"22. Juli - Die Schüsse von München" auf Sky Crime:Schüsse, die auch heute noch nachhallen

Lesezeit: 3 Min.

Die Bilder der Opfer am Denkmal vor dem OEZ. (Foto: Constantin Dokumentation)

Die sehenswerte TV-Dokumentation über den rassistischen Terror-Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum gibt erstaunliche Einblicke in die Tat und ihre Folgen.

Von Joachim Mölter

Für einen Moment ist man dem Tod sehr nah in der Fernseh-Dokumentation "22. Juli - Die Schüsse von München". Erst ist nur eine Stimme zu hören in einem etwas unscharfen, verwackelten Handy-Video: "Komm Bruder, schau mich an", sagt jemand, "Guiliano heißt du, oder? Wie heißt du noch mal?" Dann kommen zwei Männer ins Bild, auf dem Boden liegend, mit blutbefleckten Jeans, und man ahnt, dass Guiliano nicht mehr aufstehen wird.

Denn Hüseyin Bayri, der andere Mann auf dem Boden, hat ja schon erzählt, wie er sich hingeschmissen hat zu dem blutenden Jungen, um ihm zu helfen, und er erzählt dann weiter, wie er versucht hat, den Jungen am Leben zu halten, wie er auf ihn eingeredet und ihn gewatscht hat, damit er bloß nicht die Augen zumacht. Vergebens. Guiliano Kollmann wird eines der neun Opfer des rechtsextremen, rassistischen Attentäters vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ), dessen Tat sich an diesem Freitag zum sechsten Mal jährt.

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Es sind nur Sekunden, in der die Szene zu sehen ist - lange genug, um den Schrecken jenes Tages zu verdeutlichen; nicht genug, als dass das Leid der Betroffenen voyeuristisch zur Schau gestellt würde. Das Gesicht des sterbenden Guiliano ist nicht zu erkennen; der Tod ist zwar nah, aber man schaut ihm nicht direkt in die Augen.

Der Balanceakt zwischen nüchterner, aber ausführlicher Darstellung und Effekthascherei gelingt

Berichterstattung über Katastrophen bewegt sich auf einem Grat, auf dem man stets aufpassen muss, bei einer nüchternen und doch anschaulichen Darstellung zu bleiben und nicht in Effekthascherei abzustürzen. Dieser Balanceakt gelingt dem Regisseur und Autor Johannes Preuss in seiner vierteiligen Dokumentation, die von diesem Donnerstag an auf Sky Crime ausgestrahlt wird. Produziert hat die Serie das TV-Unternehmen Constantin Dokumentation, in Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung. Der SZ-Polizeireporter Martin Bernstein ist dabei nicht nur als Interviewpartner vor der Kamera zu sehen, er hat auch hinter den Kulissen das Produktionsteam beraten.

Herausgekommen ist eine sehenswerte Rekonstruktion und Analyse des Geschehens an jenem Juli-Tag 2016. Zwei der vier jeweils knapp 50 Minuten langen Folgen beschäftigen sich mit dem Ablauf der Ereignisse (Folge 1, "Eine Stadt in Panik" sowie Folge 3, "Die Tat"), die anderen beiden behandeln die Hintergründe (Folge 2, "Der Täter" sowie Folge 4, "Das Terror-Netzwerk"). Der Regisseur Preuss blickt aus vielen Perspektiven auf den Anschlag, er hat Hinterbliebene und Augenzeugen befragt, Politiker und Polizisten, Anwälte, Journalisten und Terror-Experten; sogar ein Freund und eine Freundin des Täters kommen zu Wort. Es sind zum Teil berührende Schilderungen, bei denen man sieht, wie das Erlebte noch Jahre später die Betroffenen bewegt. Wie sie ihre Sätze nachhallen lassen, ehe sie weiter nach Worten ringen.

Wie sich Panik in München verbreitete, ist ein Lehrstück über den Einfluss der neuen Medien

So versucht ein Notarzt zu erklären, wie Ersthelfer gegen ihre Intuition ankämpfen müssen, um möglichst viele Menschen zu retten: Nicht gleich den ersten Verletzten behandeln, sondern schauen, ob es nicht bei einem anderen dringender ist. Eine Beamtin der Spurensicherung erinnert sich an klingelnde Handys der jungen Opfer am Tatort - und wie sie sich vorstellte, dass da jetzt Mütter und Väter, Geschwister und Freunde auf ein Lebenszeichen hoffen, das nicht mehr kommen wird.

Die Dokumentation verschafft den Zuschauerinnen und Zuschauern außergewöhnlich tiefe Einblicke. So erfährt man, wie sich am Abend des 22. Juli eine stundenlang anhaltende Panik in München ausbreiten konnte, obwohl die Tat im Grunde ja nur drei Minuten gedauert hatte. Der Täter David S. hatte alle seine neun Opfer zwischen 17.51 und 17.54 Uhr erschossen und sich dann stundenlang versteckt, ehe er sich umbrachte. Allein dieser Aspekt der Panik ist ein Lehrstück über den Einfluss der neuen Medien, über die in rasender Geschwindigkeit Falschmeldungen verbreitet und aufgebauscht wurden.

Ansonsten verrät ein Zollfahnder aus Frankfurt erstaunlich offen, wie er dem Waffenhändler auf die Spur gekommen ist, der dem Attentäter David S. eine Pistole und mehrere Hundert Schuss Munition verkauft hat. Und man erfährt auch, in welchem rechten, rassistischen und internationalen Netzwerk sich der Täter bewegte und offenkundig auch radikalisierte. Interessant ist dabei vor allem, wie sich die offizielle Einschätzung der Tat veränderte im Laufe der Jahre und im Zuge neuer Erkenntnisse - von einem schlichten Amoklauf hin zu einem rechtsextremen Terror-Akt.

Auf einige Fragen kann die Doku keine Antworten geben - aber auch das sagt viel aus

Es war ja nicht so, dass der Täter sich für erlittenes Mobbing rächen wollte, wie es zunächst hieß; dafür hätte er seine Opfer gezielt an seiner ehemaligen Schule aufsuchen müssen. Aber nach dem Vorbild des norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik tötete er wahllos junge Menschen in ihrer Freizeit, deren Gemeinsamkeit war, dass alle einen offensichtlichen Migrationshintergrund hatten. Auch dieses rassistische Motiv wird in der Dokumentation schlüssig herausgearbeitet.

So gut die Dokumentation auch gemacht ist - alle Fragen zu den Hintergründen kann sie nicht beantworten. So bleibt im Dunkeln, was es wirklich mit dem Bekannten von David S. auf sich hat, mit dem er unmittelbar vor der Tat zusammen war, und den die Ermittler nicht als Mitwisser einstufen. Auch seitens der Schule des Attentäters hätte man sich die eine oder andere Erklärung zu den Mobbingvorwürfen gewünscht. Dass die Schule nichts zur öffentlichen Aufklärung beitragen mag, sagt allerdings auch einiges aus.

"22. Juli - Die Schüsse von München", auf Sky Crime

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