Arbeiten mit BehinderungInklusive Boards, exklusive Designs

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Die Incluboards werden in Handarbeit gefertigt.
Die Incluboards werden in Handarbeit gefertigt. (Foto: Florian Peljak)

In einer Münchner Werkstatt entstehen Skateboards in Handarbeit – gebaut von Menschen mit Behinderung, gefahren von Profis. Doch faire Bezahlung gibt es dafür nicht.

Von Charlotte Groß-Hohnacker

In der Werkstatt hängen sie eng nebeneinander. Ein Board über dem anderen, jedes von hinten bunt bemalt. Mal sind es handgezeichnete Figuren, mal Collagen aus Magazinen. „Auf dem ist doch sogar ein Foto von dir drauf, oder?“, fragt Vince Zeh. Stefan Erl nickt. „Mit Zylinder.“

Was die beiden Männer verbindet, sind Skateboards. Vince Zeh ist 34 Jahre alt, er steht auf ihnen, seit er elf ist. Stefan Erl, 41, gestaltet sie. Er ist der Designer der inklusiven Skateboards. Auf einem fahren wird er wohl nie. Erl sitzt im Rollstuhl.

Seit 2019 ist er Teil des Projekts Incluskateboards der Pfennigparade. Die Stiftung unterstützt Menschen mit körperlicher Behinderung und anderen Einschränkungen – beim Wohnen, Lernen, Arbeiten. Die Boards sind ein besonderes Angebot: Sie entstehen in der Werkstatt in Schwabing, von Menschen mit Behinderung handgefertigt.

Stefan Erls Lieblingsmotive sind seine „Augenmenschen“: Zwei Augen, Nase, Mund – reduziert, wiedererkennbar, mit roten Linien als Adern. Drei Stunden dauere ein Design. Mit dem Zeichnen hat er begonnen, weil er sich eine kreativere Arbeit wünschte. Gruppenleiter Andreas Spießl erinnert sich: „Als Stefan damit angefangen hat, haben wir gemerkt: Das passt genau in die Skaterszene – ohne dass er das wusste.“ Erl habe den Incluboards einen grafischen Fingerabdruck gegeben.

Spießl ist gelernter Schreiner und hobbymäßiger Skater. Seit 15 Jahren arbeitet er bei der Pfennigparade, seit sechs leitet er die Gruppe Inclu Sports. Gemeinsam mit einem Kollegen entwickelte er die Skateboards – fast zwei Jahre lang. Ihr Ziel: die Arbeit so aufteilen, dass möglichst viele mitwirken können.

Die Herstellung sei komplex. Der Pop, also die Rückfederung des Bretts, sei entscheidend, erklärt Spießl. Ohne den richtigen Pop könne man keine guten Tricks machen. Vince Zeh, der nur noch Incluboards fährt, demonstriert das: Mit der Brettspitze schlägt er auf den Boden. Ein heller Klang – ein gutes Zeichen. Die Spannung halte richtig lange. Das merke er auch beim Fahren.

Drei Mitarbeiter mit Behinderung sind fest in die Produktion eingebunden. Sie schleifen Holz, sortieren die einzelnen Schichten, malen Grafiken. Gefräst wird per Hand – das übernimmt Spießl. Große Maschinen sind für viele in der Gruppe zu gefährlich. Das Risiko für einen epileptischen Anfall sei zu groß. Spießl hat als Schreiner die nötigen Zertifikate, um die Arbeiten zu übernehmen, die Kontakt mit großen Maschinen erfordern.

Bis zu 20 Boards pro Woche schaffen sie. Zum Vergleich: In großen Produktionen entstehen hunderte am Tag – industriell, voll automatisiert. Handarbeit, wie sie hier stattfindet, ist in der Skateboard-Szene selten geworden.

Von der Entstehung des Bretts bis zum Einsatz. Stefan Erl, selbst sitzt er im Rollstuhl, zeichnet die exklusiven Designs für die Incluboards.
Von der Entstehung des Bretts bis zum Einsatz. Stefan Erl, selbst sitzt er im Rollstuhl, zeichnet die exklusiven Designs für die Incluboards. (Foto: Florian Peljak)
Joey Baumann gehört zum Team derer, die die Boards herstellen.
Joey Baumann gehört zum Team derer, die die Boards herstellen. (Foto: Florian Peljak)
Skateboarder Vincent Zeh im Petuel Park. Manchmal kauft er gleich drei Boards auf einmal.
Skateboarder Vincent Zeh im Petuel Park. Manchmal kauft er gleich drei Boards auf einmal. (Foto: Florian Peljak)
Andreas Spießl ist der Gruppenleiter bei  Inclu Sports.
Andreas Spießl ist der Gruppenleiter bei Inclu Sports. (Foto: Florian Peljak)

Einmal im Jahr erscheint ein neuer Katalog mit den aktuellen Designs. Skateshops bestellen, manche Privatkunden direkt über Instagram. Ein Deck kostet 69 Euro – recht günstig für ein handgefertigtes Produkt.

Spießl ist wichtig, dass nicht mit Mitleid geworben wird. „Die Boards überzeugen durch Qualität – in Optik, Haptik, Technik. Und erst am Ende darf dann gern erwähnt werden, dass Menschen mit Behinderung sie gebaut haben. Das ist für mich Inklusion.“

Skater wie Vince Zeh kommen regelmäßig vorbei. Nicht nur, um Boards zu kaufen, sondern um sich auszutauschen. Ein Deck hält mal ein Jahr, mal nur ein paar Tage. Je nachdem, wie oft er springt und wieder auf allen vier Rollen landet. Manchmal nimmt er gleich drei mit. „Da steckt so viel Herz drin – das merkt man.“

Während Zeh draußen seine Tricks macht, zeichnet Stefan Erl drinnen an einer großen Leinwand. Diesmal kein Skateboard-Design, sondern ein Bild für die Werkstatt: Popeye, mit einer Dose Spinat und muskulösem Arm. Erl besucht auch Skateparks. Mit seinem Rollstuhl rollt er an die Halfpipe, sieht, wie andere auf seinen Boards fahren, tauscht sich mit den Skatern aus. „Voll geil“, sagt er. Dass seine Kunst benutzt wird, gibt ihm Selbstvertrauen.

Die Boards werden auch in Läden verkauft, zum Beispiel bei Santo Loco in der Münchner Innenstadt. Sie kosten so viel wie andere auch. Nur: Die Menschen, die sie herstellen, bekommen keinen normalen Lohn. Sie arbeiten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Dort gelten andere Regeln.

Beschäftigte in Deutschland verdienen dort zwischen 150 und 1000 Euro im Monat. Kritik gibt es schon lange: zu wenig Geld, zu wenig Teilhabe, zu wenig Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt. Daniela Maier, die ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt München sagt: „Wenn man sich an den UN-Behindertenrechtskonventionen orientiert und die umsetzen möchte, dann ist zumindest eine Reform der Werkstätten dringend notwendig.“

Oliver Gosolits, Vorstand der Pfennigparade, weiß um die Probleme. Werkstätten wie die der Pfennigparade seien Hybridorganisationen. Sie kombinieren Reha-Angebote mit Arbeit. Viele Beschäftigte hätten eine volle Erwerbsminderung. Auf dem Papier können sie weniger als drei Stunden am Tag arbeiten. Trotzdem gebe es Bemühungen, einige in reguläre Jobs zu vermitteln – etwa über ausgelagerte Arbeitsplätze oder Übergangsmodelle. Das ist auch die gesetzliche Aufgabe dieser Werkstätten. Die Erfolgsquote liege allerdings bei zwischen ein bis zwei Prozent.

„Schon der Weg zur Arbeit ist für viele eine Hürde“, sagt Gosolits. Die Werkstätten organisieren Fahrdienste, ermöglichen Pausen, bieten Pflege – all das sei nötig, um Beschäftigung zu ermöglichen. Manche hätten schwere Schicksale hinter sich. Für die Inklusion im regulären Betrieb reiche ein Arbeitsvertrag nicht aus – man müsse die Menschen und ihre Bedürfnisse auch auffangen können.

Trotzdem fordert Gosolits mehr: Die öffentliche Hand müsse mehr in Personal und Bildung investieren, Betriebe offener für Menschen mit Einschränkungen werden. Dieser Forderung schließt sich auch Daniela Maier an. Zwar gebe es Menschen, die sich im Werkstättensystem besser aufgehoben fühlten als auf dem ersten Arbeitsmarkt, doch müsse Arbeit auch zum Leben reichen. Das Bewusstsein der Arbeitgeber dafür, dass auch Menschen mit Beeinträchtigung eine Chance für sie sein können, sei noch ausbaufähig.

Zurück in der Werkstatt. Die Gruppe ist eng zusammengewachsen. Man kennt sich, man arbeitet zusammen, man lacht. Fast mehr Zeit als mit der Familie verbringe Spießl hier, fügt er hinzu und lacht. Er kommt früh, bereitet den Tag vor. Um halb neun beginnt die Arbeit, um halb vier ist Schluss. Freitags früher.

„Ich habe Glück, dass mich meine Arbeit erfüllt“, sagt er. „Und ich glaube, das geht Stefan, Joey und Michi auch so.“ Gemeinsam schaffen sie Produkte, die draußen im Einsatz sind. Spießl selbst skatet auch noch – natürlich mit einem Inlcuskateboard. Damit ist er nicht allein. Regelmäßig kommt er am Montagabend in die Skatehalle in Pasing. So wie gut 30 andere Skateboarder, „Ich würde sagen, fünf von ihnen fahren auch Incluboards.“

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