Die Hölle sei die absolute Abwesenheit Gottes, sagen Theologen. Da braucht es die vielen Foltermethoden gar nicht, mit denen Künstler nicht nur im Mittelalter die Hölle darzustellen versuchten. Mittlerweile gibt es eine weitere, geradezu erschreckend kurze Beschreibung der Hölle, die ohne jene mittelalterlichen Ausschmückungen auskommt. In ihrer Vorab-Single „Hell“ zum neuen Album „Little Rope“ beschreibt nämlich die US-amerikanische Punkband Sleater-Kinney die Hölle auch schon mal pointiert als „Verzweiflung und ein junger Mann mit einer Waffe“. In einem Interview für die 3Sat-Sendung „Kulturzeit“ mit Lillian Moschen vom ORF erklärte Corin Tucker, Sängerin und Gitarristin von Sleater-Kinney, den Song „Hell“ als eine „emotionale Metapher auf die Kultur der Gewalt in den USA“.
Und tatsächlich startet jene kurze Einlassung im Songtext, wonach die Hölle „Verzweiflung und ein junger Mann mit einer Waffe“ sei, eine innerliche Bilderflut von Amokläufen in den USA, die der Song selbst gar nicht mehr benennen muss. Stattdessen stellt er die Zeitlosigkeit solcher erlebten Hölle vor, die kein Morgen mehr kennt und auch jedes Gestern vergessen hat: „Hölle hat keine Zukunft. Hölle hat keine Vergangenheit.“ Schon verlässt der Song die politische Ebene, mit der Sleater Kinney auch hier gegen gesellschaftliche Missstände protestieren, um in ein Höllen-Erleben einzutauchen, wie es auch trauernde Menschen erfahren, die den traumatischen Verlust eines Verstorbenen zu verarbeiten versuchen.
Während der Arbeit am neuen Album waren nämlich die Mutter und der Stiefvater der Sleater-Kinney-Sängerin und Gitarristin Carrie Brownstein bei einem Autounfall in Italien ums Leben gekommen. Entsprechend behandelt das neue Album „Little Rope“ nun auch ihre Trauerarbeit. Das kleine Seil, das im Albumtitel benannt wird, kann dabei sowohl jenes Seil der Verzweiflung sein, das einem in solcher Situation zumindest gefühlt bereits wie ein Strick um den Hals hängt. Es kann zugleich aber auch ein Seil sein, das einem zugeworfen wird, damit man sich daran aus dem Schlamassel ziehen kann, in welchem man zu ertrinken droht. So jedenfalls erläutert es Brownstein ebenfalls im Interview für die Sendereihe „Kulturzeit“.
Rockhistorisch muss man „Little Rope“ indes als ein Album feiern, das so großartig ist, dass es einen Moment lang sogar die früheren Errungenschaften der Band vergessen lässt, für die unter anderem der US-amerikanische Kulturjournalist Greil Marcus Sleater-Kinney auch schon mal als „beste Band der USA“ gepriesen hatte. 1994 in Olympia, Washington, gegründet, avancierte die Band um Corin Tucker und Carrie Brownstein bald schon zu den führenden Vorbildern einer sogenannten „Riot-Grrrl-Bewegung“ in den 1990ern. Nicht nur gegen die männliche Dominanz in der Rockkultur richtete sich der Protest der bewusst aggressiv agierenden Rockmusikerinnen jener Riot-Grrrl-Bewegung. Sie brach auch mit einem bis dahin kultivierten Frauenbild in der Gesellschaft. In ihrem Song „Hot Topic“ nennt die Punkband Le Tigre darum auch Sleater-Kinney in einer Auflistung bedeutender Frauenrechtlerinnen wie Yoko Ono, Angela Davis oder Dorothy Allison.
Konzerttour Sleater-Kinney, Donnerstag, 22. August, Technikum, Speicherstraße 26. Support: Gustav. Beginn: 20 Uhr