Süddeutsche Zeitung

Slow Food aus der Region:Dieser Kohlkopf ist vom Aussterben bedroht

  • Die Slow-Food-Bewegung führt eine Liste schützenswerter Lebensmittel, die sogenannte "Arche des Geschmacks".
  • Der Münchner Ableger hat nun eine Weißkrautsorte, das "Ismaninger Kraut", für die Liste benannt.
  • Das Ismaninger Kraut ist vom Aussterben bedroht: Nur noch zwei Landwirte bauen die Sorte an.

Von Franz Kotteder

"Man kommt nicht so ohne weiteres drauf, dass es sich beim Kraut um ein Genussprodukt handelt", das räumt Professor Richard Balling schon ein. Balling kommt vom Landwirtschaftsministerium und kennt sich aus mit regionalen Lebensmitteln und mit der Genießervereinigung Slow Food.

Die hat sich auf die Fahnen geschrieben, gute, saubere und faire Lebensmittel weltweit zu fördern. Deshalb hat sie eine sogenannte "Arche des Geschmacks" geschaffen, eine Liste mit vom Aussterben bedrohten, regionalen Lebensmitteln. Die will man nach Kräften erhalten, weil sie einen besonders guten Geschmack haben und eine bestimmte Landschaft repräsentieren. Nun soll das "Ismaninger Kraut" einen Platz auf dieser Arche bekommen.

Das Münchner Slow Food-"Convivium" - so nennen sich die lokalen Ortsgruppen der internationalen Bewegung - hat das Kraut zum schützenswerten regionalen Lebensmittel ernannt. Ismaning selbst ist ja seit mehr als 500 Jahren und bis heute ein berühmtes Anbaugebiet für Kraut, wovon das Sprichwort kündet: "Des krauteste Kraut werd' z'Ismaning baut!"

Jene eigene Weißkrautsorte, eben das Ismaninger Kraut, ist jedoch vom Aussterben bedroht, trotz ihres angenehm milden Geschmacks. Nur noch zwei Bauern, Nikolaus Kraus und Max Kraus, bauen es auf ihren Höfen an und verkaufen es in ihren Hofläden. "Um die Tradition zu bewahren", wie Nikolaus Kraus sagt, "und weil dieses Kraut halt einfach zu Ismaning gehört."

Andere Krautbauern sehen das offenbar anders oder sahen sich aus Kostengründen gezwungen, den Anbau dieser besonderen Krautsorte aufzugeben. Denn sie macht schon Arbeit. Die zehn Kilo schweren Köpfe lassen sich zum Beispiel nicht maschinell ernten, brauchen sogenannte "Almböden" mit dichter Kalkschicht, und man kann sie auch nicht allzu lange lagern. "In den letzten Jahren haben vier Bauern den Anbau aufgegeben", weiß Rudolf Böhler vom Münchner Slow-Food-Convivium "und in der Stadt bekommt man schon gar kein Ismaninger Kraut mehr."

Das soll sich nun ändern, sagten Böhler, Slow-Food-Schatzmeister Rupert Ebner und Genussführer-Herausgeber Wieland Schnürch bei der Pressekonferenz im Wirtshaus Der Pschorr am Viktualienmarkt. Im Pschorr gibt es seit jeher die zwei anderen Münchner Arche-Lebensmittel, nämlich Fleisch vom Murnau-Werdenfelser Rind - Wirt Jürgen Lochbihler ist selbst Züchter - und Münchner Brotzeitsemmeln. Jetzt soll auch das Ismaninger Kraut hinzukommen. Allerdings hauptsächlich in der Saison, nämlich im Spätherbst und als Sauerkraut.

Damit allein ist das Gemüse freilich nicht vorm Aussterben zu bewahren, und so plant Slow Food eine Reihe von Aktionen, um es wieder populärer zu machen. Auch mit den Händlern auf dem Viktualienmarkt sowie mit Gastronomen, die auf Regionalität setzen, will man reden. Kurse, wie man Sauerkraut ansetzt, werden folgen. Aktuell möchte Slow Food eine Einkaufsgemeinschaft bilden, um den beiden Bauern jetzt schon sagen zu können, wie viel Kraut sie anbauen können. Ernte ist dann im Spätherbst.

Das Ismaninger Kraut ist in Deutschland der 59. Archepassagier; das Aufnahmeverfahren durchläuft mehrere Stufen. Vorschläge gibt es viele, nur wenige kommen durch. "Wir hatten zum Beispiel in Bayern mal die schwarze Rübe, die war schon ziemlich weit", erzählt Rupert Ebner, "aber dann haben wir sie verkostet und festgestellt: Die ist nicht erhaltenswert." Momentan ist Slow Food am Münchner Bierradi dran, der wohl ausnehmend gut schmeckt. Rudolf Böhler sagt: "Es gibt noch viele Dinge, die zu retten sind."

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SZ vom 27.02.2017/bhi
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