"Siegfried"-Premiere in München:Heldengesang, heiß und fettig

Wenn Leiber zu Kulissen werden: Effektvoll inszeniert Andreas Kriegenburg in München Richard Wagners "Siegfried". Teils brillant spielen die Sänger bebende Götter und schmierige Zwerge - da darf selbst der Held ein bisschen ekelhaft sein.

Oliver Das Gupta

"Ein gesunder Eros bricht sich Bahn", notierte Loriot einst lakonisch in seinem Kleinen Opernführer zum Finale von "Siegfried". Das ist natürlich maßlos untertrieben und übertrieben zugleich: Der Held ruft zuerst nach seiner Mama, dann sinkt er aufs Lager zur erwachenden Brünnhilde.

Siegfried Wotan alberich

Showdown von Enkel und Großvater: Siegfried (Lance Ryan) trifft auf den als Wandrer verkleideten Wotan (Thomas J. Mayer)

(Foto: Wilfried Hösl)

Die erklärt dem verklemmten Knaben ihre Liebe, er gerät in Wallung, sie ziert sich plötzlich, er drängt, sie lässt sich umstimmen, und dann geht es dahin. Dahinter wogt eine gewaltige blutrote Stoffbahn. Liebeshöhle? Liebeshölle? Oder doch eher Puff-Ambiente?

Auf jeden Fall großes Musiktheater von Richard Wagner. Großartig inszeniert von Andreas Kriegenburg, dessen "Siegfried" am Pfingstsonntag im Münchner Nationaltheater Premiere feiert. So sieht es diesmal auch die Mehrheit des Publikums: Ernteten Kriegenburg und seine Truppe für die "Walküre" neben Bravi noch gehörig Pfiffe und gellendes Buh, donnert an diesem Premierenabend der Applaus nahezu einstimmig.

In den viereinhalb Stunden zuvor bietet sich - trotz geringer Abstriche - ein grandioses Musikschauspiel. Das liegt an der Inszenierung, an den Wagner-Profis des Bayerischen Staatsorchesters und ihrem Generalmusikdirektor Kent Nagano.

Und an den Sängern. Stark, klar und wasserstoffblond gibt Catherine Naglestad die gewesene Walküre Brünnhilde. Eindrucksvoll verkörpert Thomas J. Mayer Wotan, der nun inkognito als "Wandrer" erscheint. Finster singt Mayer den Göttervater, dem Walhalls Untergang dämmert. Famos gespielt und gesungen ist der Alberich von Wolfgang Koch.

"Siegfried" Lance Ryan singt stundenlang - und ist folglich schon qua Leistung ein Held. Der Kanadier, der die Partie schon 2010 in Bayreuth gesungen hat, gibt einen formidablen Siegfried ab: Ungestüm, kraftstrotzend und ein bisserl deppert stolpert er durch das Opus, auf der Suche nach Furcht und Frau.

Nebenher meuchelt er den von Wagner als "eidechsenartiger Schlangenwurm" bezeichneten Fafner, haut seinem Opa Wotan den Götterspeer entzwei und murkst den herrlich schmierigen Zwergen-Ersatzvater Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) ab. Auch wenn es Tenöre geben mag mit schöneren Stimmen: Ryan meistert seine Rolle bravourös. Es zahlt sich aus, dass da ein Mannsbild auf der Bühne steht, dem das Publikum wirklich den Kraftprotz abnimmt - eine allzu große Text-Bild-Schere würde den Eindruck trüben.

Ob Wagner dieser "Siegfried" gefallen würde? Wohl kaum, aber der Komponist war ja auch zu Lebzeiten mit den Aufführungen seiner Werke notorisch unzufrieden. Manches, was Wagner für seine Opern arrangierte, dürfte heute eher skurril und belustigend wirken - allzu strenge Wagnerianer, die über heutige Inszenierungen die Nase rümpfen, sollten sich daran erinnern.

Ein Saurier aus spärlich beschurzten Leibern

Für die "Siegfried"-Uraufführung etwa während der ersten Bayreuther Opernfestspiele 1876 ließ Wagner etwa einen mechanischen Drachen in England fertigen. Das Monster erregte allerdings "mehr Gekicher als Schrecken", wie Biograph Jonathan Carr schreibt. Es fehlten Teile im Innenleben der Maschine. Sie waren offenbar nicht nach Bayreuth geschickt worden - sondern nach Beirut.

Neben allerlei anderen Pannen und Peinlichkeiten blieb Wagner nach dem Festival auf einem Schuldenberg sitzen - und sinnierte über das Sterben. Gerade an "Siegfried" hatte er viele Jahre laboriert. Zwischenzeitlich ließ er die Arbeit an ihm ruhen, um "Tristan und Isolde" zu komponieren und die "Meistersinger von Nürnberg". Gerade an die heiteren Meistersinger erinnert vieles in "Siegfried": Da feixt der Held, Zwerg Mime beckmessert tückisch und täppisch - was für ein Gegensatz zu den getragenen ersten beiden Teilen des Ring-Epos!

Bei Kriegenburg darf der Held auch ein bisschen eklig sein: Grinsend zieht "Siegfried" den Rotz hoch und spuckt ihn in den Kochtopf, bevor er dem verhassten Mime das Essen serviert. Beim Münchner Ring von 2002 schuf David Alden einen Siegfried als Abklatsch des Rappers Eminem - der auch schon mal ins Waschbecken pinkelte. Doch anders als damals zerreißt sich das Publikum über den aktuellen Ekelmoment nicht das Maul.

Wie im Rheingold und in der Walküre interagieren die Akteure stark auf der von Harald B. Thor geschaffenen Bühne. Feste Elemente gibt es kaum, aber dafür lebende. Kriegenburg setzt mehr denn je auf: Körper. Zu Dutzenden lodern sie als Flammen, wuseln um die Erdenmutter, wachsen als Bäume und ragen als Felsen empor. Selbst der Saurier besteht aus spärlich beschurzten Leibern.

Leider unterbricht Kriegenburg sein Prinzip der lebendigen Kulisse, als Siegfried sein magisches Schwert Nothung neu schmiedet: Da veranstalten die Statisten Remmidemmi auf der Bühne, sorgen für Funkenflug, wiegen sich als Schlote im Takt, betätigen den Blasebalg, schauen dem giftbrauendem Mime über die Schulter - zu viel, zu kleinteilig, zu erschlagend ist das.

Rottöne dominieren viele Bilder dieser Inszenierung. Feuer und Hitze begleiten den Helden auf seinem Weg: Die menschliche Glut am Ambos des schweißfleckigen Mimes, die Brunst beim Schwertschmieden, flackernde Erinnerungen an Nibelheim, Fafners leuchtendes Antlitz, Wotans Zauberfeuer um Brünnhildes Felsen, das finale Liebesrot. Kriegenburgs Siegfried, das ist Heldengesang, heiß und fettig.

Der Regisseur wird die Temperatur wohl noch höherschrauben. Schließlich steht der finale Weltenbrand noch an: In seiner "Götterdämmerung", die am 30. Juni Premiere feiert.

Eine ausführliche Opernkritik zur Siegfried-Premiere erscheint in der Print-Ausgabe der SZ am Dienstag, den 29. Mai 2012.

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