Süddeutsche Zeitung

Silvesternacht:Was zum Terrorverdacht in München führte

Lesezeit: 2 Min.

Von Georg Heil, Georg Mascolo und Katja Riedel, München

Die Gefahr eines Terroranschlags mit islamistischem Hintergrund in München war den Sicherheitsbehörden spätestens seit dem 23. Dezember bekannt. Während der Plot zunächst noch als unwahrscheinlich eingeschätzt worden war, verdichteten sich die Informationen am Silvestertag. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR konnte der Bundesnachrichtendienst einen Hinweisgeber im Irak selber befragen, auch der französische Geheimdienst hatte Informationen über einen bevorstehenden Anschlag auf zwei Münchner Bahnhöfe übermittelt. Bundesbehörden stuften die Hinweise als glaubwürdig ein und informierten die bayerischen Kollegen. Wegen der unmittelbar bevorstehenden Silvesterfeierlichkeiten entschied die Münchner Polizei, öffentlich zu warnen.

In einem ersten Hinweis vor Weihnachten waren zwar bereits die zwei Bahnhöfe genannt worden, nicht aber Namen von möglichen Attentätern sowie ein konkreter Zeitpunkt. Außerdem war davon die Rede, dass die Attentäter Sprengstoff dabei hätten. Seitdem ist die Sonderkommission "Januar" ununterbrochen im Einsatz. In die Ermittlungen vor Weihnachten waren bereits Bundeskriminalamt (BKA), Staatsanwaltschaft München und das bayerische Innenministerium eingebunden. Auch der Generalbundesanwalt wurde informiert. Es gab Durchsuchungsbeschlüsse, die allerdings nicht vollzogen wurden, weil das Szenario eines Anschlags noch als zu unwahrscheinlich erschienen war. Auch waren die angeblichen Täter, die in einem Hotel in der Innenstadt untergekommen sein sollten, nicht auffindbar.

Der finale Hinweis kam 19.40 Uhr

Die Einschätzung der Gefahr änderte sich in den kommenden Tagen; nach Angaben von Personen, die mit dem Vorgang betraut sind, habe seit Weihnachten "eine Verdichtung" stattgefunden. Der finale Hinweis, der die Behörden zum Handeln zwang, sei an Silvester gegen 19.40 Uhr gekommen: Nun schien möglich zu sein, dass sich fünf bis sieben irakische und syrische Attentäter, deren Namen teilweise bekannt waren, in München aufhalten und an den Bahnhöfen Selbstmordattentate planen. Sie sollten die Anschläge angeblich im Auftrag der Terrormiliz Islamischer Staat verüben. Die Informationen führten dazu, dass die Polizei die Öffentlichkeit über die mögliche Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Attentats informierte, 550 teils schwerbewaffnete Polizisten zu den möglichen Anschlagsorten schickte und den Münchner Hauptbahnhof sowie jenen im Stadtteil Pasing über Stunden abriegelte.

"Wir wissen nicht, ob die Namen stimmen, ob es die Personen wirklich gibt, und wo sich die Personen aufhalten", sagte der Münchner Polizeipräsident Hubert Andrä am Freitag. Zu etwa der Hälfte der möglichen Attentäter hätten die Behörden Namen und Daten erhalten, offenbar aber keine Fotos. "Wenn es solche Hinweise gibt, müssen wir handeln", sagte er, besonders, wenn die Hinweise wie in diesem Fall aus verschiedenen Quellen stammten.

Vorsichtige Entspannung am frühen Morgen

Gegen vier Uhr morgens hatte die Polizei die beiden Bahnhöfe wieder freigegeben. Am Freitag waren noch zusätzliche 100 Beamte im Einsatz. Schon in den frühen Morgenstunden hatte die Polizei jedoch vorsichtig Entspannung gemeldet. Am Hauptbahnhof und am Bahnhof Pasing wurde mehr kontrolliert als üblich. In ganz München zeigte die Polizei eine stärkere Präsenz. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bestätigte, dass die entscheidenden Hinweise am Silvestertag eingegangen seien. Die bayerischen Behörden hätten anschließend mit Unterstützung der Bundespolizei "umsichtig, besonnen und entschlossen gehandelt", so der Minister.

Zugleich ließ de Maizière durchblicken, dass München offenbar nicht das einzige mögliche Ziel der Terroristen sein könnte. "Die Lage in Europa und auch in Deutschland bleibt im neuen Jahr ernst. Die Sicherheitsbehörden gehen weiterhin von einer hohen Gefährdung durch den internationalen Terrorismus aus", so der Minister. Die Sicherheitsbehörden gingen "verschiedenen Hinweisen, auch auf möglicherweise geplante Anschläge, nach‎ und passen die Maßnahmen fortlaufend an die aktuelle Situation an". In Regierungskreisen hieß es, die Situation in München habe Parallelen zu der in Hannover im November aufgewiesen, als ein Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft abgesagt wurde.

Am Freitag gab Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zunächst Entwarnung. Zwar bestehe insgesamt eine hohe Anschlagsgefahr in Europa, es gebe "aber keinen unmittelbaren Hinweis auf einen Anschlag heute oder morgen an einem bestimmten Ort", so der Minister. Die Sicherheitsbehörden seien wachsam. "Aber wir machen uns auch nicht verrückt aufgrund solcher Hinweise", sagte Herrmann.

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SZ vom 02.01.2016
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