Oberlandesgericht München:Arzt zieht verwirrtem Patienten alle Zähne

  • Zahnarzt Klaus K. hat einem Patienten auf dessen Wunsch alle Zähne gezogen.
  • Der Patient glaubte, seine Zähne würden die Energieströme in seinem Körper stören und hoffte, ohne Zähne seiner Potenzstörungen Herr zu werden.
  • Dass sein Patient unter einer schizophrenen Psychose litt, will der Arzt nicht bemerkt haben.

Von Lisa Schnell

Zahnarzt Klaus K. sitzt vor dem Richter des Oberlandesgericht Münchens und blickt ihn ungläubig an. Der kleine Mann mit den roten Pausbacken und den schwarzen Haaren kann wohl nicht verstehen, warum seine Behandlungsmethoden "merkwürdig" sein sollen, wie der Richter sagt. Dabei ist das noch eine sehr zurückhaltende Beschreibung dessen, was Anfang 2013 in der Praxis von K. in München passierte.

Dort zog K. dem heute 28-jährigen Alex S. in nur knapp vier Wochen alle Zähne, die er noch hatte, insgesamt 19 Stück. S. glaubte, seine Zähne würden die Energieströme in seinem Körper stören. Außerdem litt er angeblich unter Potenzstörungen und erhoffte sich, zahnlos wieder seine volle Männlichkeit zurück zu gewinnen. K. ließ sich von den ungewöhnlichen Ausführungen seines Patienten nicht beirren, operierte und stellte eine Rechnung von mehr als 2000 Euro. Dass sein Patient unter einer schizophrenen Psychose litt, will der Arzt nicht bemerkt haben. Kurz nach seiner Behandlung wurde S. in seiner Heimat Hessen in die Psychiatrie eingewiesen. Er selbst ist noch heute überzeugt, zahnlos glücklicher zu sein. Nicht so sein rechtlicher Betreuer, der den Zahnarzt anzeigte.

Wie der Zahnarzt die Behandlung begründet

Im August 2014 verurteilte das Landgericht München II diesen zu 20 000 Euro Schmerzensgeld. Der Mediziner legte Berufung ein. Doch auch der Richter des Oberlandesgericht Münchens tat sich am Mittwoch schwer, seinen Ausführungen zu folgen. Der Zahnarzt argumentierte, es habe für seine Behandlung durchaus medizinische Gründe gegeben.

S. habe unter einer chronischen Knochenmarkentzündung gelitten und sei gegen Zahnfüllungen allergisch gewesen. Allerdings hätte es keine Entzündungen gegeben, sagt der Anwalt des Patienten. Einige der 19 Zähne hatten überhaupt keine Füllung. Ein zahnärztliches Gutachten hatte ergeben, dass es keinen medizinischen Grund gab, warum S. alle Zähne verlieren sollte.

Viel wahrscheinlicher ist, dass der Zahnarzt die merkwürdigen Ansichten seines Patienten teilt. Als "anerkannter Heiler" bietet er auf seiner Homepage an, die "spirituellen Selbstheilungskräfte" seiner Patienten zu aktivieren. Er wendet Bioresonanztherapien an, mit denen er die angeblichen elektromagnetischen Schwingungen von Körperzellen beeinflussen will.

"Dies ist keine Psychose, sondern bewundernswert"

Sein Patient sei "nicht wahnbestimmt", schrieb er in einem Brief an dessen Anwalt. Vielmehr sei S. ein so genanntes "Indigo-Kind". Die gelten in esoterischen Kreisen als Kinder eines neuen Zeitalters, die über besondere spirituelle Eigenschaften verfügen. "Dies ist keine Psychose, sondern bewundernswert", schrieb K. weiter. Er habe S. "geheilt", in dem er ihm seine "Giftzähne" zog. Der Anwalt seines Patienten habe wohl "zu tief ins Glas geschaut", anders sei nicht zu erklären, wie er ihm "so einen Stuss" schreiben könnte. Für die Forderungen gegen ihn verlangte K. sogar selbst ein Schmerzensgeld von 50 000 Euro.

War dem Patienten seine Krankheit anzumerken?

Da K. kein "normaler Wald- und Wiesenzahnarzt sei", sondern auch alternative Heilmethoden anwende, habe er wohl "nicht so den Sensor dafür" gehabt, dass mit dem Patienten nicht alles in Ordnung sei, hielt ihm der Richter zu gute. Trotzdem hätte er merken müssen, dass S. "nicht richtig tickt". Der ist seit Jahren in psychiatrischer Behandlung. Er lebte größtenteils im Wald, ernährte sich lange Zeit nur von Rohkost. In einem Gutachten heißt es, Alex S. sei in seiner freien Willensbildung eingeschränkt. "Man hat ihm nichts angemerkt", sagte dagegen der Zahnarzt vor Gericht. In seinem Brief schrieb er allerdings: "Dass er eine Macke hat ist ja unbestritten". Damit habe er aber nur gemeint, dass S. im tiefsten Winter immer nur mit einem kurzen Hemd bekleidet in seiner Praxis erschienen sei, erklärte er vor Gericht.

Der Richter zeigte sich wenig überzeugt. S. sei "nicht einwilligungsfähig" gewesen. "Das hätten Sie erkennen können", sagte er und legte K. nahe, seine Berufung zurückzuziehen. Nach einer kurzen Besprechung mit seinem Anwalt nahm der den Vorschlag an. K. muss nun 20 000 Euro Schmerzensgeld zahlen sowie die Folgeschäden, die seinem Patienten S. entstehen, der für den Rest seines Lebens ein Implantat tragen muss. Geknickt wirkte K. aber nicht. Schon während der Verhandlung hatte er ein seliges Lächeln auf den Lippen. Als Zahnarzt wolle er nicht mehr arbeiten, erklärte er später, sondern sich ganz auf die Schwingungen von Körperzellen konzentrieren.

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