Proteste im Nordwesten:Eine Siedlung wird verdreifacht

Lesezeit: 2 Min.

Wohnidyll, aber am äußersten Stadtrand: die Siedlung Ludwigsfeld. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Geht es nach Planern, Politikern und Investoren, soll die Ludwigsfelder Enklave um 2000 Wohnungen wachsen. Das stößt bei den Ortsansässigen auf Widerspruch.

Von Jerzy Sobotta

Von "Bürgernähe" spricht man in München wohl dann, wenn Politiker im Stadtviertel genau das Gegenteil dessen beschließen, was die Parteikollegen im Rathaus wollen: Das gilt umso sicherer, wenn es ums Bauen geht. So ist es schon fast ungeschriebenes Gesetz, dass die Kommunalpolitiker in Feldmoching-Hasenbergl, wo viele große Bauprojekte anstehen, unermüdlich weniger und kleinere Bauten fordern. Auch im jüngsten Streitfall, der Siedlung Ludwigsfeld am nördlichen Stadtrand, könnte es genauso kommen.

Die Siedlung soll nach Absicht des städtischen Planungsreferats nach Süden und Osten um 2000 Wohnungen wachsen, womit sie sich auf verhältnismäßig kleiner Fläche annähernd verdreifachen würde. Das stößt nicht nur auf den Widerspruch vieler Anwohner und des örtlichen Bürgervereins - sondern nun auch der Kommunalpolitiker im Bezirksausschuss.

In ihrer Dezember-Sitzung haben sie eine Botschaft an ihre Kollegen ins Rathaus geschickt: Man solle das Bauvorhaben deutlich reduzieren und genügend Flächen für die Erholung miteinplanen, so lautet die parteiübergreifende Forderung. Das Gremium verabschiedete einen Zehn-Punkte-Plan, der die bestehende Siedlung vor neuen Gebäuden schützen soll und auch in den Randbereichen "nur eine behutsame Erweiterung" zulassen will. Auch von genügend Grün- und Erholungsflächen, Biotopen und Baumbeständen ist darin die Rede.

In der Siedlung fehlen ein Supermarkt, ein Treffpunkt für die Bewohner und Parkplätze

Bloß ist es mehr als fraglich, dass die Stadträtinnen und Stadträte es ebenso sehen. Sie müssen im kommenden Jahr darüber abstimmen, ob 2000 Wohnungen zu viele sind. Die Stadtrats-Grünen haben schon angekündigt: Wenn gebaut wird, dann hoch. Denn nur so könne man unnötige Flächenversieglung vermeiden. Die SPD ist ohnehin für mehr bezahlbaren Wohnraum. Und auch die CSU hatte vor zwei Jahren die Untersuchungen mit auf den Weg gebracht, auch wenn sie inzwischen Oppositionspartei ist und daher weder ihre Stimmen noch ihre Standhaftigkeit gefragt sind.

Eine besondere "Bürgernähe" legen auch die Investoren an den Tag. Sie haben Workshops, Rundgänge, öffentliche Diskussionen veranstaltet und Imagevideos gedreht, in denen etwa der Vorsitzende des örtlichen Sportvereins oder ein Malermeister die Vorzüge der Bebauung anpreisen. Man hat die Anwohner befragt und herausbekommen, was alle vorher schon wussten: In der Siedlung fehlen ein Supermarkt, ein Treffpunkt für die Bewohner und Parkplätze.

Zum Bürgerdialog, dessen Ergebnis nicht überraschte, gehörte ein Diskussionstermin vor zwei Jahren. (Foto: Niels P. Joergensen)

All das soll entstehen, wenn gebaut wird - möglichst hoch und möglichst dicht, inklusive Tiefgaragen, Parkhaus, Grundschule, Kitas und möglicher Tram-Anbindung. Die Frage nach 2000 neuen Wohnungen war indes nie Teil der Bürgerbeteiligung. Die Zahl wird von Investoren, Stadtplanern und im Rathaus entschieden.

Die Investoren sind neben Privatpersonen aus dem Umfeld der Patrizia Immobilien AG der Immobilienunternehmer Ralf Büschl und eine "PG Granatstr. 12 GmbH", die ihren Firmensitz und ihre Geschäftsführer in den vergangenen Jahren vielfach gewechselt hat. Nach Berlin, Inning am Ammersee-Buch, Grünwald und München hat sie jetzt ihren Sitz in Luxemburg. "Das ist nicht die Art von Investor, die wir gerne in der Stadt hätten", kommentiert Stadtrat Dirk Höpner (München Liste).

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Über den Streit um die Anzahl der Neubauten ist ein Anliegen in den Hintergrund gerückt, das den meisten Ludwigsfeldern sehr am Herzen liegt: ein Gedenkort für das KZ-Außenlager München-Allach, das an dem Ort stand, an dem nun gelebt und bald auch gebaut wird. Mindestens 18 000 Männer und Frauen waren dort zwischen 1943 und 1945 als Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter interniert.

Nachfahren der nach dem Krieg gestrandeten "Displaced Persons" leben bis heute in der Siedlung, in der sich über Jahrzehnte ein einzigartiger Zusammenhalt und ein Gedenken von unten herausgebildet hat. Ob die künftigen Nachbarn den Ort ebenso würdigen, wird auch von dem Gedenk- und Begegnungsort abhängen, der geplant ist. Konzepte dafür wurden bereits vor drei Jahren vorgestellt. Konkret geplant und umgesetzt werden sie wohl ebenfalls erst, wenn die Siedlung wächst.

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