Süddeutsche Zeitung

Kleinkunst:Die Zauber-Flöten

Mit leicht durchschaubaren Tricks haben die Magier-Clowns Siegfried und Joy im Internet ein Millionen-Publikum bezirzt. Jetzt machen sie im Volkstheater und im Prinzregententheater einen auf Las Vegas.

Von Michael Zirnstein

Die Glaubensgrenze verläuft im Grundschulalter. Kinder, die noch an den Osterhasen glauben, halten Siegfried und Joy für echte Zauberer. Die Älteren durchschauen die simplen Tricks sofort. Denn genau so sind sie gestrickt. Das halten sehr viele Menschen dann für ziemlich spaßig, wenn Joy, der mit den langen Haaren, vor Siegfried, den mit den kurzen Haaren, ein goldenes Tuch hochhält, damit wedelt, es fallen lässt, und Joy verschwunden ist. Freilich hat jeder in dem kurzen Video gesehen, dass in der Mülltonne hinter den beiden der Deckel auf und zu gegangen ist. Ein Klamauk.

Eher "doof" fand das Simon Cowell, oberster Juror der amerikanischen Supershow "America's got Talent", nachdem Siegfried etwa in eine Stoffröhre gekrochen und nicht als die erwartete Banane kostümiert wieder herauskam, sondern als Erdbeere. "Ihr habt mich genervt", sagte Cowell kopfschüttelnd. Heidi Klum daneben fand's hingegen ganz, ganz zauberhaft, auch die anderen beiden Co-Juroren. Und so kam das deutsche dynamische Duo eine Talent-Runde weiter. Die Redaktion drängte ihnen dann angeblich viel Geld für eine größere Show mit Feuerwerk und Flugeinlage auf. Sie lehnten ab und stiegen aus. "Wir wollen keine Schnörkel", erklärten sie in einem großen Interview mit der Zeit.

Auch diese Redaktion hätte gerne mit den beiden gesprochen, aber das Zauber-Management teilte mit, Siegfried und Joy würden nur mit Journalisten reden, die ihre Show gesehen hätten. Die ist nun aber erst am Samstag, 1. April, im Volkstheater, eine zweite folgt am Sonntag. Zwei weitere Auftritte sind schon für 22. und 23. September im Prinzregententheater gebucht.

Man versteht, die beiden sind sehr gefragt. 922 000 Follower allein auf Tiktok wollen ständig neue Nicht-Tricks sehen. Bushaltestellen, wo sie wieder im richtigen Moment mit dem Tuch wedeln, und auf einmal ist da - Tadaaah! - ein Bus; sie lassen sich in U-Bahnen (nicht) verschwinden, stehlen der ZDF-Chefreporterin in London die Show, verblüffen Selfie-Macher vor dem Reichstag, an der Münchner Eisbachwelle lässt Siegfried mit einem Handstreich Surfer in die Welle stürzen.

Was den Moment verzaubert, trägt das auch eine ganze Show?

Das Beste sind meistens die Reaktionen der Zuschauer oder der unfreiwilligen Helfer, gerne genommen: Polizisten. Sie spielen die Verblüfften oder lächeln selig. Und darum geht es Siegfried und Joy: um Kommunikation, um glückliche Gesichter, um kleine zauberhafte Momente im grauen Alltag, denn - sie zaubern Schiller aus dem Hut - ernst sei das Leben, heiter die Kunst. Nur: Was den Moment verzaubert, trägt das auch eine ganze Show? Zwei Stunden lang Celine Dions melodramatisches "It's All Coming Back to Me Now" nicht nur wie in jedem Clip 15 Sekunden lang, sondern zwei Stunden hintereinander?

Nun, so arg wird's nicht kommen. Die beiden sind alte Bühnen-Zauberhasen. Joy ist angeblich im Theater aufgewachsen, sein Vater war Pantomime (vielleicht sind ihre Videos deshalb wortlose Kunst, die auch Fans in der Mongolei zum Nachahmen animiert). Siegfried übte schon als Kind mit dem Zauberkasten seines Bruders. Sie begegneten sich der Legende nach 2015 in einem Zauberladen in Berlin-Neukölln. Ein Jahr später war ihr erster Auftritt als Duo im Club Berghain, in der Garderobe dachten sie sich angeblich den Künstlernamen aus. Weiße Tiger wie Rosenheims Starillusionisten in Las Vegas wollten sie aber nie, ihnen reichen Baby-Plüschtiger und Leoparden-Glitzerjacketts, um jede Stadt ein bisschen zu Las Vegas zu machen.

In den USA trafen sie David Copperfield, der selbst bekennender Fan ist. "Wir sind nach Las Vegas gefahren und wollten nicht wiederkommen, wenn wir dort berühmt werden", erzählen sie in ihren Shows. Und, hey, jetzt sind sie hier in Deutschland, machen das Publikum zur Showtanztruppe und verblüffen es bei Mitmachkartentricks.

Denn tatsächlich beherrschen sie ihr Handwerk - das nicht zu zeigen, sei eigentlich ihr größter Trick, sagen sie. Sie mögen nur Kollegen nicht, die sich zu ernst nehmen und Angst hätten, dass jemand ihre Tricks herausfindet. Und sie mögen keine "Alphatiere" im Publikum, die alles verstehen und kontrollieren wollen, aus Angst vor einem "Informationsnachteil". Lieber sind ihnen die, die loslassen können und dieses "rätselhafte Gefühl empfinden, das ein zweijähriges Kind hat, wenn man das Licht ein-und ausschaltet".

Siegfried & Joy, "Las Vegas in ... München", Sa./So., 1./2. April, 20 Uhr, Volkstheater, 22./23. Sep., Prinzregententheater

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