Singen statt brüllen:Weihnachtlicher Schlachtruf

Singen statt brüllen: Ihr Kinderlein kommet: Auch kleine Löwenfans sind beim Adventssingen im Stadion dabei.

Ihr Kinderlein kommet: Auch kleine Löwenfans sind beim Adventssingen im Stadion dabei.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der TSV 1860 feiert im Grünwalder Stadion Advent, natürlich mit blauen Nikolausmützen.

Von Gerhard Fischer

Ein Fan des TSV 1860 hat ein Friedenslicht aus Bethlehem mitgebracht. Er sagt ins Mikrofon, dass dieses Licht, das Pfadfinder von Israel nach München geschafft hätten, ein Zeichen sei - gegen Rassismus, Homophobie und "jegliche Form von Ausgrenzung". Minuten später brüllt ein anderer Fan von der Tribüne herunter: "Tod und Hass dem FCB!"

Die Amateurfußball-Abteilung des TSV 1860 und die "Freunde des Sechz'ger Stadions" veranstalteten zum vierten Mal ihr Adventssingen. Natürlich in Giesing. Natürlich im Grünwalder Stadion. Und natürlich könnte der Kontrast zu den Profi-Fußballern nicht größer sein. Dort herrschen unwirkliche Vorgänge um einen sprunghaften Investor, der global mitspielen will und lokal wenig Ahnung hat. Und hier ist alles bodenständig, fröhlich, klein.

Am Eingang werden Liedtexte, Kerzen und Nikolausmützen verteilt - die Mützen sind natürlich blau. Jenny, 25, kommt eigentlich aus der Oberpfalz, aber jetzt wohnt sie in Giesing. Etwa wegen . . .? "Ja, ich bin extra wegen der Löwen nach Giesing gezogen", sagt sie. "Ich hätte eine Weiterbildung auch in der Oberpfalz machen können, aber ich bin nach München gekommen, und natürlich wollte ich in Giesing wohnen." Jenny ist bei jedem Spiel dabei und zum dritten Mal beim Adventssingen, weil sie das Stadion liebt und weil sie hier Leute trifft, die sie kennt.

Es sind viele Fans da, aber auch Anwohner aus Giesing: ein älteres Paar, Familien mit Kindern. Knapp 400 Leute werden es sein, es waren schon mal mehr beim Adventssingen, aber die Stimmung ist trotzdem gut. Um 18.60 Uhr (also 19 Uhr) soll es losgehen, die Zeit kann man sich an Verkaufsständen der Fußball-Abteilung und der Freunde des Sechz'ger Stadions vertreiben. Dort gibt es T-Shirts mit der Aufschrift "Dahoam in Giesing".

Es wird 18.57 Uhr, 18.58, 18.59, aber um 18.60 Uhr geht es noch nicht los. Die Ampermusikanten aus Bergkirchen, das HNKNN-Gebläse, die Familie Schamel und die Band Rauschangriff warten auf den Anpfiff. Roman Beer, Leiter der Fußball-Abteilung, gibt ihn um 19.15 Uhr (das müsste dann 18.75 Uhr sein). Natürlich ist es geschickt, mit dem "Sechzger-Marsch" zu beginnen, mit "57, 58, 59, 60 - ja, so klingt's im Chor". Die Fans lieben dieses Lied, und so singen sie gleich laut und mit großer Begeisterung mit. Dass nicht jeder Ton getroffen wird - geschenkt. Dass die Musiker ein anderes Tempo haben als ihr Löwen-Chor - auch geschenkt. Die Stimmung ist wichtig. Einer schwenkt die Fahne.

Die Fans singen neben Löwen-Liedern Weihnachts-Klassiker, etwa "Stille Nacht". Es kommt auch vor, dass der untere Teil der Tribüne "Ihr Kinderlein kommet" trällert, und der obere "Hier regiert der TSV" skandiert. Beides wärmt die Löwen-Seele, aber die Leidenschaft für den Verein ist größer als jene für das Christusfest. Denn oft werden Weihnachtslieder abgeschlossen mit einem Schlachtruf, das hört sich so an: ". . . bald ist Nikolaus-Abend da." Kurze Pause. Dann: "Sechzig! Sechzig!"

Apropos warm. Es ist kalt an diesem Samstagabend, und man ist irgendwie froh, dass nur 28 Lieder gesungen werden und nicht 60 oder gar 1860.

Natürlich wird auch über den Investor Hasan Ismaik gesprochen, und über den neuen Geschäftsführer Anthony Power, einen US-Amerikaner. Die beiden haben an der Basis nicht viele Freunde. Wenn der Name Ismaik fällt, sieht man wegwerfende Handbewegungen; beim fußballfernen Power, der auf der Geschäftsstelle recht garstig regieren soll, ist es ein spöttisches Lächeln. Roman Beer gestattet sich bloß eine Bemerkung, die so spitz ist wie seine blaue Nikolausmütze. "Ihr wisst ja, dass jetzt auf der Geschäftsstelle fließendes Englisch erwartet wird", sagt er, "wir fangen heute schon mal an und singen jetzt Winter Wonderland."

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