Nachruf:Es ist ja immer alles da

Nachruf: Simone Fürbringer im Jahr 1993.

Simone Fürbringer im Jahr 1993.

(Foto: Filmmuseum München)

Zum Tod der Filmemacherin, Cutterin und Lebenspoetin Simone Fürbringer.

Von Alex Rühle

Wo auch immer man sie traf, es ging sofort ums Große, Ganze. Was machen wir hier auf Erden? Wie kann man dem Rundumschlamassel etwas sinnvoll Schönes entgegensetzen? Und ist die Wiese da vorne nicht der reine Wahnsinn, diese Farben, diese Pracht! Einmal, am Glockenbach, unterbrach sie irgendwelche ranzigen Lebensklagen: "Aber schau...", sie formte mit vier Fingern eine Art Kameralinse, hielt sie vors Auge und blickte in den blauen Himmel: "...es ist ja immer alles da, oder?"

Am vergangenen Montag hatte Simone Fürbringers neuer Film auf dem Münchner Dokfest Premiere. "Floating Islands", geschrieben, gefilmt, geschnitten mit ihrem Mann Nicolas Humbert, ein Filmgedicht und Bildertraum, Hingabe ans Leben und Melancholie des Vergehens.

Alles, was Fürbringers Besonderheit von Anfang ausmachte, ist hier wiederzufinden: Die Liebe zum Zirkus und zum Vagabundendasein (sie hat als Akrobatin angefangen). Die Tiere und Landschaften, Schafe im Spätnachmittagslicht, Insektenflirren, ein Boot in Morgennebelschleiern. Die Suche nach anderen, heileren Lebensentwürfen. Der Blick für die Zwischenräume und die Gabe, die Tonspur völlig eigenständig neben den Bildern herlaufen zu lassen.

Die Lebensfreunde treten noch einmal auf

All die großen Wegbegleiterinnen, Musik- und Lebensfreunde treten nochmal auf. Der uralte Jonas Mekas steht in seinem New Yorker Treppenhaus und sagt mit diesem verschmitzten Jungslächeln, es sei ihm in all seinen Filmen darum gegangen, die Erlebensintensität seines fünfjährigen Alter Egos wiederzufinden. - Und dann diese fast schon ekstatisch schöne Szene: Simone Fürbringer hält aus einem fahrenden Auto eine Audiokassette, das braune Tonband wird vom Wind erfasst und spult sich immer weiter ab, am Ende flattern 90 Minuten stumme Tonspur im Fahrtwind. Wie sagte doch Gilles Delleuze in einem anderen ihrer filmischen Nomadentagebücher: "Man soll Linien ziehen, nicht Punkte setzen."

Mit "Floating Islands" schließt sich noch eine weitere, intimere Kreislinie: Ende der neunziger Jahre haben Fürbringer und Humbert schonmal einen ähnlich radikalen, stillen Gemeinschaftsfilm gemacht: "Vagabonding Images" entstand im Schneideraum wie ein Gespräch, angelehnt an die Kooperationen surrealistischer Dichter, bei denen man etwas schreibt und dem anderen herüberreicht, der dann weiterschreibt, ein cinematographischer Lebens-, Zufalls-, Liebesdialog. Der gemeinsame Sohn Noah, der darin als zukünftiges Leben in ihrem schwangeren Bauch auftaucht, ist mittlerweile berühmter Schlagzeuger und mehrfach auf der flirrenden Tonspur von "Floating Islands" zu hören.

Damals, 1998, sagte Fürbringer im Werkstattgespräch mit ihrem Mann, gerade durch die freie Erzählform "bewahren die Bilder ihr Geheimnis." Als Nicolas Humbert sagt, diese Miniaturen würden oft auch Geschichten beinhalten, antwortet sie: "Ja, aber unsichtbare. So wie all die kleinsten Geschichten, die sich noch heimlich auf dem Zelluloid, auf den schwarzen Stegen von einem Bild zum anderen abspielen."

Sie wollte die Welt gerechter gestalten

Simone Fürbringer, 1957 in Basel geboren, hat die Filme von anderen zur Welt gebracht, indem sie ihnen im Schnitt erst die richtige Form gab. Sie hat auch eigene Dokumentarfilme gemacht, etwa über eine autistische Theatergruppe. Und sie hat ganz im Verborgenen versucht, die Welt ein Nanogramm gerechter zu gestalten, Tag für Tag, immer neu.

"Floating Islands" beginnt mit der Aufnahme des gemeinsamen Grabsteins des Filmehepaares Jacques Demy und Agnès Varda. Dazu hört man die alte Varda selbst aus dem Off: "Vielleicht ist das einzige sehr große Ereignis, das uns verändert, der Tod. Weil man vom Leben zum Tod übertritt." Während "Floating Islands" am Montag gerade in München lief, ist Simone Fürbringer in der "Wolfsgrub," dem alten Hof im Voralpenland, wo das Filmemacherpaar lebte und viele seiner Bilder schuf, einem Krebsleiden erlegen. Ihr Lebenszwilling Nicolas Humbert und die drei Kinder der beiden waren bei ihr. Sie wurde 65 Jahre jung.

Das Dokfest zeigt "Floating Islands" in memoriam Simone Fürbringer noch einmal, am morgigen Sonntag, um 14 Uhr im Neues Rottmann.

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