Die einen nannten es „Legoland“, die anderen sprachen eher von „Datasibirsk“ – erfindungsreich waren die Siemens-Beschäftigten am Standort in Neuperlach, auch was Spitznamen für das riesige Areal angeht. Mehr als 7000 Menschen aus dem Unternehmensbereich Datentechnik siedelte der Konzern dort bis Anfang der Achtzigerjahre an, auf einer Fläche fast so groß wie die Theresienwiese. Der Spitzname mit dem Lego rührte von der Architektur her: Die Dachlandschaft sieht aus, als wäre sie aus bunten Riesenbausteinen konstruiert.
In knapp drei Jahren aber wird die Geschichte von Siemens in Neuperlach, wo immer noch mehr als 6000 Menschen arbeiten, enden. Etwa 4000 von ihnen werden dann – wenn die Bauarbeiten planmäßig verlaufen – in einen neuen Bürokomplex am südlichen Ende des Werksviertels ziehen.
Dort, an der Anzinger Straße, baut das Kölner Immobilienunternehmen Pandion ein etwa 33 000 Quadratmeter großes Gebäude mit dem Vermarktungsnamen „Officehome Beat“, das Ende 2027 fertig werden soll. Siemens hat einen Mietvertrag für das gesamte Gebäude unterschrieben. Das machten beide Firmen am Montag in Pressemitteilungen bekannt.
„Damit zieht Siemens von München-Perlach in eine Innenstadtlage um“, erläutert das Unternehmen. Weiter heißt es zur Begründung für den Umzug, dass sich durch die Kombination aus Präsenz im Büro und Home-Office „sowohl ein reduzierter Flächenbedarf als auch neuartige Anforderungen an die Innenarchitektur“ ergäben. Pandion erklärt, das künftige Siemens-Gebäude werde sieben Geschosse hoch und bekomme oben „einen 320 Quadratmeter großen Skygarden mit Alpenblick“. Die Architektur stammt vom Büro Holger Meyer aus Frankfurt.
Die übrigen Beschäftigten aus Neuperlach verlegt Siemens auf die anderen drei verbliebenen Standorte im Raum München. Diese sind in Garching, Allach und in der Konzernzentrale am Wittelsbacherplatz.
Auf dem Grundstück Anzinger Straße 23 bis 29, auf dem früher Motorräder der Marke Zündapp gebaut wurden, wird Siemens wiederum Nachbar des Deutschen Patent- und Markenamts. Denn das hat schon vor drei Jahren das gegenüberliegende Gebäude „Officehome Soul“ angemietet, als zweiten Standort neben der Zentrale an der Zweibrückenstraße nahe dem Isartor. Dieses Gebäude wurde im Herbst 2024 an die Nutzer übergeben.
Die neuen Gebäude von Siemens und Patentamt liegen zwar formal knapp außerhalb des Werksviertels, werden aber als Teil dessen vermarktet. Aus guten Gründen. Denn das Werksviertel, das auf ehemaligen Industriearealen (unter anderem von Pfanni und Optimol) südöstlich des Ostbahnhofs entstanden ist, hat sich zum begehrtesten Büro-Standort neben der Münchner Innenstadt entwickelt – und damit auch zu einer der teuersten Bürolagen Deutschlands. Was Siemens zahlt, ist offiziell nicht bekannt. Das Preisniveau im Werksviertel liegt aber bei etwa 50 Euro pro Quadratmeter.

Werksviertel:Münchens coole Seite
Auf dem ehemaligen Industrieareal nahe dem Ostbahnhof entsteht auf 40 Hektar ein komplett neues Viertel. Es will Maßstäbe in Stadtplanung und Architektur setzen, die weit über die Stadt hinausreichen. Ein virtueller Rundgang.
Auf dem Grundstück an der Anzinger Straße hatte Pandion zunächst 515 Wohnungen in zwei Komplexen vorgesehen, dann plante es um auf eine Mischnutzung aus Büros und 360 Wohnungen. Als offiziellen Grund führte Pandion an, dass das Unternehmen Qualcomm, das nebenan eine Chipfabrik betreibt, Bedenken angemeldet habe: Die Emissionen könnten zu Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern führen.
Ein Pandion-Vertreter erläuterte auf einer Branchenveranstaltung aber einmal auch, dass Büros inzwischen lukrativer als Wohnungen seien. Letztlich kippte Pandion den Wohnungsbau komplett, die Stadt konnte rechtlich nichts dagegen unternehmen. Auch ein Krisengespräch bei Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), das die Wohnungen retten sollte, blieb ohne Erfolg.
Der Rückzug von Siemens aus Neuperlach hat für München eine durchaus historische Dimension. Über Jahrzehnte expandierte der in Berlin gegründete Konzern auch in München. Er prägte mit Neubauten auf großen Flächen das Stadtbild – und verließ diese dann nach und nach wieder, nicht ohne die Grundstücke jeweils lukrativ zu verkaufen.
Auch aus Obersendling hat sich der Konzern zurückgezogen
Bis heute das eindrücklichste Zeichen dieser Entwicklung ist das ehemalige „Siemens-Hochhaus“ an der Baierbrunner Straße in Obersendling, das denkmalgeschützt ist, aber seit vielen Jahren leer steht. Investoren arbeiten an einer Sanierung und Erweiterung des Hochhauses, es soll neuer Sitz der Versicherung „Die Bayerische“ werden.
Schon von 1927 an betrieb Siemens in Obersendling eine Fabrik, in der Folge entstanden drum herum zahlreiche weitere Bauten, darunter auch eine Wohnsiedlung mit Hochhäusern, den „Sternhäusern“. Welche Bedeutung Siemens einst für Obersendling hatte, zeigt sich auch daran, dass es dort bis heute nicht nur eine Siemensallee, sondern auch die Bahnstation Siemenswerke gibt, obwohl die schon lange Geschichte sind. Inzwischen sind auf ehemaligen Siemensflächen in Obersendling zahlreiche andere neue Gebäude entstanden und weitere geplant – darunter auch ein neues Quartier mit 1370 Wohnungen.
Den Standort Neuperlach hatte Siemens bereits 2010 verkauft und seither nur noch angemietet. Ebenfalls aufgegeben hat der Konzern in den vergangenen gut zehn Jahren die Niederlassungen an der St.-Martin-Straße in Giesing, die inzwischen als „Weißes Quartier“ zum Standort für verschiedene Firmen geworden ist, und an der Richard-Strauss-Straße in Bogenhausen. Dort errichtet nun die Bayerische Versorgungskammer ein 100 Meter hohes Bürogebäude als ihre neue Konzernzentrale.