Sicherheitskonferenz in München:Staatschefs zwischen Flaggen und Friedenstauben

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Auf dem Königsplatz demonstrieren Anhänger der Querdenker-Szene. (Foto: Martin Bernstein)

40 Regierungschefinnen und fast 100 Minister treffen sich hermetisch abgeschirmt in der Stadt zur Sicherheitskonferenz. Die Demonstrantinnen und Demonstranten sind deutlich in der Überzahl. Links, rechts, querdenkend - es ist nicht leicht, am Wochenende den Überblick zu behalten.

Von Martin Bernstein, Ulrike Heidenreich und Joachim Mölter

Etwa 13 000 Menschen haben am Samstag gegen die Münchner Sicherheitskonferenz demonstriert. Den größten Zulauf hatte eine von der Querdenker-Szene organisierte Kundgebung, die viermal so viele Menschen anzog wie die parallel ablaufende Demonstration des linken "Anti-Siko-Bündnisses". Beide Versammlungen einte die Kritik an der Nato. Von einem friedlichen Verlauf "mit nur geringen Sicherheitsstörungen" berichtet die Polizei. Dennoch wurden 22 Straftaten und drei Ordnungswidrigkeiten angezeigt, darunter das Abbrennen von Pyrotechnik, tätliche Angriffe auf Polizisten und Medienvertreter, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole. Insgesamt 33 Personen wurden von der Polizei vorübergehend festgenommen.

"Wann kommt denn der Clown?", fragt der kleine Bub, der zusammen mit seiner Schwester am Samstag an der Münchner Augustenstraße interessiert zuschaut, wie 10 000 Menschen an ihm vorüberziehen. Er wird enttäuscht: Clown ist keiner vorgesehen - dafür ist das Motto der Demonstration "Macht Frieden!" dann doch zu ernst. Aber sonst haben die Initiatoren aus der Münchner Querdenker-Szene und diejenigen, die ihrem Aufruf gefolgt sind, aufgeboten, was nur geht: Vogtländische Trommler und Schweizer "Freiheitstrychler" mit Kuhglocken sind dabei, zahlreiche Größen der verschwörungsideologischen Szene, real oder über Video zugeschaltet, Reichsbürger mit umgedrehter Deutschlandfahne, die - weil zu groß - eingerollt werden muss, und viele Menschen mit Friedensfahnen.

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Eine Gruppe ist in orangefarbene Overalls von Guantanamo-Häftlingen gekleidet

Dazwischen und daneben aber auch viele Menschen mit den Farben Russlands. Die weiß-blau-rote Trikolore wird als Anstecker an der Jacke getragen ("Ich bin nicht im Krieg mit Russland"), als Fahne mit Nationalwappen geschwenkt oder zusammen mit den deutschen Farben unter dem Kürzel "Gerussia" gezeigt. Wenn die Friedensfreunde ein Feindbild haben, dann nicht das Land von Wladimir Putin, sondern: die USA, die Nato, die deutsche Bundesregierung. Eine Gruppe hat sich in orangefarbene Overalls von Guantanamo-Häftlingen gekleidet, trägt Ketten und Masken mit den Gesichtern des ukrainischen Präsidenten und deutscher Regierungsmitglieder. Ein "Tribunal für US-Kriegsverbrecher" wird gefordert.

"Frieden mit Russland statt weiter in den dritten Weltkrieg", heißt es auf einem Plakat. Und darunter: "Deutschland: Raus aus der Nato! Nato: Raus aus Deutschland!" Gerahmt ist der Slogan von den schwarz-orangefarbenen Streifen des Georgsbandes, einer russischen Militärauszeichnung, die Unterstützung für Putins Kurs signalisiert. Der russische Diktator kommt kaum vor in dieser Demonstration einer "neuen Friedensbewegung", die stolz von sich behauptet, keine politischen Lager mehr zu kennen. "Hoffentlich behält Putin die Nerven", heißt es auf einem Plakat.

Kein Siko ohne Demos, hier 2023 auf dem Königsplatz: Die Polizei organisiert, dass bestimmte Gruppen einander nicht begegnen. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Bei der Auftaktkundgebung auf dem Königsplatz ist der Ton vorgegeben worden. Diether Dehm (Die Linke) spricht von "ukrainischen Killerbanden und Nazi-Faschisten". Danach stimmt er das von ihm komponierte Lied "Ami go home" an. Freudig schunkelt und singt die Menge mit. Der ehemalige CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer erhält recht sparsamen Applaus, als er sagt, man sei "selbstverständlich" auch gegen den Krieg Russlands in der Ukraine. Aber Jubel, als er der deutschen Regierung "Wahnsinn" vorwirft und behauptet: "Der Westen wollte diesen Krieg." Am Rande werden drei Gegendemonstranten von Kundgebungsteilnehmern bedrängt. Zwei Mal werden Medienvertreter angegriffen, in einem dieser Fälle laut Polizei ein Handy gestohlen.

Die Antifa skandiert "Faschistenpack"

Zuvor ist bei einer Demonstration am Alten Botanischen Garten schon "die große Querfront" von Links und Rechts beschworen worden. Die AfD will sich als Friedenspartei inszenieren. Deshalb hat sie zwar den Chef des laut Verfassungsschutz rechtsextremen Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, als Redner eingeladen, aber auch dazu aufgerufen, sich danach der Friedensdemonstration des Querdenker-Lagers anzuschließen.

Etwa 300 linke Gegendemonstranten haben sich an den Absperrgittern versammelt, noch ehe die ersten AfD-Zuhörer eintreffen, Friedensfahnen wehen auf beiden Seiten. Die Antifa skandiert "Faschistenpack" und "Nazi-Pest", AfD-Anhängerinnen schimpfen zurück: "Bolschewisten!" - "Kranke!" - "Ungeziefer!" Bei einem Gerangel werden Gegendemonstranten handgreiflich: Eine Frau schlägt nach Polizeiangaben einem Beamten mit der flachen rechten Hand einmal seitlich ins Gesicht, ein Mann sticht auf einen Versammlungsteilnehmer der AfD mit einer Fahne ein und schlägt dann nach einem Polizisten.

Innerhalb der Absperrung wird ein Plakat gezeigt, auf dem der jüdische Milliardär George Soros und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij als Krake dargestellt sind - eine antisemitische Chiffre, ebenso wie das mehrfach verwendete Schlagwort "Globalisten". Junge Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsextremen "Identitären" zeigen es auf einem Plakat und versuchen dabei grimmig dreinzuschauen. Später sollen die rechten Aktivisten am Königsplatz dann auf eine Gegendemonstrantin losgegangen sein, berichtet diese. "Es ist alles so übel wie es zu erwarten war", kommentiert der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter auf Twitter. "Relativierung der Verantwortung für den Angriffskrieg, Schulterschluss Querdullies und Rechtsextreme, mangelnde Angrenzung nach Rechts, Antisemitismus."

Antisemitisches Plakat auf einer rechten Demonstration während der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vergangenen Jahres. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Als die Teilnehmer der rechten Kundgebung später in Gruppen in Richtung Königsplatz ziehen, tauchen plötzlich aus einem U-Bahn-Ausgang Aktivisten der Antifa auf und versuchen, mit Transparenten den Durchgang durch die Luisenstraße zu versperren. Kurz kommt es zu einem Handgemenge, Linke und Rechte prügeln sich. "Mehr Männer! Männer an die Front!", fordert ein maskierter Rechtsextremer. Rufe nach der Polizei werden laut. Doch da sind die Blockierer schon wieder in der U-Bahn verschwunden.

Schweigeminute für die Opfer der Kriege und für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien

Erheblich stiller beginnt die Kundgebung des linken Anti-Siko-Aktionsbündnisses auf dem Stachus. Mit einer Schweigeminute für die Opfer der Kriege und für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien. Die Menschen halten Plakate hoch, auf denen steht: "Frieden schaffen ohne Waffen". Organisator Claus Schreer ruft: "Wir sind gegen Waffen generell. Wir grenzen uns deutlich ab gegen Nationalisten." Einem Vorstoß der Querdenker-Gruppe "München steht auf" im Vorfeld, gemeinsame Sache gegen die Sicherheitskonferenz zu machen, hatte das Bündnis eine klare Absage erteilt.

Als das linke Bündnis startet, um in zwei Armen den Tagungsort der Konferenz symbolisch einzukreisen, sind dann etwa 2700 Menschen zusammengekommen. Ihre Route ist heikel für die insgesamt 4500 eingesetzten Polizistinnen und Polizisten, die aus allen Bundesländern zusammengeholt wurden. Am Odeonsplatz haben sich nämlich inzwischen mehr als 1000 in Deutschland lebende Ukrainerinnen und Ukrainer und ihre Unterstützer versammelt. Die beherrschenden Farben sind Gelb und Blau, überall wehen ukrainische Flaggen.

Eingehüllt in Ukraine-Flaggen sind die Demonstrierenden am Odeonsplatz. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Unter dem Motto "Gemeinsam gegen den Krieg" sprechen vor der Feldherrnhalle Politiker wie Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Hofreiter ruft, er sei froh, so viele Menschen auf dem Odeonsplatz zu sehen: "Bei der Diskussion um jeden einzelnen Panzer brauchen wir eure Unterstützung." Nur wenn so viele Waffen wie möglich in die Ukraine kämen, werde Putin verstehen, dass er den Krieg verlieren werde. Der Jubel auf dem Platz wird noch lauter, als Hofreiter sagt: "Wie kommen Leute nur auf die Idee, dass der Aggressor plötzlich verhandeln möchte?"

Einige Ukrainerinnen beginnen zu weinen

Strack-Zimmermann, von Anti-Siko-Demonstranten zuvor als "Mensch gewordene Rüstungsaktie" geschmäht, stimmt in die "Slawa Ukrajini"-Rufe auf dem Odeonsplatz ein und sagt: "Der Weltfrieden wurde aus den Angeln gehoben. Das ist eine europäische, eine Weltkatastrophe." Immer wieder skandieren die Menschen: "Danke, Deutschland, für die Hilfe!"

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Als der linke Protestzug aus der Brienner Straße um die Ecke biegt, wird es laut, sehr laut. "Geht zum Putin", rufen die Pro-Ukraine-Demonstranten den Siko-Gegnern zu. Immer wieder sind empörte Rufe zu hören. Zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt es nicht. Ein Querdenker-Anwalt und Blogger, der in der Versammlung filmen will, wird später als Störer ausgeschlossen und vorübergehend von der Polizei festgehalten.

Die linken Siko-Gegner treffen am Odeonsplatz auf die demonstrierenden Ukrainer. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Einige Ukrainerinnen beginnen zu weinen, als sie die Plakate der Rüstungsgegner sehen: "Verhandeln statt Schießen" steht darauf und "100 Milliarden fürs Klima statt in die Aufrüstung". Später wird bei der Abschlusskundgebung des Anti-Siko-Aktionsbündnisses auf dem Marienplatz die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Linke) dem Westen eine "zynische Doppelmoral" vorwerfen und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete als "staatlich organisierten Mord" bezeichnen.

"Frieden mit Russland", fordert ein Teilnehmer der Anti-Siko-Demo bei der Schlusskundgebung am Marienplatz. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Insgesamt gab es in München an diesem Wochenende 22 Versammlungen mit Bezug zur Münchner Sicherheitskonferenz, bei denen laut Polizei in der Summe an die 20 000 Menschen zusammenkamen.

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