Sicherheitskonferenz:Immer wieder Pannen

Im Zweifel gegen den Verdächtigen: Regelmäßig ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft gegen linke Demonstranten - mit großem Aufwand, aber kleinem Ergebnis.

Bernd Kastner

Im Vorfeld der Sicherheitskonferenz 2002 war die Aufregung groß, die Polizei befürchtete nach den Vorfällen von Genua, wo ein junger Mann zu Tode gekommen war, auch in München Ausschreitungen. Daraufhin untersagte die Stadt alle Gegendemonstrationen - dennoch kamen viele Siko-Gegner an die Isar.

Sicherheitskonferenz: "Die Polizei filmt, wo sie nicht filmen darf" - so Demonstranten-Anwältin Angelika Lex.

"Die Polizei filmt, wo sie nicht filmen darf" - so Demonstranten-Anwältin Angelika Lex.

(Foto: Foto: Haas)

Die meist verbotenen Umzüge endeten mit Hunderten Gewahrsamnahmen, darunter auch die einer damals 25-jährigen Studentin. Sie wurde am Samstag um 22.49 in der Schillerstraße in Gewahrsam genommen - und erst tags darauf um 11.30 Uhr wieder entlassen. Die Polizei begründete die lange Dauer mit personellen Engpässen: Bei knapp 500 festgesetzten Personen sei man nicht mehr mit den erkennungsdienstlichen Maßnahmen nachgekommen, aus personellen Gründen, aber auch wegen der baulichen Situation im Präsidium in der Ettstraße.

Warum, fragten die Demonstranten vor Gericht, hatte die Polizei personell nicht vorgesorgt, schließlich war man von 2500 bis 3000 anreisenden Gewalttätern ausgegangen? Und warum hatte im Gericht nur jeweils ein Richter Dienst?

"Auslagen trägt die Staatskasse"

In zweiter Instanz erklärte das Landgericht die lange Dauer der Gewahrsamnahmen für rechtswidrig. Bis Mitternacht wäre in Ordnung gewesen, aber nicht länger. Die Betroffenen hätten bereits in der Schillerstraße wieder freigelassen werden müssen und hätten nicht in der Ettstraße eingesperrt werden dürfen. "Die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse."

Es war November 2002, die Zeit der Wehrmachtsausstellung, die Zeit der Proteste von Neonazis gegen die Ausstellung und Zeit der Proteste der Linken gegen die Rechten. Kurz vor einem Aufmarsch von Neonazis luden die Grünen, die Gewerkschaft Verdi, die SPD-Landtagsabgeordnete Adelheid Rupp zu einer Pressekonferenz. Und die hatte Folgen.

In diese Pressekonferenz entsandte die Pressestelle der Polizei eine Mitarbeiterin. Diese rapportierte dem Staatsschutz und dort dem Kommissariat für Linksextremismus, was Siegfried Benker, Fraktionschef der Grünen im Rathaus, gesagt hatte und was in der Presseerklärung stand, nämlich: "Selbstverständlich fordern wir alle Münchner (...) auf, sich den Neonazis friedlich in den Weg zu stellen."

Daraufhin bat die Polizei die Staatsanwaltschaft, beim Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss zu bewirken für die Fraktionsräume der Grünen im Rathaus. Man hoffte, dort das Original der Presseerklärung zu finden. Die Staatsanwaltschaft aber erfüllte diese Bitte nicht.

"Ehrenvolle Intention"

Dennoch kam es zum Prozess gegen Benker. Die Staatsanwaltschaft verlangte im Strafbefehl 60 Tagessätze. Auch das Gericht meinte, dass Benker sich schuldig gemacht habe, weil er zur Blockade der Nazi-Demo aufgerufen habe. Der Richter wertete die Intention Benkers aber als "ehrenvoll", und reduzierte die Strafe auf fünf Tagessätze - und das noch "unter Vorbehalt".

Strafrechtliche Folgen hatte dieser Neonazi-Aufmarsch vom November 2002 auch für den heute 82-jährigen Martin Löwenberg. Er wurde im September 2003 vom Amtsgericht München zu 20 Tagessätzen verurteilt, weil auch er dazu aufgerufen hatte, sich den Neonazis in den Weg zu stellen.

Nun ist Löwenberg kein x-beliebiger Neonazi-Gegner, er ist Opfer der NS-Diktatur.

Immer wieder Pannen

In Breslau als Sohn eines jüdischen Vaters geboren, erlebte er, wie 15 Angehörige deportiert wurden. Er selbst wurde zur Zwangsarbeit nach Lothringen verschleppt, musste dort tote jüdische Zwangsarbeiter aus den Stollen herausholen. Von den 9500 Breslauer Juden überlebten lediglich 38 den Holocaust.

Den Aufmarsch der Neonazis hatte Martin Wiese angemeldet, jener Wiese, der inzwischen als "Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung", die 2003 den Bombenanschlag auf das jüdische Zentrum geplant hatte, in Haft sitzt. Zum Protest gegen den Neonazi-Aufmarsch, der sich gegen die Wehrmachtsausstellung richtete, hatte auch OB Christian Ude aufgerufen:

"Die Totengräber der Demokratie"

"Sich in den Weg stellen ist eine gute Sache." Löwenberg sagte vor Gericht: "Es ist legitim, ja, es ist legal, sich den Totengräbern der Demokratie entgegenzustellen." Das aber sei verboten, so das Gericht. Löwenberg war vor seiner Rede darauf hingewiesen worden - von einem "Staatsschutzführer" der Polizei.

Deren Einsatzprotokoll ist voller peinlicher Fehler: Da wird aus dem NS-Propagandachef Goebbels ein Herr "Göppel", und die Abschrift der Rede eines anderen Nazi-Opfers wird eingeleitet mit diesem Satz: "Es folgt die Rede eines in die Kluft eines Insassen Kfz-Häftlings bekleideter Mann."

Die Staatsanwaltschaft hatte 40 Tagessätze gefordert und war mit dem Urteil über 20 Tagessätze nicht zufrieden. Also legte sie Berufung ein, um sie wenig später zurückzunehmen - auf Kosten der Staatskasse. Löwenbergs Berufung lehnte das Landgericht ab: Das Amtsgericht habe "den Sachverhalt mit großer Sorgfalt aufgeklärt".

Im März 2004 marschierten wieder Neonazis durch die Stadt, und wieder gerieten die Nazi-Gegner ins Visier der Justiz. Auf einer Gegenkundgebung riefen Siegfried Benker und Klaus Schreer, einer der linken Wortführer, die eigenen Demonstranten dazu auf, zum NPD-Aufmarsch zu gehen. "Ich bin mir sicher", so Benker bei seiner Kundgebung, "dass viele Menschen hingehen werden, um deutlich zu machen, dass sie mit diesen Inhalten nichts gemeinsam haben".

Die Linken verteilten "Rote Karten", und die sollten die Münchner den Neonazis zeigen. Das werteten Polizei und Justiz als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, weil sie ihre eigene Kundgebung zu einer anderen, nicht angemeldeten umfunktioniert hätten.

2005, nach einem Jahr Ermittlungsarbeit, ergingen Strafbefehle gegen Benker und Schreer. Bis zur Hauptverhandlung verging nochmals ein Jahr, und nun sprach das Amtsgericht, das 2005 die Strafbefehle verschickt hatte, die Angeklagten frei.

"Nur die Aufforderung, gegen Ziele einer anderen angemeldeten Demonstration zu protestieren, ist noch keine Versammlung", urteilte der Richter. "Die Staatsanwaltschaft trägt die Kosten des Verfahrens". Diese aber wollte sich mit der Schlappe nicht abfinden und ging in Berufung, Ende Februar wird wieder verhandelt. Ermittelt wurde in Sachen "Rote Karte" auch wieder gegen Martin Löwenberg. Nach einem Jahr stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein - wegen "geringer Schuld".

"Deutliches Zuchtmittel erforderlich"

Wieder demonstrierten Neo-Nazis - wieder protestierten Linke gegen die Rechten, Oktober 2004, diesmal in Augsburg. Mit dabei Michael G., ein damals 20-Jähriger aus Dachau, der sich dabei ein Halstuch vors Gesicht zog und eine Kapuze über den Kopf. Er habe verhindern wollen, dass die Neonazis ihn fotografieren, sein Bild mit Name und Adresse anschließend ins Internet stellen und dazu auffordern, bei diesem Linken "doch einmal vorbeizuschauen".

Vor der Polizei habe er sich nicht verstecken wollen, so sein Argument, sonst hätte er ja auch nicht ein äußerst auffälliges T-Shirt getragen. Polizei und Justiz werteten dies aber als Vermummung, um die Identität zu verschleiern. Das Landgericht München bestätigte in zweiter Instanz die Verurteilung: eine Woche Dauerarrest, auch aufgrund seiner Vorstrafen. "Zur erzieherischen Wirkung" sei "ein deutliches Zuchtmittel" erforderlich, so die Richter.

Michael G. stand auch bei einem Justiz-Hickhack in München im Mittelpunkt. 2004 boykottierten zahlreiche Flüchtlinge in einer Münchner Asyl-Unterkunft ihre Essenspakete, unterstützt von linken Aktivisten. Diese trafen sich im Juni zu einem Demonstrationszug vor der Baracken-Unterkunft.

Immer wieder Pannen

Wenig später flatterte sechs der Demonstranten ein Strafbefehl ins Haus - wegen Hausfriedensbruchs. Sie hatten sich zum Demo-Start auf dem Gelände der offenstehenden Unterkunft versammelt, hätten sich aber ein paar Meter weiter auf der Straße treffen müssen.

Anwesende Polizisten hatten dies akzeptiert. Nicht aber die Regierung von Oberbayern, Hausherrin der Unterkunft und Adressat des Protests. Sie stellte Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs, unter anderem gegen G., die Staatsanwaltschaft klagt ihn an.

Das Amtsgericht regte die Einstellung an, doch die Ermittler lehnten ab, es kam zur Hauptverhandlung, und da wurde G. freigesprochen. Sogar der Staatsanwalt hatte dies beantragt. Der sah nämlich keine Schuld und bekannte freimütig, dass er keine Aktenkenntnis habe.

Dieses Urteil aber wollte die politische Abteilung der Münchner Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren. Abteilungs-Chef August Stern legte Berufung gegen den von der eigenen Behörde beantragten Freispruch ein. In der Hauptverhandlung, so Sterns Begründung, wolle er aber nicht die Verurteilung beantragen, sondern die Einstellung des Verfahrens - aus Gleichheitsgründen.

Andere Demonstranten waren auch weder freigesprochen noch verurteilt worden. Ihr Verfahren wurde wegen geringer Schuld eingestellt. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zu.

Rumsfeld wollte gar nicht beleidigt sein

Wieder ging es gegen Michael G., diesmal in Sachen Sicherheitskonferenz. 2006 skandierten die Demonstranten "Rumsfeld Massenmörder", als der damalige US-Verteidigungsminister im Bayerischen Hof mit anderen Politikern tagte. G. rief die Parole, auf einem Lastwagen stehend. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daraufhin wegen Beleidigung eines ausländischen Regierungsmitglieds, doch Rumsfeld wollte gar nicht beleidigt sein.

Dieses Verfahren wurde eingestellt. Nicht aber das Bußgeldverfahren des städtischen Kreisverwaltungsreferats. Das verschickte einen Bußgeldbescheid über 275 Euro, weil die Parole nichts mit dem Thema der Demonstration zu tun habe. Es kam zur Verhandlung, und dort kanzelte der Amtsrichter das KVR ab. Der Fall sei "unter jeder Relevanzgrenze". Das Verfahren wurde eingestellt, die Kosten trägt der Staat.

Seit Jahren finden jeden Montag "Montagsdemos" statt, so war das auch am 14. November 2005. Während nur noch ein Häufchen Unentwegter gegen Hartz IV-Gesetze auf die Straße geht, brachte eine dieser Mini-Versammlungen den Ermittlungs-Apparat in Schwung. Zwei Streifenbeamte bemerkten, dass die Versammlungsleiterin eine Lautsprecheranlage benutzte, und das bei nur rund 35 Teilnehmern.

Genehmigt war sie aber erst bei mindestens 50 Teilnehmern. Also schritten die Polizisten ein, stellten die Anlage ab - und übergaben an den Staatsschutz. Dort ermittelte man wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und reichte an die Staatsanwaltschaft weiter. Oberstaatsanwalt August Stern schrieb an die Demo-Organisatorin, man würde von einer öffentlichen Klage absehen, wenn sie 150 Euro zahle.

Die Frau zahlte nicht, das Amtsgericht erließ Strafbefehl. Nun sollte die Frau zu 20 Tagessätzen und einer Strafe von 800 Euro verurteilt werden. Auch das akzeptierte sie nicht, sodass ein Jahr nach der inkriminierten Demo ein neuer Beschluss erging, vom selben Amtsrichter: "Das Verfahren wird eingestellt." Grund: "Ihre Schuld erscheint gering." Das urteilte derselbe Richter, der neun Monate zuvor die Frau zu 800 Euro Strafe verurteilen wollte. Nun heißt es: "Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatsanwaltschaft."

Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen verurteilte im vergangenen Januar den 28-jährigen Münchner David G. wegen "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen". Gemeint ist der Hitler-Gruß. G. war am Bahnhof Mittenwald von der Polizei kontrolliert worden. Das war im Mai 2006, zu der Zeit, als sich die Kameradschaft Gebirgstruppe Mittenwald zu einer Feier traf.

David G. hatte in seinem Rucksack 250 Handzettel dabei, die für eine Buchvorstellung in München warben. Auf die Zettel war das Cover dieses Buches kopiert, und auf diesem ist ein Foto abgedruckt. Das zeigt keine Nazis, sondern Islamisten, die ihren Arm heben. Das Buch trägt den Titel: "Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus." Weil G. diese Zettel habe verteilen wollen, habe er sich strafbar gemacht:

Via Strafbefehl sollte G. zu 60 Tagessätzen á 40 Euro verurteilt werden, in der Hauptverhandlung wurde der Tagessatz auf zehn Euro reduziert. Das Buch wurde vom österreichischen Wissenschaftsministerium gefördert, es ist frei erhältlich.

In der Wohnung der Mutter

Im August 2005 nahm die Polizei in einem Münchner Vorort nachts einen 20-jährigen Mann fest. Die Beamten verdächtigten ihn, am Eingang des Wohnblocks, in dem der bundesweit bekannte Rechtsextremist Norman Bordin wohnt, die Worte "NPD" und "Fuck" auf den Boden gesprüht zu haben. In den Augen der Ermittler war der 20-Jährige es auch, der ein paar Tage zuvor gleich daneben an die Hauswand in großen Lettern "Achtung NPD-Mann Bordin" geschmiert hat. Einiges deutete auf den 20-Jährigen als Täter hin.

Er wurde in der Ettstraße eingesperrt, seine Oberbekleidung wegen möglicher Farbspuren wurde beschlagnahmt. Noch in der Nacht machten Beamte in der Wohnung seiner Mutter, wo er lebt, eine "Nachschau". Am Mittag danach folgte eine offizielle Durchsuchung, dabei wurden Computer, Handy, Telefonverzeichnisse und Schriften beschlagnahmt.

Der Erkennungsdienst sicherte am Tatort Spuren, die das Landeskriminalamt auswertete. Vom Verdächtigen wurde eine DNA-Probe genommen, zudem wurden an seinem Fahrrad DNA-Spuren gesichert.

Strafanzeige erstattete weder der Hauseigentümer noch die Gemeinde Ottobrunn, die die Schmiererei beseitigen mussten. Oberstaatsanwalt August Stern stellte die Ermittlungen ein, Begründung: kein öffentliches Interesse. Daraufhin beschwerte sich Bordins Anwalt, doch Stern lehnte eine Wiederaufnahme erneut ab: kein öffentliches Interesse. Wenig später wurde doch Anklage erhoben - von Stern.

Nun bejahte er "das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung". Offenbar hatte eine Beschwerde von Bordins Anwalt an höherer Stelle gefruchtet. Der Bordin-Anwalt argumentierte, das Outen einer politisch missliebigen Person verletze diese in ihren Persönlichkeitsrechten. Der Anwalt des Rechtsextremisten verwies auf die Nationalsozialisten, die so etwas mit dem Davidsstern getan hätten.

In der Anklage des Oberstaatsanwalts Stern heißt es, dass der NPD-Mann durch die Worte "Achtung NPD-Mann Bordin" "in der Öffentlichkeit in einer ehrverletzenden Weise" herabgesetzt worden sei. Das Amtsgericht folgte ihm nicht. Es stellte Anfang Februar das Verfahren "wegen geringer Schuld" und ohne Geldauflage ein. Die Kosten trägt der Staat.

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