Süddeutsche Zeitung

Sinn stiften:Knast-Karrieren

Prima Geschäftsleute - nur leider auf der schiefen Bahn: Günther Kopietz hat einen Stiftungsfond für Straftäter gegründet. Er unterstützt das Projekt Leonhard, bei dem Gefängnis-Insassen in 20 Wochen zu Unternehmern ausgebildet werden.

Von Katharina Blum

Der Dealer als gewiefter Vertriebsprofi? Aber klar! Ein Tresorknacker als Chef eines Sicherheitsdienstes? Jederzeit! "Viele Strafgefangene haben unternehmerisches Talent bewiesen. Wer einen Drogenring aufgebaut hat, der weiß viel über Kundenakquisition, Personalplanung und Vertrieb", sagt Günter Kopietz. "Prima Geschäftsleute, nur eben leider auf der schiefen Bahn." Jene schiefe Bahn, die in den meisten Fällen harmlos beginnt und dennoch in der Katastrophe enden kann. Günter Kopietz kann zwar keine Katastrophen verhindern, versucht aber, wenigstens Rückfälle zu vermeiden. Er hat den Günter-Kopietz-Stiftungsfonds gegründet, um das Projekt Leonhard zu unterstützen, das in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München Straftäter in 20 Wochen zu Unternehmern ausbildet, um die oft mühsame Jobsuche nach der Haftentlassung überflüssig zu machen.

Günther Kopietz' Lebenslauf ist kein gebrochener, sondern einer mit vorgezeichnetem Karriereweg. Studium der Betriebswirtschaft in München, erster Job bei Minolta, dann Gesamtverkaufsleiter beim Compact Verlag, später Marketingleiter bei Langenscheidt sowie Gräfe und Unzer. Als Kopietz schließlich im vorigen Sommer als Verlagsbereichsleiter Marketing und Vertrieb bei C.H. Beck ausschied, sollte das für den 50-Jährigen ein kleines Ende und ein großer Anfang werden. Im Karriereportal Xing postete er in der Gruppe "Arbeit-, Zeit, Leben", dass er für seine Zukunft eine "sinnstiftende Herausforderung" suche.

Sinnstiftend, klar - sieht es doch fast jeder gerne, wenn die eigene Arbeit nicht nur die Umsätze nach oben treibt, sondern auch einen höheren Sinn ergibt. Nach seinem Aufruf hätte Kopietz aus einer Vielzahl von Angeboten auswählen können, die für ihn alle ungemein bereichernd hätten sein können, wenn auch nicht unbedingt in finanzieller Hinsicht. Doch das erste Angebot war gleich ein Treffer - und eine "ganz witzige Geschichte", wie es Kopietz nennt. Das Angebot kam von Bettina Stackelberg, im Beck-Verlag noch eine seiner Bestsellerautorinnen im Ratgeberbereich. Auch das Projekt Leonhard konnte sie ihm gut verkaufen. "Der Umgang mit einer Zielgruppe, mit der ich bislang keinerlei Berührungspunkte hatte, ist definitiv eine sehr große Herausforderung." Die Herausforderung, die er gesucht hat.

Die Idee, Straftätern beizubringen, wie sie ihr eigenes Geschäft aufbauen können, stammt nicht von Bettina Stackelberg, sondern von Catherine Rohr, einer Unternehmerin aus Texas. Nach Deutschland hat sie Bernward Jopen gebracht. In der Zeitung las er, damals Dozent für Unternehmertum an der TU München, von dem Projekt "Prison Entrepreneurship Program". Und das, was er las, faszinierte ihn. Also flog er nach Texas und beobachte im Gefängnis eine Woche lang, wie Straftäter mit legalen Business-Modellen lernen, eine eigene Firma aufzubauen - und damit auch ihre Zukunft. 2011 startete Jopen zusammen mit seiner Tochter Maren im Landsberger Gefängnis ein Pilotprojekt. Sie nannten es Leonhard, nach dem heiligen Leonhard, dem Kämpfer für die Gefangenen.

Die Jopens kämpfen heute längst nicht mehr alleine, neben ihnen unterrichten eine Reihe externer Dozenten und Mentoren wie Stackelberg und auch Kopietz. "Das ist nicht bloß das kleine Einmaleins. Es gibt Seminare zu Themen wie Steuern, Marketing oder Finanzkennzahlen; die Häftlinge lernen, wie man einen Businessplan erstellt. Der ein oder andere wäre dort sicherlich intellektuell überfordert." Bewerben darf sich erst mal jeder, der sein letztes Jahr im Gefängnis verbringt - außer Sexualstraftäter und notorische Betrüger.

Wenn Günter Kopietz in seinem himmelblauen Jackett den Häftlingen in ihren blauen Stoffhosen und grauen Pullovern gegenüber tritt, dann will er eine Frage unbedingt vermeiden: Und, was haben Sie angestellt? "Bei der Begrüßung klopfe ich zum Beispiel immer locker auf die Schulter und sage: Sie sind doch der mit dieser oder jener Geschäftsidee. So entsteht erst gar kein beklemmendes Gefühl." Doch manchmal ist es auch für ihn ein wenig furchterregend, nämlich dann, wenn er zusammen mit dem Wärter auf dem langen Weg durch die Trakte zum Seminarraum unterwegs ist und eine Tür nach der anderen hinter ihm wieder verschlossen wird. Alleine käme er hier nicht mehr raus. Dieses beklemmende Gefühl verschwindet aber schnell, etwa dann, wenn einer der Strafgefangenen ihm eine gute Idee präsentiert. Einen habe er im simulierten Bankgespräch mal "so richtig gegrillt" - und hätte ihm anschließend 350 000 Euro für sein Frühstückscafé gegeben. Als Kopietz davon erzählt, klingt das vermutlich wie im früheren Berufsleben, wenn einer seiner Autoren einen Bestseller gelandet hat. "Es ist unglaublich zu sehen, wie die Leute aufblühen und ihre letzte Chance annehmen."

Die Stiftung

Bei der Stadtsparkasse München kann man auch ohne größeres Vermögen zum Stifter werden. In die im Dezember 2010 gegründete Kundenstiftung "Gemeinsam Gutes tun" können auch Normalverdiener kleinere Beiträge einbringen und so zum Gemeinwohl in der Stadt beitragen. "Gemeinsam Gutes tun - die Kundenstiftung der Stadtsparkasse München ist ein nachhaltiges Zukunftsprojekt, das es ermöglicht, sich unabhängig von der Höhe des eigenen Vermögens stifterisch zu engagieren. Dies ist bereits ab einem Euro Spende möglich", sagt Vorstand Ralf Fleischer. Der Stiftungszweck ist sehr weit gefasst, umfasst etwa Jugend- und Altenhilfe, Kunst und Kultur, Sport und Tierschutz. Unterstützt werden Projekte aus der Region München. Bei einem Zustiftungsbetrag von 25 000 Euro an wird ein individuell gewählter Zweck gefördert - und der Groß-Stifter kann dem Stiftungsfonds selbst einen Namen geben. Das Stiftungskapital beträgt 1,5 Millionen Euro. kbl

Wegen solcher Momente möchte er mit seinem Geld für dieses Projekt noch mehr ermöglichen - nicht nur Dozent sein, sondern es auch finanziell unterstützen. Daher hat er einen Fonds gegründet, ein individuelles Stiftungsvorhaben innerhalb der Kundenstiftung der Stadtsparkasse München. Um die Verwaltung kümmern sich andere. Wie viel Geld der 50-Jährige investiert hat, darüber schweigt er lieber. Studien zeigen, dass Männer oft stiften, um ihren Status zu festigen: mein Haus, mein Auto, meine Stiftung. Kopietz nimmt man ab, dass er ohne großes Getöse helfen möchte - auch wenn der Fonds den Namen seines Gründers trägt. Ein Denkmal, das bleibt.

Und ist das Stifter-Sein wirklich so sinnstiftend, wie man es sich vorstellt? Kopietz zumindest hat gerade die Verlagsleitung des neu gegründeten Ameet Verlags übernommen. "Beruflich konnte ich mal wieder nicht Nein sagen", sagt er. "Es wird sich zeigen, wie sehr ich mich auch als Mentor in dem Projekt einbringen kann."

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Quelle:
SZ vom 03.07.2015
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