Möbel-Design:Bitte Platz nehmen

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Das Sofa "Cloverleaf" des dänischen Designers Verner Panton aus dem Jahr 1969 gehört zu den beliebtesten Objekten bei "Social Seating" in der Rotunde der Pinakothek der Moderne. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Wer sitzt gern wo und worauf? Und welches Möbelstück bringt mehr Menschen miteinander ins Gespräch? Die Sitz-Klassiker bei „Social Seating“ in der Pinakothek der Moderne geben Antworten.

Von Evelyn Vogel

Ob bei der Wahl des Tisches in der Kneipe, im Restaurant oder im Biergarten, der Buchung des Sitzplatzes bei der Bahn, im Flugzeug oder im Bus – wer wie sitzen möchte und mit wem oder wie nah an jemand anderem, offenbart eine Menge über den Menschen. Das fängt schon in der Schule an. Da gehen die einen möglichst eng miteinander auf Tuchfühlung, während die anderen maximale Distanz suchen. Und auch worauf jemand am liebsten sitzt, sagt einiges aus. Manche sitzen mit Vorliebe kerzengerade auf harten Stühlen oder Bänken, andere fläzen sich am liebsten irgendwo hin, ob aufs Sofa, in die Hängematte, in den Liegestuhl oder aufs Bett – Hauptsache in die Horizontale. Die Möbelindustrie trägt dem seit Jahren Rechnung, indem sie immer adipösere „Sitzlandschaften“ auf den Markt wirft, die weniger zum Sitzen als zum Liegen einladen und jede normale Wohnzimmergröße sprengen.

Aber gut. Kommunikativ sein kann man in allen Lagen. Die völkerverbindende Runde, die sich beim Oktoberfest auf Bierbänke quetscht, ist dafür der beste Beweis. Womöglich sind solche auf Nähe ausgerichteten Ereignisse umso wichtiger, je mehr der Digital Native vereinzelt – und mitunter vereinsamt. Und wer wird je vergessen, wie es war, als es während der Corona-Pandemie zeitweilig verboten war, im Freien zu zweit auf einer Bank zu sitzen, wenn man nicht auch Tisch und Bett unter demselben Dach teilte? Wie sehr sehnte man sich damals nach jemandem am anderen Ende der Parkbank. Da wurden Wildfremde zu besten Freunden.

Für das 9. Rotundenprojekt in der Pinakothek der Moderne hat sich das Designmuseum Die Neue Sammlung mit der Idee vom Sitzen als kollektivem Erlebnis und Kommunikationsform beschäftigt. Ein Jahr lang sind Besucherinnen und Besucher des Museums eingeladen, die verschiedenen Sitzmöbel – allesamt Mehrsitzer – zu besetzen, zu teilen, darauf miteinander ins Gespräch zu kommen. „Social Seating“ nennt sich das Unterfangen.

Ein Titel, der zudem auf eine sehr zeitgenössische Art und Weise der Sitzplatzwahl verweist. Denn verschiedene Fluggesellschaften bieten eine Dienstleistung an, die die soziale Vernetzung fördert. Wer hier – freiwillig, wie betont wird – Social-Media-Daten zur Verfügung stellt, kann sich den Sitznachbarn oder die -nachbarin nach gleichen und geteilten Interessen aussuchen. Es muss also kein Zufall sein, wenn auf einem Flug von Venedig die Biennale-Besucherin mit ihrem Sitznachbarn die Eindrücke der soeben erlebten Ausstellungen teilt. Aber auch Ticketplattformen benutzen Daten aus den Sozialen Medien, um mittels Algorithmen und KI an Interessen orientierte maßgeschneiderte Bestplatzangebote zu generieren.

Wer derzeit in die Rotunde der Pinakothek der Moderne kommt, kann vor allem den ganz allgemeinen sozialen Aspekt dieses Sitzens live erleben und teilen. Wer setzt sich gern wohin und worauf? Und welche Sitzmöbel lassen am schnellsten Gespräche entstehen? Entworfen wurden sie von namhaften Designern oder Künstlern und stammen aus der Zeit von den Fünfzigerjahren bis heute. Anfangs waren es 15 Objekte. Inzwischen mussten zwei aus extrem fragilen Materialien entfernt werden, weil ihnen die Begeisterung der Besuchenden zu sehr zugesetzt hat. Form, Farbe, Material und Funktion variieren von praktisch bis spielerisch, reichen von seriellem Industriedesign bis zu Konzepten, in denen Themen wie Nachhaltigkeit eine Rolle spielen. Bei allen aber steht eine Sache im Vordergrund: die Kommunikation.

Kreisverkehr

Die Bank "Landen" von Konstantin Grcic von 2007. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

An ein gelandetes Ufo erinnert die Bank „Landen“ von Konstantin Grcic. Den geschlossenen Sitzkreis für mindestens vier Personen betritt man über zwei Stufen. Mit seiner industriell-kantigen Gestaltung will er sich von Outdoor-Möbeln absetzen, die meist typische Wohnraum-Gestaltungen zitieren. Die Plattform soll im städtischen Außenraum ein Ort der Begegnung und des Rückzugs sein.

Turmbau

Ein echter Hingucker: Mario Cananzi und Roberto Semprini haben das Sofa "Tatlin" 1989 entworfen. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Mit seinem Namen bezieht sich das spiralförmige Sofa „Tatlin“ auf den legendären Turmentwurf des konstruktivistischen Künstlers Wladimir Tatlin von 1919. Der Turm, der nie gebaut wurde, war als Denkmal für die Russische Revolution gedacht. Die beiden Designer Cananzi und Semprini ließen sich von der Form eines Holzmodells inspirieren, das im Besitz des Centre Pompidou in Paris ist.

Wetterfest

Sitzeinheit "Picnik" von Dirk Wynants und Xavier Lust von 2002. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Würde man das Objekt von Dirk Wynants und Xavier Lust platt machen – es bliebe eine geschlossene Metallplatte übrig. Denn der Tisch mit den zwei Bänken ist aus einem Stück gefaltet. Das ermöglicht nicht nur, mehrere Exemplare aufeinanderzustapeln. Es schont auch Ressourcen, weil bei der Herstellung kein Abfall entsteht. „Picnik“ kann im Innen- und Außenbereich eingesetzt werden.

Im Gras

Der Schaumstoffbegeisterung der Sechzigerjahre trug die Gruppo Sturm mit dem Sitzobjekt "Pratone Forever Greener" 1966 Rechnung. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

In den Sechzigerjahren prägte die Faszination für Kunststoff und dessen nahezu unendliche Möglichkeiten das Design. Hinzu kam eine kritische Haltung gegenüber dem konventionellen Funktionalismus. So wurde das steife, aufrechte Sitzen rigoros in Frage gestellt. Die italienische Gruppo Sturm mit Giorgio Ceretti, Pietro Derossi und Riccardo Rosso entwarf eines der ungewöhnlichsten Sitzobjekte der Antidesign-Bewegung: „Pratone Forever Greener“, ein Stück vergrößerter grüner Rasen, in den man sich hinein fläzen kann.

Wellenritt

Ein Schubser, und schon setzt sich Kim André Langes "Surfbench" von 2021 in Bewegung. (Foto: Kim André Lange)

Wer diese „Surfbench“ von Kim André Lange benutzt, verwandelt sie automatisch in ein kinetisches Objekt. Die skelettartigen Rippen lassen sich wellenförmig bewegen und bieten eine unterhaltsame Alternative für öffentliche Wartebereiche. So wird das Sitzen zur sinnlichen Interaktion, bei der die Menschen mit ziemlicher Sicherheit miteinander ins Gespräch kommen.

Kleeblatt

Verner Pantons Sofa "Cloverleaf" von 1969. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Der Däne Verner Panton revolutionierte in den Sechzigerjahren mit seinen modularen Sitzlandschaften in leuchtenden Farben nüchterne Wohnkonventionen. Sitzen – wie hier auf „Cloverleaf“ von 1969 – wurde zum Erlebnis. Die beliebig arrangierbare Kleeblattform lädt zum Platznehmen und Kommunizieren ein, was das Museumspublikum in München begeistert wahrnimmt. Das von Panton entwickelte Farbenspektrum nimmt zudem bewusst Einfluss auf die emotionale Stimmung der Menschen.

Tatzelwurm

Die Sitzschlange "DS-600" wurde von Ueli Berger, Eleonore Peduzzi Riva, Heinz Ulrich, Klaus Vogt 1972 entworfen. (Foto: de Sede)

Je länger, je lieber gilt bei der Sitzschlange „DS-600“, die Ueli Berger, Eleonore Peduzzi Riva, Heinz Ulrich und Klaus Vogt 1972 entworfen haben. Ihr Sofa kann durch zusammengesetzte Sitzelemente beliebig fortgesetzt werden. Durch leicht bewegliche Verbindungsstücke erhält es seine schlangenähnliche Form, was ihm auch den Namen „Tatzelwurm“ einbrachte, ein im deutschsprachigen Alpenraum bekanntes Drachenwesen und Fabeltier.

Sortenrein

Das modulare Sofa "Costume", von Stefan Diez und Dominik Hammer 2021 entworfen, kann beliebig arrangiert werden. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Wenn das mal kein Kind unserer Zeit ist! Das modulare Sofa „Costume“, von Stefan Diez und Dominik Hammer 2021 entworfen, besteht aus mindestens 50 Prozent recyceltem Material und ist selbst sortenrein recycelbar. Wegen seiner geringen Freisetzung an Chemikalien darf es in Schulen, Kindergärten und Kliniken stehen. Durch Verbindungselemente und zusätzliche Arm- und Rückenlehnen sowie verschiedene Stoffbezüge lässt sich das quadratische Hockermodul variabel erweitern.

Kinderleicht

Das Spielmöbel "Wave" von Damjan Uršic lässt sich kinderleicht umgestalten. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Kinder sitzen gern im Kreis und sie bewegen gern Bauklötze. Dem trägt „Wave“ von Damjan Uršic Rechnung. Um einen geschlossenen Kreis zu bilden, benötigt man acht der wellenförmigen Module. Aber auch Halbkreise oder geschwungene Linien können arrangiert werden. Weil die Elemente kinderleicht sind, können die kleinen Benutzer sie selbst zum Sitzen und Liegen zusammenstellen.

Roll on

Verena Hennig: Bank Roll Collection, 2015. (Foto: Tilman Weishart; AKTTEM)

Was so statisch aussieht, entpuppt sich als eine höchst interaktive Angelegenheit. Erst wenn man sich auf die Bank von Verena Henning setzt, erlebt man die Beweglichkeit der Sitzfläche. Die drehbaren Sitzstäbe übertragen ihre Dynamik auf den Menschen. Der Entwurf setzt auf den Überraschungseffekt und fordert eine aktive Reaktion der Benutzer und Benutzerinnen, die sich über die Sitzfläche schieben können.

Steinerne Mimikry

Kerstin Brätsch: "Fossil Psychic Stone Mimicry (Palladiana, Mosaico)" von 2021/22. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne/Courtesy artist, Gladstone Gallery)

Die Künstlerin Kerstin Brätsch hat das Sitzobjekt „Fossil Psychic Stone Mimicry“ 2021/22 entworfen. Sieht von vorne lustig aus. Doch wer von oben draufschaut, entdeckt den Totenkopf, der in der traditionellen Glasmosaik-Technik von der Mayer’schen Hofkunstanstalt ausgeführt wurde. Glasmosaiken sind charakteristisch für die Arbeiten von Brätsch, die darin eine Erweiterung ihrer Malerei sieht. Die Bank gehört zu einem Projekt für das Aspen Art Museum in Colorado.

Über Kreuz

Beat Franks Sitzkreuz von 1988. (Foto: Die Neue Sammlung - The Design Museum, Jasmin Minne)

Bei Beat Franks Sitzkreuz von 1988 könnte man meinen, der Schweizer habe den Spruch „auf die lange Bank schieben“ wörtlich genommen. Zwei verlängerte Sitzflächen kreuzen sich hier und ergeben ein Sitzobjekt, das von einem Zentrum ausgehend von allen Seiten offen ist. Es besteht aus neun ineinander gesteckten Teilen. Frank sieht seine Arbeit als künstlerische Möbelproduktion, die archaisch und einfach erscheint, aber technisch raffiniert umgesetzt ist.

Volksfest-Klassiker

Die klappbare Bierbank, von Rudolf Kurz 1952 entworfen. (Foto: Zingerle Group)

Sie ist 220 Zentimeter lang, klappbar, schlicht und praktisch: die Bierbank. Üblicherweise kommt sie natürlich nicht alleine daher, sondern begleitet paarweise einen ebenfalls klappbaren Tisch. Fertig ist die Biergarnitur. Mit dem speziellen Klappmechanismus hat sie Rudolf Kurz 1952 ausgestattet, wodurch sie viel leichter stapel- und transportierbar wurde. In bayerischen Biergärten gehört sie inzwischen zum festen Inventar. Ihren Eroberungszug durch die Festzelte der Wiesn trat die Bierbank in den Siebzigerjahren an und bringt dort seither viele Menschen zusammen. Daher wird die Bierbank auch das „sozialste Möbel der Welt“ genannt. Übrigens wollte Rudolf Kurz damals kein transportables Möbel fürs Bier-, sondern fürs Weinfest erfinden. Vielleicht sprechen deshalb manche Menschen auch von „Festzeltmöbel“, wenn sie eine Biergarnitur meinen.

Social Seating, Pinakothek der Moderne, bis 11. Mai 2025

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