Sicherheit in Münchens Hallen:Die Statik und der Schnee

Architekten bemängeln die kostengünstige Bauweise vieler Hallen, die zu Lasten der Sicherheit gehe. In der Allianz-Arena sorgt ein ausgeklügeltes System für die Stabilität des Dachs.

Birgit Lutz-Temsch und Angela Köckritz

Was in Bad Reichenhall geschehen ist, könnte auch in München passieren, sagt der Münchner Architekt Peter Lapschies. Zahlreiche öffentliche Gebäude seien nicht für starken Schneefall gerüstet. "Jeder Architekt will wie ein Hund seine Duftnote hinterlassen und versucht, die tollsten Sachen zu machen. Da geht es um den äußeren Schein. Die Schneelast wird da oft nicht berücksichtigt." Für besonders gefährlich hält Lapschies das Membran-Dach der Allianz Arena. Die Membrane lägen quer zur Ablaufrichtung des Wassers. Bilde sich zwischen ihnen eine Eiskruste, könne das Wasser nicht ablaufen. "Das ist wie bei einem Staudamm. Im schlechtesten Fall stehen die Membrane an der Westseite der Arena drei Monate lang unter Wasser." Eine eingebaute Heizung soll dies nach dem Willen der Planer verhindern. "Aber was passiert, wenn die Heizung ausfällt", fragt Lapschies.

Die Antwort ist einfach: Der Schnee wird per Hand entfernt. Im Winter 2005, als die Arena noch nicht eröffnet war, mussten Arbeiter aufs Dach und bei starkem Wind die Waben freischaufeln, weil die Heizung noch nicht funktionierte. Mittlerweile sei das anders, sagt Stadionsprecher Werner Götz: Auch heftige Schneefälle seien kein Problem. Dafür sorge ein ausgeklügeltes System: Die rund 2800 für die Arena charakteristischen und mit Luft gefüllten Waben aus Ethylen-Tetrafluorethylen sind im Normalfall mit einem Druck von 0,035 bar aufgepumpt. Fällt Schnee darauf, wird dieser Druck automatisch erhöht, damit die Luftkissen nicht zusammengepresst werden. Dadurch rutscht der Schnee von selbst in die vorgesehenen Regen- und Schneerinnen - und eben die sind beheizt. Das Schmelzwasser fließt einfach über die Regenrinnen ab. "In diesem Dach ist so viel Sensorik verbaut, dass es auf keinen Fall unbemerkt bleiben würde, wenn die Schneelast irgendwo zu hoch werden oder eine Wabe eindrücken würde", sagt Götz.

Es müsse also nach starken Schneefällen niemand mit der Schaufel aufs Dach steigen und räumen. Dass am vergangenen Freitag nach den heftigen Schneefällen der vergangenen Woche trotzdem mehrere Arbeiter auf dem Stadiondach gesichtet wurden, sei kein Zeichen für Probleme: "Es muss öfters mal jemand rauf und Vereisungen der Rinne entfernen oder auch den Reparatursteg freimachen", so Götz.

Beschaffenheit ist ausschlaggebend

Dass Schneelasten im Alpenvorland wirklich problematisch für Dächer werden, komme nicht gerade häufig vor, sagt Gerhard Hofmann, Leiter der bayerischen Klimaabteilung des Deutschen Wetterdienstes in München. "Größere Neuschneemengen sind im Vergleich zu Alpentälern in München relativ selten", so Hofmann. Auch bleibe nicht oft richtig viel Schnee liegen, die Rekordmarke liege bei 50 Zentimeter, das sei aber schon lange her. "38 Zentimeter wie im vergangenen Februar sind schon sehr viel", so Hofmann.

Auch dann sei aber nicht die Schneehöhe entscheidend, sondern die Beschaffenheit: So könne ein Zentimeter frisch gefallener Pulverschnee bei Temperaturen um die drei Grad Minus gerade mal ein Kilo pro Quadratmeter wiegen. "Kompliziert wird es aber, wenn der Schnee bei Plusgraden fällt, wie am Montag, oder wenn es hinterher regnet", so Hofmann. Der Schnee würde dann die gleiche Wandlung erfahren wie auf einem Gletscher: Durch Regen, Antauen und erneutes Frieren verdichte sich der Schnee und werde immer schwerer, wiege schnell das Dreifache. Im Extremfall könne dann ein Gewicht von bis zu neun Kilo pro Quadratmeter entstehen.

Satteldach - teuer aber sicherer?

Gefahr drohe auch bei Flachdächern mit leicht angezogener Kuppel, sagt Architekt Lapschies - bei glasüberdachten Schwimmbädern zum Beispiel. Wunder Punkt sei die Schnittstelle zwischen Dach und Glas, an der sich Schnee sammeln könnte, der auf das Tragwerk drückt. "Nicht umsonst haben die alten Bauernhäuser im Voralpenland ein Satteldach." Heute ginge man immer öfter an die Grenzen der Statik. Dies sei umso riskanter, als die Wartung der Gebäude oft mangelhaft sei. "Ist das Haus erstmal gebaut, gibt es keine gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollen mehr.

Doch Thorsten Vogel, Pressesprecher der Lokalbaukommission München, geht davon aus, dass Gebäude in München sicher sind. Bevor Sportanlagen und andere Sonderbauten genehmigt würden, müssten die Konstruktionspläne von zwei verschiedenen Statikern untersucht werden. "Grundsätzlich prüfen sie das auf dem Papier, in einigen ausgesuchten Fällen auch vor Ort." Die Ausführung der Pläne obliege dem Bauherr, die Wartung der Gebäude dem Eigentümer.

Ist das Gebäude einmal abgenommen, wird die Statik nicht mehr von der Bauaufsicht kontrolliert. "Das ist anders als beim Brandschutz", sagt Vogel. "Für die Statik ist nur der Eigentümer verantwortlich." Die Bauaufsicht kann laut Artikel 60 der Bauordnung erst dann einschreiten und eine weitere Nutzung des Gebäudes untersagen, wenn "eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht." Vorausgesetzt, sie wird über die Mängel informiert.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: