Es war, ist und bleibt kompliziert: Die Geschichte der renommierten Literaturzeitschrift Sinn und Form ist nicht zuletzt eine Geschichte über das vertrackte Verhältnis von Kunst und Politik, von Pressefreiheit und staatlichem Einfluss. Neuestes Kapitel ist der Rechtsstreit mit Lettre International, der die Existenz des Blatts ernsthaft bedroht - für die Bayerische Akademie der Schönen Künste Anlass genug, Sinn und Form die überschaubare Ausstellung "Die unterbrochene Geschichte" zu widmen.
Der Raum im vierten Stock ist betont unaufgeregt gehalten. Zugezogene Vorhänge, ein Kronleuchter. Kein nach Aufmerksamkeit heischender Zierrat, sondern souveräne Zeitlosigkeit. Links eine "Leseecke" mit verschiedenen Ausgaben, leicht erkennbar durch die charakteristische Farbgebung der Bände; an den Wänden Infotafeln zu unterschiedlichen Phasen der Publikationsgeschichte, zu Themen wie dem stilistischen und inhaltlichen Profil der Zeitschrift. Ergänzt werden die Texte durch Vitrinen: Hier erzählen zahlreiche, sorgfältig ausgesuchte Dokumente aus dem Redaktionsleben, darunter Briefe von Christa Wolf, Peter Weiss und Peter Handke.
Stichwort Redaktion: Gegründet wurde die Zeitschrift 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone durch den Schriftsteller Paul Wiegler und Johannes R. Becher, dem späteren Kulturminister der DDR - politischen Sprengstoff gab es also genügend. Anfang der Sechzigerjahre, informiert eine der Tafeln, habe die SED-Parteiführung nach einem linientreuen Chefredakteur gesucht, "der aus Sinn und Form eine erkennbar sozialistische Zeitschrift machen sollte". Der Dichter Peter Huchel, ein "ideologischer Grenzgänger", sei diesem Anspruch nicht gerecht geworden.
Das liegt rund 60 Jahre zurück - und heute? Da wird erneut gestritten, wieder um Kunst, Presse und Politik. Eine Vitrine, sinnbildlich im Zentrum des Raumes platziert, versammelt Zeitungsartikel rund um den Vorwurf der privaten Zeitschrift Lettre International: Indem Sinn und Form durch die Berliner Akademie der Künste finanziell von einer staatlichen Institution gestützt wird, begehe sie Wettbewerbsverzerrung, bedrohe die Chancengleichheit auf dem ohnehin kleinen Markt der Literaturblätter. Nach einstweiligem Publikationsverbot wurden kürzlich die Ausgaben für die kommenden Monate wieder genehmigt. Der Ausgang des Rechtsstreits ist weiter offen - und die Zukunft einer der traditionsreichsten Literaturzeitschriften Deutschlands damit ungewiss.
Mit ihrer Ausstellung stellt sich die Akademie der Schönen Künste auf die Seite von Sinn und Form, zeigt aber auch, dass der gegenwärtige Konflikt nicht von ungefähr kommt. An der Wand findet sich etwa ein Artikel der Zeit: Dessen Autor macht die Zukunft der Zeitschrift davon abhängig, "ob die Akademie der Künste sich weiterhin auf dieses Konstrukt einlässt: ein Geldgeber zu sein, der auf Einfluss verzichtet und die Redaktion in völliger Unabhängigkeit belässt" - und das 2009.
Mit derartigen Schlaglichtern führt die Ausstellung durch die bestimmenden Themen der Geschichte von Sinn und Form, kann diese ob ihrer kleinen Aufmachung aber freilich nicht vertiefen. Aus literarischer Sicht lohnt sich ein Besuch dennoch: Wer will, kann sich in der Leseecke in sinn- und formschöne Texte vertiefen, etwa in den Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Theodor Adorno.
Ausstellung "Die unterbrochene Geschichte", Bayerische Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3, bis 16. Juni, Infos unter sinn-und-form.de