Silly in München:"Die Zuhörer wollen nicht bloß Schnulli haben"

Die alte DDR-Band "Silly", in der die Schauspielerin Anna Loos singt, ist erstaunlich erfolgreich - auch im Westen. Ein Gespräch über Touren vor 1989 und gute Liedtexte.

M. Zirnstein

Die Band Silly war eine Macht in der DDR: Das lag an den poetischen Texten mit eingeschmuggelter Gesellschaftskritik; das lag vor allem auch an der charismatischen Sängerin Tamara Danz, die 1996 starb. Zehn Jahre später übernahm die Schauspielerin Anna Loos das Mikrofon - und spätestens mit dem gemeinsamen ersten Album "Alles Rot" (Platz drei der Charts) sind Silly ein gesamtdeutsches Phänomen. Michael Zirnstein sprach mit der Sängerin, dem Bassisten Jäcki Reznicek und dem Gitarristen Uwe Hassbecker vor dem Konzert am Freitag, 3. Dezember, in der Münchner Tonhalle (20 Uhr, Grafinger Straße 6).

Silly in München: Die 1978 in der DDR gegründete Band Silly feiert Erfolge in Ost und West: Ritchie Barton, Jäcki Reznicek, Anna Loos und Uwe Hassbecker (v.l.n.r.).

Die 1978 in der DDR gegründete Band Silly feiert Erfolge in Ost und West: Ritchie Barton, Jäcki Reznicek, Anna Loos und Uwe Hassbecker (v.l.n.r.).

sueddeutsche.de: Silly haben bei Stefan Raabs "Bundesvision Songcontest" in diesem Jahr den zweiten Platz belegt. Sind Sie nicht zu etabliert für so einen Nachwuchswettbewerb?

Jäcki Reznicek: Wir haben gerade unser Debüt-Album in dieser Kapelle, deswegen sind wir auch eine Art Nachwuchsband, wir hoffen gleichzeitig auf den Echo fürs Lebenswerk und den Besten Newcomer (lacht). Und wenn man sich die anderen Teilnehmer anschaut, dann ist das längst kein Nachwuchswettbewerb mehr: Selig, Unheilig - und der unauftretende Teil von Ich + Ich ist gerade 60 geworden!

Anna Loos: Auf jeden Fall haben wir nicht mit so einem großen Zuspruch gerechnet. Selbst von den alten Bundesländern hat uns keines schlechter als Platz drei gesehen. Da saßen wir und dachten: Hey, das gibt's doch gar nicht.

sueddeutsche.de: Frau Loos, seid Sie dabei sind, ist die Band ständig im Fernsehen. Kurbeln Sie das alles an?

Loos: Das mache ich. Aber die anderen auch. Ich muss da niemanden mitreißen. Als ich die Band vor fünf Jahren getroffen habe, hockten da keine müden Musiker traurig in ihrem Studio herum. Die haben total gebrannt für ihre Musik und saßen in den Startlöchern. Dass wir uns getroffen haben, war der Startschuss. Aber wir haben uns Zeit gelassen, haben mehr als drei Jahre nur live gespielt, ehe wir uns ans Album wagten. Da sind wir zusammengewachsen. Wir haben uns nie reinreden lassen, wenn jemand zum Beispiel sagte: Hm, die Texte sind vielleicht zu schwierig fürs Radio.

sueddeutsche.de: In der DDR gab es allerdings schon eine höhere Instanz, die darüber entschied, was gespielt wird.

Uwe Hassbecker: Im Prinzip ist das heute nicht anders. Allein die Gründe und Instanzen sind andere. Man schaue sich nur mal die deutsche Radiolandschaft an und was man als deutsche Band für Kopfstände unternehmen muss, um vielleicht mal 'n Sendeplatz für einen Song zu erhaschen. Ich habe neulich mal gehört, dass bei vielen angesagten öffentlich-rechtlichen "Popsendern" pro Stunde maximal ein deutschsprachiger Song läuft und darum streiten sich dann alle aktuellen Veröffentlichungen. Das ist im Grunde nur eine andere Form von Zensur. Live spielen konnte man im Osten schon eine Menge, aber mit dem produzieren und senden war das eine andere Unterhaltung.

Loos: Das stimmt. Das war sicherlich nicht problemlos. Aber Silly haben das schon sehr schlau gemacht. Da gab es ja den Begriff "grüner Elefant", der wurde von Tamara Danz erfunden und geprägt. Die haben extreme Sachen eingebaut, von denen sie wussten: Das fliegt raus. Ein Ablenkungsmanöver. Und so sind die Sachen, um die es eigentlich ging, dringeblieben. Das war immer mit doppeltem Boden geschrieben. So ist eine einzigartige Textkultur entstanden: Der Ausdruck der deutschen Sprache, der auf mehreren Ebenen spielt und viel Interpretationsspielraum lässt. Das wurde im Osten geboren, und das pflegen wir natürlich. Und deswegen hat uns unser Weg auch zum alten Silly-Texter Werner Karma zurückgeführt.

"Die Leute sind schlaue Zuhörer"

sueddeutsche.de: Muss man den Menschen im Westen erst mal beibringen, wie die Texte zu verstehen sind?

Reznicek: Nein. Mit dem Erfolg des Albums beweisen wir doch, dass die Leute schlaue Zuhörer sind, unsere Texte verstehen und nicht bloß Schnulli haben wollen.

Loos: Die stürzen sich ja ganz begeistert im Westen auf die Texte. Ich habe auch versucht, fürs Album zu schreiben, ich bin ja auch jung und wild und ungestüm. Aber ich habe das dann gelesen und gemerkt: Nein, das ist es noch nicht. Die Texte müssen den Silly-Standard schon halten. Ein guter Liedtext ist wirklich eine Kunst, das ist, wie einen guten Song zu komponieren. Und der Werner hat das einfach drauf.

sueddeutsche.de: Haben Sie das Texten jetzt aufgegeben, Frau Loos, oder wollen Sie es beim nächsten Album noch einmal versuchen?

Loos: Ich gebe nie auf. Aber ich habe schon gemerkt, das ist ein Prozess, das muss man lernen, damit muss man sich fleißig beschäftigen. Ich glaube schon, dass ich Talent habe. Aber ich muss weiter hart an mir arbeiten. Ich habe den tollsten Mentor, den man sich vorstellen kann: Mit Werner Karma über Texte zu reden, ist die beste Schule und er ist ein großes Geschenk. Tamara Danz hat ja damals auch alleine Texte geschrieben, allerdings erst nach einer langen Zusammenarbeit mit Werner Karma. Seine Handschrift kann man auch in ihren Texten finden.

Reznicek: Anna hat ja auch viel Anteil an den Texten. Werner hat die zwar geschrieben, aber Anna hat nächtelang mit ihm geredet.

Loos: Das ist ein Poet, den muss man füttern. Das ist wichtig, dass man sich austauscht, dass er weiß, was man erzählen will.

sueddeutsche.de: Werner Karma sagt über seine Texte: Ich benenne die Defizite. Welche das damals waren, ist bekannt. Aber welche sind das heute?

Loos: Gesellschaftlich sieht man das zum Beispiel im Song Kapitän. Das ist eine Mahnung an die Kapitäne in der Wirtschaft, in der Religion, in der Politik. Sie sollen ihre Schiffe nicht verlassen, bevor sie untergehen. Also den Karren in den Dreck zu reiten und dann abhauen mit einer fetten Abfindung und einer guten Rente, und die anderen müssen es ausbaden, das geht nicht. Wir wollen im zweiten Teil der Tour vielleicht eine Projektion mit ein paar Personen des öffentlichen Lebens zeigen, damit dem einen oder anderen noch klarer wird, worüber wir hier eigentlich singen - nicht nur über einen Kapitän auf einem Dampfer. Mal gucken, ob wir da Ärger kriegen. Wir beschäftigen uns aber auch mit dem einzelnen Menschen. Erinnert zum Beispiel ist emotionaler. Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter wird man ja auf so eine Spur geschickt: Du musst studieren, du musst erfolgreich sein, du musst Geld verdienen, du musst Frau oder Mann finden und Kinder kriegen. Und da kommst du in ein Hamsterrad rein und verlierst dich. Und dann gibt es Momente, die einen da rausholen: Man verliebt sich, es kann auch ein Kinofilm oder ein Naturereignis sein. Und dann bleibt alles kurz stehen und man erinnert sich wieder an sich selber. Und darum geht es: Dass man wieder auf sich selber achten muss und das Leben wieder genießt. Das kenne ich ja auch von mir.

sueddeutsche.de: Sie hatten schon zu DDR-Zeiten Auftritte im Westen. Warum waren Silly so privilegiert, dass Sie reisen durften?

Reznicek: Das hat sehr lange gedauert, bis wir reisen durften. Natürlich hat man auch gerne Geld verdient im Osten. Und die Künstleragentur hat ziemliche Mengen von dem, was wir im Westen verdient haben, eingestrichen.

sueddeutsche.de: Frau Loos, stimmt es, dass Sie Silly gar nicht kannten, als Sie die erste Platte von der Band kauften?

Loos: Das stimmt. Ich habe mich in Brandenburg, in dem einzigen Plattenladen, den wir hatten, an eine Schlange angestellt. Wenn es da eine Schlange gab, gab es meistens eine Lizenz-Platte aus dem Westen. Vielleicht die neue Nena oder Ina Deter. Als ich endlich am Ladentisch stand, wurde man auch gar nicht gefragt, da hieß es nur "16,99" ...

Reznicek: "16,10"!

Loos: Und dann bekamst du eine Tüte und die Platte steckte schon drin. Draußen vor dem Laden machte ich die Tüte auf und dachte: Wow, das ist ja geil, das ist ja eine Ost-Platte: Bataillon d'Damour. Das Cover fand ich total spannend: Da war das Gesicht von Tamara groß drauf, mit der wilden Frisur, das hat mich schon angemacht. Dann habe ich die Platte daheim aufgelegt und es war um mich geschehen.

"Okay, wir sind jetzt verlobt"

sueddeutsche.de: Hat Silly Sie bei der Wahl Ihres Berufes beeinflusst?

Loos: Ich war nie so ein Groupie-Typ. Aber die Band hat mich bestimmt beeinflusst. Ohne diese Songs in meinem Ohr hätte ich bestimmt auch nie gesagt: Ich hau jetzt hier ab aus diesem Land. Das Bild, das ich mir damals gemacht habe von meinem Land und von mir selber, hat natürlich auch damit zu tun, was man so reinlässt in seine Gedankenwelt.

sueddeutsche.de: Wann hat die Band zum ersten Mal von Anna Loos gehört?

Hassbecker: Natürlich kannten wir sie schon als Schauspielerin durch ihre Filme. Aber als Sängerin gar nicht. Unser damaliger Freund und Manager hat uns bei der "Silly und Gäste"-Tour zum Glück ständig in den Ohren gelegen mit Anna. So haben wir uns irgendwann halt mit ihr getroffen. Als wir uns gegenüberstanden und die ersten Song miteinander probiert haben, ging alles relativ schnell.

sueddeutsche.de: Wann haben Sie entschieden, dass es nicht mehr "Silly und Anna Loos" sondern nur noch "Silly" heißt?

Loos: Unsere erste gemeinsame Tour haben wir Elektro-Akustik-Tour genannt. Da haben wir dann schon gesagt: Okay, wir sind jetzt verlobt. Und wenn wir dann heiraten, dann nehmen wir einen gemeinsamen Namen an. Und dann bekommen wir ein Baby. Und dass das ein Album sein wird, hat sich so Schritt für Schritt ergeben.

sueddeutsche.de: Bei Silly ist - zum Teil wegen tragischer Todesfälle - kein Gründungsmitglied mehr dabei. Andererseits spielen schon Ihre Kinder, Daniel Hassbecker und Sebastian Reznicek, in der Live-Band mit. Wird sich der Name der Band vielleicht weitervererben?

Hassbecker: Das ist ein dynamischer Prozess, es hat sich so entwickelt, ohne Plan. Auf jeden Fall ist es eine tolle Erfahrung, mit seinen Kindern auf der Bühne oder im Studio zu stehen und Musik zu machen. Und für die Zukunft: Wir sind bestimmt eine der kinderreichsten Bands Deutschlands, insofern ist alles offen.

Reznicek: Aber noch geben wir den Staffelstab nicht ab.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: