Siedlung Ludwigsfeld:Im Zweifel suchen

Der Stadtteilhistoriker Klaus Mai vermutet an der Granatstraße bisher unentdeckte Gräber von NS-Opfern. Trotz vielfältiger Bedenken von Experten soll das gesamte Gelände untersucht werden - was sich schwierig gestaltet

Von Simon Schramm, Siedlung Ludwigsfeld

Seit dem vergangenen Sommer stehen die Siedlung Ludwigsfeld und auch die Geschichte des Wohnareals wieder verstärkt im Mittelpunkt. Seinerzeit äußerte der Stadtteilhistoriker und Stadtviertelpolitiker Klaus Mai (SPD) seinen Verdacht, dass sich auf dem Gelände an der Granatstraße 12 bisher unentdeckte Gräber von Opfern des NS-Regimes befinden könnten. Um Gewissheit über diese Vermutung zu schaffen, soll das Gelände untersucht werden. Im südlichen Areal-Teil wird das demnächst geschehen; im nördlichen dagegen ist immer noch unklar, wann mit den Untersuchungen begonnen werden kann.

Nicht nur in der Siedlung, auch im Internet ist zu sehen, was bisher im Wege steht: Ein Dreiseiten-Kipper für 3400 Euro wird da in einer Kaufanzeige angeboten, oder ein weißer 18-Tonnen-Lkw ohne Hänger für 12 000 Euro. "Achtung, Lkw in München in Granat Str. 12" wird zum Schluss dieser Anzeige ausgewiesen: Die Fahrzeuge stehen eben genau auf dem Gebiet, wo Klaus Mai die unentdeckte Gräber vermutet. Seit einem Jahr versuchen Eigentümer und Lokalbaukommission, diese Nutzung zu beenden. Die Lokalbaukommission hatte zuletzt einen Sofortvollzug zur Räumung ausgesprochen. Der Vermieter des Lkw-Händlers hatte daraufhin beim Verwaltungsgericht einen Antrag zur Aussetzung gestellt; derzeit ist noch nicht absehbar, wann das Gericht über seinen Antrag entscheidet. Nun will der Eigentümer der Fläche, die Projektgesellschaft Granatstraße 12, den Vermieter mit einem Kompromiss zum Einlenken bringen. Sie hat ihm angeboten, eine geeignete Ersatzfläche zur Verfügung zu stellen. Derzeit wird verhandelt, wohin die Untermieter dann möglicherweise ziehen könnten. Mit der Kompromiss-Lösung wäre der Weg frei, um die Untersuchungen im Norden vornehmen zu können.

Um den Vorgang zu verstehen, muss man sich die Eigentums- und Besitzverhältnisse des Geländes genauer vor Augen führen. Der Eigentümer hat einen Hauptmieter, der seit Januar 2015 Flächen auf dem nördlichen Teil des Geländes vergibt. Der Hauptmieter wiederum vermietet das kleine Areal an Personen, die dort gebrauchte Fahrzeuge verkaufen oder Schrotthandel betreiben. Auf dem Areal stehen auch Container, die zu provisorischen Wohnbauten umgebaut sind. Im Februar hatte die Kriminalpolizei das Gelände durchsucht, nachdem ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Umgangs mit Abfällen eröffnet worden war.

Siedlung Ludwigsfeld: Das Gelände, auf dem Gräber vermutet werden, wird von einem Lkw- und Schrotthändlern genutzt. Nun sollen die Betriebe zum Umzug bewegt werden.

Das Gelände, auf dem Gräber vermutet werden, wird von einem Lkw- und Schrotthändlern genutzt. Nun sollen die Betriebe zum Umzug bewegt werden.

(Foto: Robert Haas)

In den vergangenen Wochen hat das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege bereits Voruntersuchungen im südlichen Teil der Granatstraße 12 durchgeführt; der dortige Mieter stellte das Areal im Januar zur Verfügung. Laut dem NS-Dokuzentrum, das in dem Fall die Federführung übernommen hat, wurden bei diesen ersten Sondierungen keine Hinweise auf Massengräber gefunden. Mitte April wird ein runder Tisch stattfinden, bei dem der Eigentümer, die Stadt, das Landesamt, Klaus Mai, Historiker sowie die Israelische Kultusgemeinde besprechen wollen, wie genau die ausführlichen archäologischen Grabungen durchgeführt werden sollen; die archäologischen Grabungen im Süden werden also bald beginnen. Wie genau das nördliche Gebiet untersucht werden soll, ist noch offen.

Grundsätzlich ist dort eine ganzflächige Untersuchung ins Auge gefasst. "Die Methode wird sich nach den Erkenntnissen aus dem südlichen Teil richten", sagt Architekt Josef Meier-Scupin, der die Projektgesellschaft Granatstraße vertritt. Sowohl die Stadt als auch Meier-Scupin haben sich im vergangenen Herbst dafür ausgesprochen, nach Abschluss der gesamten Untersuchungen gemeinsam zu beraten, wie auf dem Gelände weiter verfahren wird. Im Gespräch ist auch dafür ein runder Tisch mit allen Beteiligten. Die Projektgesellschaft möchte auf dem Areal bauen - wie und in welchem Umfang, steht noch nicht fest. Es hängt von der Qualität der Funde ab, ob sich mögliche Entdeckungen auf diese Pläne auswirken.

Die Siedlung Ludwigsfeld hat einen historischen Hintergrund: Bevor die Siedlung in den Fünfzigerjahren entstand, befand sich dort das 1943 errichtete Außenlager Allach des Konzentrationslagers Dachau. Dort waren Zwangsarbeiter untergebracht, die im BMW-Flugmotoren-Werk in Allach eingesetzt wurden; von 1944 an wurde das Lager um ein Lager der paramilitärischen Bautruppe "Organisation Todt" (OT) erweitert. Das Areal an der Granatstraße deckt sich zum Teil mit dem OT-Lager; dort vermutet Klaus Mai, der seit längerem der Geschichte des Viertels nachforscht, aufgrund einer Luftbildaufnahme und historischen Zeugenaussagen an bestimmten Stellen Gräber. Im Sommer 2015 benachrichtigte er die Lokalbaukommission und gab an, beobachtet zu haben, wie auf dem Gelände Kiesgruben ähnlich einer Baugrube für Fundamente ausgehoben wurden - womit die im Boden vermuteten Gräber bedroht seien. Mai geht davon aus, dass sich dort Massengräber finden.

Siedlung Ludwigsfeld: An der Granatstraße werden bisher unentdeckte Gräber von NS-Opfern vermutet.

An der Granatstraße werden bisher unentdeckte Gräber von NS-Opfern vermutet.

(Foto: Robert Haas)

Mit seiner Vermutung erfuhr die Notwendigkeit, die ungenehmigte Nutzung zu beenden, neue Brisanz. Die Lagergemeinschaft Dachau, der Zusammenschluss ehemaliger KZ-Häftlinge, hatte wegen Mais Vermutung bei der Staatsanwaltschaft München I Strafanzeige wegen des Verdachts auf Störung der Totenruhe gestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil das fragliche Gelände nicht als Begräbnisstätte gewidmet sei - damit fehlt die Voraussetzung, um zu den Tatbestand zu ermitteln.

Unter Münchner Historikern gibt es Zweifel, ob sich auf dem Gelände noch Gräber befinden - vollkommen ausschließen will es niemand, viele glauben aber nicht an Massengräber. Auch ein Gärtner, der seit Anfang der Neunzigerjahre auf dem Gelände etwa 20 Jahre lang tätig war, reagierte überrascht auf den Verdacht von Klaus Mai. Er habe auf dem Gelände kreuz und quer gegraben und im Boden unter anderem Bewässerungsleitungen verlegt; er könne sich daher nicht vorstellen, dass sich dort etwas befinde.

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