Sammlerstück im Münchner Süden:Warten auf die Postkutsche

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Die historische Postkutsche in der Herterichstraße wird von ihrem Podest gehoben, weil sie restauriert werden soll. (Foto: Leonhard Simon)

Der historische gelbe Wagen vor der Post in Solln ist verschwunden - aber nur vorübergehend. Immobilienbesitzer Ottmar Beck lässt das Gefährt in einem Museum restaurieren. Für die Wartezeit hat er schon ein neues Exponat aufgefahren.

Von Jürgen Wolfram

Wer dem verkehrstechnischen Fortschritt mit Skepsis begegnet, riskiert hämische Bemerkungen. So ein Bremser sei wohl im Postkutschen-Zeitalter stecken geblieben, heißt es dann. Anders in Solln. Hier, am südlichen Rand der Stadt, ist die Ära der Pferdedroschken gerade erst beendet worden, und auch das nur vorübergehend. Denn die Kutsche, die vor dem Postgebäude an der Herterichstraße 103 von ihrem Ausstellungspodest geholt wurde, begibt sich lediglich in "Schönheitskur". Sie wird in einer oberfränkischen Museumswerkstatt restauriert.

Die verwitterte Karosserie muss gründlich aufpoliert werden. In drei bis vier Wochen kehrt das neu hergerichtete Gefährt dann an jenen Ort zurück, der vor sieben Jahren sein fester Parkplatz geworden ist. Bis dahin wird es durch einen Postschlitten ersetzt, Baujahr 1820, hergestellt in München. Mit diesem Gerät wurden einst Briefe und Pakete an den Ufern des Starnberger Sees befördert. Später soll der Schlitten sein eigenes Schaugestell an der Herterichstraße erhalten.

Sammler und Restaurator Hans-Jörg Wildung soll das Gefährt einer "Schönheitskur" unterziehen. (Foto: Leonhard Simon)

Die Postkutsche, der Postschlitten - solche Relikte postalischer Frühzeit dirigiert Ottmar Beck gern mal nach Solln und verschafft dem Stadtteil damit aus freien Stücken museale Relevanz. Praktischerweise gehört dem 91-Jährigen auch der Postgebäude-Komplex an der Herterichstraße, das macht die Sache einfacher. Beck, von Beruf Diplom-Ingenieur für Bauwesen, folgt mit der Dauerausstellung historischer Hingucker seinem beruflichen Credo: "Den Zweck eines Gebäudes soll man von außen sehen."

Die Sollner Postkutsche, vor etwa 150 Jahren vom Wagenfabrikanten Städeli im schweizerischen Chur gebaut, hat ihre letzte Fahrt kurz nach dem Ersten Weltkrieg absolviert. Sie führte von Wolfratshausen zum Kloster Reutberg. Vorläufige Endstation war danach jenes Museum auf Schloss Kühlenfels in Oberfranken, wo der Sammler, Restaurator, Reit- und Kutschfahrlehrer Hans-Jörg Wildung das stolze Stück nun restauriert.

Wenn er damit fertig ist, transportiert er die Attraktion zurück nach München, mit einem Tieflader. Denn hoch auf dem gern besungenen gelben Wagen fährt kaum noch jemand durch die Lande. Wer hat heutzutage schon so viel Zeit wie Goethe auf seinen Italienreisen? "Aber auch weil man zum Lenken von Gespannen einen speziellen Führerschein braucht, werden Kutschfahrten selten unternommen", weiß Beck. Und schon gar nicht dienen die letzten funktionsfähigen Ein- und Mehrspänner zugleich dem Post- und Personentransport. Längst außer Betrieb ist auch der niedliche Minibriefkasten am Heck.

Die Kutsche wurde vor 150 Jahren in der Schweiz gebaut. (Foto: Leonhard Simon)
(Foto: Leonhard Simon)

Ehe Beck dem oberfränkischen Museum die Postkutsche mit der Spaßnummer 4711 abkaufte, hatte der Hobby-Postillon aus Solln sich "in ungefähr 20 anderen Häusern" nach einem derartigen Gefährt umgeschaut. Handelseinig wurde er zunächst mit keinem, vor allem weil Sammlungen ihre Exponate am liebsten selbst behalten und eher an- als verkaufen. Auch in Regensburg stieß Beck auf Granit: "Gloria von Thurn und Taxis, die gibt nix her." Fündig wurde er nach langer Suche in der fränkischen Schweiz, wo man Verständnis für seinen Wunsch nach origineller Postfassaden-Gestaltung zeigte. Diese Neigung hatte Beck zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Wandgemälde unter Beweis gestellt. Es zeigt, na klar, einen Postboten in Aktion.

Der Post in Solln seinen Stempel aufzudrücken, das sei "schon eine echte Gaudi", findet Beck. Seine Mieter, die Deutsche Post AG, die Postbank und die Bewohner des Postlerheims, dürften an den farbig-musealen Einsprengseln im Betongrau gleichfalls ihre Freude haben. Und den Kunden, die sich mitunter in Warteschlangen wiederfinden, die bis aufs Trottoir reichen, mögen sie ein wenig Trost spenden.

Die postalische Leidenschaft lässt Beck sich einiges kosten. Allein das erhöhte Kutschenpodest schlug mit 35 000 Euro zu Buche; über den wahren Wert der Antiquitäten auf Rädern und Kufen breiten Sammler lieber den Mantel des Schweigens. Wenn die Kutsche in wenigen Wochen in neuem Glanz zurückkehrt, soll das mit einem Straßenfest gefeiert werden. Wer diesmal die unter einer Plane verborgene Kutsche enthüllen darf, steht noch nicht fest. Bei der Feier zur Erstpräsentation 2016 hatte eine Wiesn-Legende den Part übernommen: Manfred Schauer ("Auf geht's beim Schichtl"). Geschichte liegt in der Luft. Das Postkutschen-Zeitalter, in Solln ist es noch lange nicht vorbei.

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