Siegerentwurf:Dieser Konzertsaal ist eine Kathedrale für Orchester

Siegerentwurf: Der Siegerentwurf des österreichischen Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur.

Der Siegerentwurf des österreichischen Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur.

(Foto: Cukrowicz Nachbaur Architekten)

Der geplante Bau ist ein gelungener Kompromiss zwischen architektonischem und musikalischem Anspruch. Aber die Zweifel bleiben, ob das Münchner Werksviertel der richtige Ort für ihn ist.

Architektur-Kritik von Gottfried Knapp

Ein Schiff wird kommen. Man könnte auch sagen: Eine Kathedrale wächst in den Himmel hinauf, ein riesiges Glaszelt wird über ein Regal gezogen, oder: Auf einem leeren Platz wird ein mehrgeschossiger Speicher errichtet, vielleicht auch nur ein Gewächshaus oder eine Scheune.

Der Assoziationen sind viele angesichts der ersten Bilder von jenem Gebäude, das in München in absehbarer Zeit als Konzerthaus auf dem ehemaligen Industriegelände hinter dem Ostbahnhof gebaut werden soll.

Der Gewinner des ersten Preises bei diesem Wettbewerb für das seit 15 Jahren ersehnte Musikzentrum- das vergleichsweise junge Architektenteam Cukrowicz Nachbaur aus Bregenz, das in den letzten Jahren auch in München bei mehreren Wettbewerben für Institutsbauten erfolgreich war - hat bei der Suche nach einer einprägsamen Außenform für das Musikhaus im Werksviertel einen beeindruckenden Kompromiss gefunden.

Ihr Gebäude wird bei der Fachwelt unterschiedliche Assoziationen auslösen - und bei der Bevölkerung möglicherweise eine Welle von Spitznamen.

Basti hilf!

Etliche Millionen sollen auch Münchens Bürger als Spenden beitragen. Das hat sich die Stiftung Konzerthaus zur Aufgabe gemacht, die sich nun offiziell vorgestellt hat. Der frühere Dallmayr-Chef Georg Randlkofer und der Münchner Rechtsanwalt Hans-Robert Röthel leiten mit einem zwölfköpfigen Vorstand die Organisation und haben sich dafür prominente Unterstützer geholt. Die Schirmherrschaft hat Franz Herzog von Bayern, Kuratoriumsmitglieder sind neben Musikern wie Anne-Sophie Mutter und Martin Grubinger viele Wirtschaftsbosse und prominente Münchner. Und auch ein Weltmeister ist dabei: Bastian Schweinsteiger habe zugesagt, zu helfen. Mäzen Georg von Werz, Mitglied im Stiftungsvorstand, begeisterte den Fußballer für das Projekt. Dessen Ziel beschreibt Röthel so: "Das neue Konzerthaus soll eine Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Kulturen werden." kc

Bei Nacht wird der Bau zum lebendig sich verändernden Leuchtkörper

Tatsächlich passen alle naheliegenden Bezeichnungen wie Kirche, Speicher, Gewächshaus oder Zelt etwa gleich gut oder gleich schlecht zu dem Gehäuse, das zwei Konzertsäle allerhöchsten Anspruchs, reichlich Probe- und Aufenthaltsräume für Musiker, mehrere Säle für pädagogische Programme, gastronomische Betriebe und Läden enthalten soll.

Das neue Konzerthaus wird also endlich all das bieten, was nach dem Krieg beim Bau des Herkulessaals in der Residenz und dann in den frühen Achtzigern beim Bau der Konzertsäle im Gasteig noch nicht verlangt wurde, ja als Wunsch noch kaum bekannt war, heute aber zu den Grundvoraussetzungen aller Konzerthäuser gehört.

An Musik wird man beim Betrachten des künftigen Hauses also nicht unbedingt erinnert. Aber man ist auch nicht entsetzt, wenn man erfährt, dass in diesem kathedralenartig hohen und langen Bau mit den walmdachartig leicht abgeschrägten Giebelfronten die großen Orchester und die besten Kammermusikensembles der Welt gastieren sollen.

Man muss den Siegerentwurf nur mit den beiden Entwürfen vergleichen, die von der Jury auf die Plätze zwei und drei gehoben wurden, um zu erkennen, wie gut der von den Vorarlbergern vorgeschlagene geschlossene und gläserne Schrein seinem kulturellen Anspruch gerecht wird. Bei Nacht wird der Bau zum lebendig sich verändernden Leuchtkörper, der mit seinen 45 Metern Höhe weit in die Umgebung hinaus strahlt.

Chipperfield hat seinen Entwurf in die Sphäre der Utopien verbannt

Den zweiten Preis hat die von Jörg Friedrich geleitete PFP Planungs GmbH in Hamburg gewonnen. Die Hamburger haben die beiden Konzertsäle mit ihren dazugehörenden Nebenräumen als Kuben so in einem offenen Stahlgestell über den restlichen Sälen aufgehängt, dass die Funktionen räumlich deutlich voneinander getrennt sind.

Das sieht konstruktivistisch kühn aus, ist in seiner offenen, raumverschlingenden Struktur aber allenfalls aus der baulich extrem heterogenen Werksumgebung heraus zu verstehen. Dass das Münchner Musikpublikum in diesen hängenden Kuben die erhofften großen Momente erleben wird, die ihm nach Meinung der Neubau-Betreiber bislang versagt geblieben sind, ist schwer vorstellbar.

Auch beim internationalen Kulturtempelbaumeister David Chipperfield kann man die Qualitäten, die seinen Entwurf auf den dritten Platz gehoben, aber nicht höher gebracht haben, genau benennen.

Seinem klassischen Ideal gemäß hat er wieder etwas Antikes herbeizitiert: Er schlägt eine langgestreckte Stufenpyramide vor, deren vier Etagen einheitlich mit einem Raster aus schmalen Stützen verkleidet und untereinander durch einen ansteigenden Rampenweg, der spiralförmig bis zur Spitze hinaufsteigt, verbunden sind.

Diese mesopotamische Zikkurat hätte im Quartier zwischen den aufgeputzten ehemaligen Knödel- und Püreefabriken fraglos Eindruck gemacht, doch da Chipperfield die ansteigende Bewegung seiner Außenspirale drinnen im Großen Konzertsaal in den vier Rängen nachklingen lassen will - sie sollen ebenfalls spiralförmig in einer Aufwärtsbewegung um das Podium und das Parkett herumlaufen -, hat er seinen Entwurf in die Sphäre der Utopien verbannt.

Darum hat das Büro Cukrowicz Nachbaur verdient gewonnen

Alle am Konzertsaalprojekt Interessierten und Beteiligten können also mit dem ersten Preis sehr zufrieden sein. Das Büro Cukrowicz Nachbaur hat vor allem die Wünsche der Musiker und Konzertveranstalter auf ideale Weise erfüllt. Das ganze hintere Drittel des langgestreckten siebengeschossigen Baus ist für Proberäume, Stimmzimmer, Künstlergarderoben, Büros und Kantine reserviert.

Alle öffentlich zugänglichen Räume werden von der Eingangsfront aus erschlossen. Das Erdgeschoss, das als Sockel für den riesigen Glassturz wohl etwas zu niedrig geraten ist, soll sich mit Läden und einem Café in die Umgebung hinaus öffnen.

Nach Durchschreiten der Portale betreten die Besucher das Foyer, das die gesamte Breite einnimmt und sich hinter der doppelten Glasfassade bis hinauf zum sechsten Obergeschoss erstreckt. Von allen Etagen des Foyers aus haben die Besucher also Ausblick auf den Platz und die umgebenden Bauten. Verbunden sind die Stockwerke durch je zwei im Zentrum angebrachte Rolltreppen. Die übereinanderliegenden, sich kreuzenden Rolltreppen werden vom Platz aus also wie ein das Haus erschließendes Scherengitter aussehen.

Diese Übergangsform wird die Arbeit der Akustiker deutlich erleichtern

Obwohl Cukrowicz Nachbaur ihren gläsernen Dom nach oben schmaler werden lassen, haben sie den Großen Konzertsaal nach oben unter das Dach verlegt. Der Kleine Saal, eine längsrechteckige Schuhschachtel, die 600 Sitzplätze fasst, ist im Erdgeschoss von der Nordseite her zugänglich und soll mit Hubpodien und Technikdecke für die unterschiedlichsten Veranstaltungsformen ausgestattet werden.

Beim Großen Saal für 1800 Besucher haben sich die Architekten auf einen Kompromiss zwischen den Grundformen Schuhschachtel und Weinberg geeinigt. Diese Übergangsform wird die Arbeit der Akustiker deutlich erleichtern. Der lang gestreckte Saal mit seinen abgerundeten Ecken weitet sich zum Podium hin nur geringfügig. Die drei an den Längswänden entlanglaufenden Ränge enden nicht vor dem Podium, sondern umrunden es so, dass der untere Rang bei großen Chor-und Orchesterkonzerten von den Chören mitbenutzt werden kann.

Dass Feueralarm ausbricht, möchte man sich lieber nicht vorstellen

Von den Foyers aus sind die Ränge und das Parkett, das sich vom vierten zum dritten Geschoss hinabsenkt, auffällig bequem zu erreichen. Doch den Trubel, der auf den Rolltreppen, in den Liften und unten im Foyer, wo alle Wege zusammenlaufen, ausbrechen wird, wenn die Konzerte in beiden Sälen gleichzeitig enden oder gar Feueralarm ausbricht, möchte man sich lieber nicht vorstellen.

Man kann dem Münchner Konzerthausprojekt nach dem Wettbewerb also mit einiger Zuversicht entgegensehen. Doch die Zweifel, ob es sinnvoll ist, ein Haus, das die Münchner Musikkultur auf ein neues Niveau heben soll, auf privatem Grund zu errichten, und die Skepsis, ob der nur über enge Tunnel erreichbare, also psychologisch weiterhin brutal von der Stadt abgehängte Ort im Bauerwartungsland wirklich der beste ist, der in München zu finden war, bleiben auch nach dem Wettbewerb bestehen.

Man muss nur einmal lesen, wie sich die jetzigen Betreiber des Werksviertels auf Bauzäunen die Zukunft ihres Quartiers vorstellen. Dort steht in fragwürdiger Groß- und Kleinschreibung: "Jung, lecker, Nachtleben, Sport, orange, Familie, Feierabendbier, Unterhaltung, Bier, Wein, Konzerthaus, verweilen, Raum". Diese Frage muss erlaubt sein: Braucht München tatsächlich solch ein Viertel?

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