Süddeutsche Zeitung

Weiße Rose:Hier wurde "Sophie Scholl" gedreht

Die Schlüsselszene von Marc Rothemunds Film über die Geschichte der Geschwister Scholl ist am Originalschauplatz entstanden: im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität. Dafür war ein bisschen Trickserei nötig.

Von Christiane Lutz

Die Klingel schrillt zum Ende der Vorlesung, eine junge Frau zögert kurz und schubst dann einen Stapel Flugblätter über die Balustrade. Langsam segeln die Papiere hinunter in den Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität. Es ist ein Flugblatt, das zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufruft, die Frau ist Sophie Scholl, natürlich.

Ob es diesen Schubser so gegeben hat, ist nicht klar. Klar ist aber, dass es die Flugblätter und die Geschwister Scholl gegeben hat, die am 18. Februar 1943 zum wiederholten Male Flugblätter in der Universität verteilten haben. An dem Tag wurden sie vom Hausschlosser beobachtet, von der Polizei verhaftet und nach einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt.

Dieser Balustraden-Schubser ist die Schlüsselszene von "Sophie Scholl - die letzten Tage". Ein Film von Marc Rothemund, der 2005 in die Kinos kam und indem Julia Jentsch die Hauptrolle spielte. Der Film erzählt sehr ausführlich und zu großen Teilen historisch belegbar vom Prozess, der den Geschwistern Scholl nach ihrer Verhaftung gemacht wird. Die Flugblattszene in der LMU ist ein früher Wendepunkt der Geschichte, sie kommt schon in den ersten 20 Minuten des Films. Damit erzählt der Regisseur Rothemund auch etwas über Sophie, die im entscheidenden Moment nämlich ein wenig mehr wagt als ihr Bruder.

Sven Burgemeister ist Geschäftsführer der TV60 Filmproduktion, er hat den Film mit zu verantworten. Ein Film über Sophie Scholl sollte natürlich von einer Münchner Firma gemacht werden, schließlich spielten sich hier Teile des kurzen Lebens der Geschwister und ihren Mitstreitern der "Weißen Rose" ab. Burgemeister sagt: "Wir konnten die LMU und den Lichthof für die Dreharbeiten praktisch so nehmen, wie sie waren." Das Hauptgebäude wurde am Ende des Zweiten Weltkrieg zwar beinahe vollständig zerstört, aber so wieder aufgebaut, dass es für die Filmleute mit recht wenig Aufwand wieder so aussehen konnte wie 1943.

Ein Glück, denn für den Film war damals kein großes Budget eingeplant. "Wir waren unsicher, ob der Film gesehen werden will. Aber wir fanden es wichtig, ihn zu machen", sagt Burgemeister. Große Räume wie den Lichthof der Universität historisch passend umzubauen, wäre kaum bezahlbar gewesen. "Die Adaptionskosten bei solchen Umbauten sind enorm, der Rückbau anstrengend. Auch der heutige Verkehr auf einer Straße wie der Ludwigstraße macht es fast unmöglich, historisch zu drehen."

Das von Friedrich von Gärtner geplante Hauptgebäude der LMU entstand 1840, auch wenn die Uni selbst viel älter ist, sie wurde 1472 in Ingolstadt gegründet und erst 1826 nach München geholt. Der Lichthof mit der großen Stuckdecke aus Marmor und der Glaskuppel ist Teil eines Erweiterungsbaus, der zwischen 1906 und 1910 gebaut wurde. 2012, also mehrere Jahre nach dem Filmdreh, wurde der Lichthof einige Monate lang saniert, Wasserschäden ausgebessert und historische Lampen zurück an ihren Platz gebracht.

Mit ein bisschen Trickserei konnte TV60 die Flugblatt-Szenen dann so drehen, dass kaum etwas verändert werden musste. Am Hintereingang der Universität, von der Amalienstraße aus gesehen, konnten für den Film historische Autos vorfahren, am Straßenabschnitt zwischen Siegestor und Akademiestraße und Adalbertstraße mussten lediglich ein paar Hakenkreuz-Fahnen angebracht und Straßenschilder kaschiert werden. Im Lichthof selbst entfernte das Team die Büste von Sophie Scholl, die heute neben dem Eingang zur Gedenkstätte für die "Weiße Rose" an der Wand angebracht ist.

Die Flugblatt-Szenen standen am Anfang des Drehs. Die Flugblätter mussten allerdings originalgetreu nachgebildet werden, was verhältnismäßig einfach war. Die Szenenbildner organisierten Papier in der Stärke und Farbe aus den Vierzigerjahren, das wurde mit der Schreibmaschine beschrieben und dann mit Hilfe von Wachsmatrizen vervielfältigt. Genau so, wie die Geschwister Scholl gearbeitet haben. "Wir mussten sicher sein, dass es echt aussieht, falls ein Blatt beim Drehen nah an der Kamera vorbeifliegt", sagt Burgemeister.

"Sophie Scholl" wollten dann übrigens doch sehr viele Menschen sehen - der Filmgewann etliche Preise und war 2006 für den Oscar nominiert.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2018/haeg
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