zum Februar nach Angaben des Jobcenters München mehr als verdoppelt.

Ahmet G. arbeitet derzeit in einer Tankstelle. Von seinem Verdienst kann er seiner Mutter Münevver etwas abgeben, die wegen der Corona-Pandemie ihre Anstellung verloren hatte. (Foto: Catherina Hess)

Mit der Corona-Krise verschärfte sich die Lebenssituation der Familie G. zusehends. Münevver G. lebt seit 2007 getrennt von ihrem Mann. Seither hat er nie Unterhalt für die beiden Kinder Ahmet und Esra gezahlt. Die Mutter arbeitete nebenbei als Küchenhilfe oder Kellnerin. Doch im Frühjahr verlor sie wegen der Corona-Pandemie ihre Anstellung. Der 19-jährige Ahmet konnte während seiner Ausbildung in Lagerlogistik auch nicht viel zum Familienunterhalt beitragen. Doch die Firma, bei der Ahmet G. seine Ausbildung machte, kümmerte sich kaum um ihn. "Es gab zu wenig zu tun", sagt er. Schließlich hörte er dort auf. Um Geld für den Haushalt zu verdienen, hat er sich bei Tankstellen beworben. "Ich hatte Glück", erzählt Ahmet G. Etwa 20 Bewerbungen hatte er losgeschickt, jetzt ist er in der Probezeit bei einer Tankstelle, 20 Minuten von zu Hause entfernt. Das Geld, na ja, "es reicht schon für mich und reicht auch, um meiner Mutter etwas Geld zu geben". Er müsse aber langfristig auch auf seine Zukunft schauen. Ihm ist durchaus bewusst, dass eine abgeschlossene Ausbildung wichtig für einen Beruf ist.

Das hat Ahmet G. schon einmal erkannt. In der Schule hatte er Probleme, schließlich brach er die Schule ab und jobbte erst einmal. "Aber dann habe ich gemerkt, wie wichtig ein Abschluss ist", sagt Ahmet G. Also holte er extern den Hauptschulabschluss nach.

Große Sprünge kann Familie G. nicht machen, die Mutter sucht nach wie vor nach einem neuen Job. Aber in der Corona-Krise ist das schwierig.

Und dann sind da noch die täglichen Dinge. Kürzlich erst ging der Ofen kaputt. Ahmet wünscht sich, dass sie einen neuen bekommen, aber das Geld reicht derzeit nicht. Und seiner Mutter würde er gerne einen Urlaub finanzieren. "Den hat sie wirklich verdient", sagt der gebürtige Münchner. "Sie hat wirklich immer zu mir gehalten." Vielleicht klappt es ja mit einer kurzen Reise für die Mutter. Ahmets Schwester hat kürzlich die Ausbildung zur Erzieherin bestanden. Jetzt kann sie auch zum Familienunterhalt beitragen. Und Ahmet ist zuversichtlich, dass er nach der Corona-Krise noch einmal eine Chance bekommt, Lagerlogistik zu lernen. Schließlich sei er ja "der Mann in der Familie".

© SZ vom 12.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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