Siedlung am Lerchenauer See:Ein Zander im Kaninchenbau

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Martin Blumöhr gestaltet eine Unterführung - mit Anregungen der Anwohner

Von Jerzy Sobotta, Siedlung am Lerchenauer See

"Alice fing an sich zu langweilen; sie saß schon lange bei ihrer Schwester am Ufer und hatte nichts zu tun", so beginnt Lewis Carolls berühmtes Kinderbuch "Alice im Wunderland", das den Münchner Künstler Martin Blumöhr zu seiner neuesten Wandmalerei inspirierte. Sie entsteht gerade in der tristen Unterführung, die das Ufer des Lerchenauer Sees mit der gleichnamigen Siedlung verbindet. Dass auch diese Alice wohl nicht mehr zu bieten hätte als einst die Schwester, hat offenbar Blumöhrs künstlerisches Gespür angesprochen. Er beschloss, die Unterführung in den magischen Kaninchenbau zu verwandeln, in dem Alice ihre Abenteuerreise startet.

"Kaninchenbau" heißt das 250 Quadratmeter große Wandbild, das Raum und Zeit ebenso auflösen soll wie im Wunderland. Die Vorarbeiten hat der Künstler bereits 2020 erledigt. Rund eine Tonne Spachtelmasse musste er auf den Fliesen anbringen, als Unterlage für sein Werk. Und während draußen der Aprilschnee fiel, stand Blumöhr in der Unterführung und trug die ersten Motive auf. Seine Wandmalerei lebt von den großen und kleinen Geschichten, die ihm Passanten anvertrauen.

So ist auch der große Zander entstanden, der aus dem Wasser springt. Es ist der Fisch, von dem ein Angler träumt, der hier vorbeikommt, bevor er seine Angel in den Lerchenauer See wirft. So einen Zander würde er gerne einmal fangen. Auch in den kommenden Tagen wird Blumöhr viel Zeit in der Unterführung verbringen - und mit Menschen aus dem Viertel ins Gespräch kommen, deren Geschichten, Wünsche und Träume er dann verarbeitet. Von den großen Konflikten um den benachbarten Eggarten hat er schon erfahren, genauso wie von der düsteren Entstehungsgeschichte des Sees. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge haben ihn in den 1930er Jahren ausgehoben, um Kies für einen Rangierbahnhof der Deutschen Reichsbahn zu fördern. An sie wird Blumöhr ebenso erinnern wie an die vielen Tagträume der Anwohner. "Es ist ein Arbeiterviertel, hier müssen die Menschen um ihr Leben kämpfen. Das merkt man", sagt er über die ersten Eindrücke aus der Siedlung.

Voraussichtlich noch bis zum 10. Mai wird Martin Blumöhr täglich (auch am Wochenende) von 9 bis 16 Uhr in der Unterführung anzutreffen sein. Er freut sich auf neue Geschichten und Anregungen. Wer wegen Corona nicht persönlich mit ihm sprechen will, kann ihm seine Geschichten auch über die Website des Kunstprojekts zukommen lassen: www.kunstprojekt-kaninchenbau.de.

© SZ vom 07.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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