„Meine Gegner sind die coolen Ironiker“, sagte Simon Strauß vor acht Jahren in einem Interview mit dem Standard. Den Kampf mit seinen Gegnern, um im Freund-Feind-Schema zu bleiben, hatte er zuvor mit einem Roman aufgenommen, der sich leidenschaftlich quer zum Zeitgeist stellte.
„Sieben Nächte“ war der heißblütige literarische Befreiungsschlag eines fast Dreißigjährigen, der Angst vor dem Verspießern zwischen Arbeit, Frau und Babybrei hatte und nach einem Sinn fürs Leben suchte. Und der zu dem Schluss kam: „Der einzige Kampf, der jetzt noch lohnt, ist der ums Gefühl. Die einzige Sehnsucht, die trägt, ist die nach dem schlagenden Herzen.“ Das brachte Strauß den Ruf eines Neoromantikers ein und eine Debatte darüber, ob sein Plädoyer für mehr Gefühl und auch Gemeinschaft aus einer rechten Ecke komme.
Das ist lange her. Inzwischen ist Simon Strauß 37 Jahre alt, und das gefürchtete Erwachsenenleben hat ihn erwartbar eingeholt: Er hat weitere Bücher geschrieben, arbeitet seit Jahren als festangestellter FAZ-Redakteur, und dreifacher Vater ist er auch noch. Einerseits.
Andererseits: Schlägt offensichtlich immer noch ein heißes Herz unter dem weit geöffneten Hemd. Ein ironischer Zugang zur Welt, so konnte man bei einem Auftritt des Autors an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität feststellen, liegt Strauß jedenfalls nach wie vor fern: Hier steht einer, der über die Welt staunen will.
„Neoromantik“ lautet erwartungsgemäß der Titel seiner dreiteiligen Poetikvorlesung. Sie steht in einer im vergangenen Jahr mit Slata Roschal wiederbelebten Tradition, die Mitte der Achtzigerjahre mit dem Schriftsteller Horst Bienek begann – der damals noch zur Uni chauffiert wurde und in der großen Aula vor allerlei Ministern sprach, wie der begrüßende Germanist Kay Wolfinger aus Bieneks jüngst erschienenen Tagebüchern zitiert. Lange her auch dies, heute muss es ein kleiner Saal im Philologicum tun, und zum Anschlusstermin in der Akademie wird der Geladene ohne Chauffeur eilen müssen.

Slata Roschal über die Arbeitsbedingungen von Schriftstellern:"Man spekuliert auf die finanzielle Abhängigkeit von Autoren"
Die Schriftstellerin Slata Roschal geht in einer Poetikvorlesung an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität mit dem Literaturbetrieb ins Gericht.
Was aber hat es nun mit dem Begriff Neoromantik auf sich? Der Germanist Carlos Spoerhase wandert in einer Einführung kurz von der Romantik der Blaue-Blumen-Träumer über Neuromantiker wie Hermann Hesse oder Hugo von Hofmannsthal ins ausgehende 20. Jahrhundert, in dem Literaturwissenschaftler den Begriff als „hochproblematisch“ aussortieren wollten. Das Konzept sei vernachlässigt worden, sagt Spoerhase – und damit wieder frei für einen neuen Gebrauch.
„Es lebe die Neo-Romantik!“, schrieb also Wolfram Weimer, der heutige Kulturstaatsminister, 2017 im Magazin The European über das Strauß’sche Romandebüt. Er fand darin ein „Mobiliar von romantischer Radikalität“ und sah die „Sinnsuche einer orientierungslosen taumelnden Gesellschaft“ gespiegelt, die „die Räume der gezeichneten Ich-Leere endlich wieder füllen will“.
Und was meint Simon Strauß dazu? Er selbst will sich gar nicht wissenschaftlich mit dem „provokativ-emphatischen Begriff“ der Neoromantik beschäftigen, den er sich selbst nie zugeschrieben hätte. Er denkt am ersten Abend Anfang Juli vor allem über die „Prägung“ seines Schreibens nach. Wie sehr ist der Mensch Konstrukteur seines Selbst, wie sehr von Genen oder Umwelt bestimmt? Von Konrad Lorenz kommt Strauß schnell zum Duden, der „eine Landschaft oder Epoche“ als prägend für den Menschen ausmache.
Und geht sodann auf Spurensuche in der eigenen Biografie. Der 1988 geborene Autor verortet sich als von der Uckermark geprägter „Emo-Ostdeutscher“, erinnert sich an die „Kälte der Wendezeit“. Hat es mit diesen Erfahrungen zu tun, dass er auch im Schreiben nicht den offenen Horizont sucht, sondern einen überschaubaren Raum, ein „Gehäuse“? Dass ihn später im Studium die Kälte der Systemtheoretiker frösteln ließ? Dass er seit dem ästhetischen Widerstand in einer Theater-AG eine „permanente Szenen-Sehnsucht“ hat, nach kurzen Sätzen, dichten Beschreibungen, klaren Metaphern sucht und den „Konjunktiv als Rückendeckung für die emotionale Deutung der Welt“ liebt.
Auch der Vater Botho Strauß hat ihn geprägt
Als man dann langsam schon denkt, die Eltern kämen gar nicht mehr als prägend ins Spiel, kommt Simon Strauß beim Umkreisen von Männlichkeitsbildern doch noch insbesondere auf den berühmten Schriftsteller-Vater Botho Strauß zu sprechen: als Beispiel eines „empfindsamen, sinnlichen, seinen Gefühlsregungen folgenden Mannes“, mit dem er zwar nicht zu Rockkonzerten oder Fußballspielen gegangen sei, aber anderes gelernt habe: das „Vertrauen auf die eigene Empfindsamkeit“ bei der Begegnung mit Leben und Kunst; die Gelassenheit, Vernunft und Gefühl nicht gegeneinander ausspielen zu müssen; die Fähigkeit, „die Größe einer Gedichtzeile oder die Wirkmacht eines Wasserfalls anzustaunen“.
Die Empfindsamkeit zieht Strauß jedenfalls der Empfindlichkeit vor (am zweiten Abend mehr dazu; am dritten Abend wird es um Gemeinschaft gehen, dabei auch um die Potenziale von Europa als kultureller Idee). Der Mensch müsse etwas riskieren, „sich Gefühlsausbrüche leisten“, findet er. Denn nicht zuletzt angesichts der digitalen Umbrüche fragt er sich: „Und die Herzen? Könnten bald zur letzten Instanz des Widerstands werden.“
Am wichtigsten aber scheint Strauß doch dies zu sein: „Der Mensch muss robust staunen können.“ Der Blick des Autors geht dabei, Rilke anrufend, natürlich auch nach oben: „Es gibt etwas Größeres, ob Gott oder das Verfassungsgericht“. Oder die Träume, auf die gelte es achtzugeben. Was Strauß schon vor Jahren sagte, wirkt heute jedenfalls drängender denn je: „Wir müssen uns wieder trauen, die Stimme zu heben und von einer anderen Welt zu träumen.“
Münchner Poetikvorlesung mit Simon Strauß, 2. Teil: Mittwoch, 9. Juli, 3. Teil: Mittwoch, 16. Juli, jeweils 18 Uhr, LMU-Philologicum

