Show:Tohuwabohu

Cirque du Soleil Totem

Der Anfang der Geschichte: Amphibienwesen schwingen sich aus dem Skelett eines Schildkrötenpanzers.

(Foto: Live Nation/Cirque du Soleil)

Der Cirque du Soleil macht in "Totem" Evolution und Mythen zum Thema

Von MIchael Zirnstein

Die Welt bräuchte mehr Menschen wie Mishka, den Clown. Der Melancholiker mit Jacques-Tati-Schlapphut und Buster-Keaton-Augen findet bei seinem aus dem Ruder laufenden Angelbootsausflug eine Hemdchentragetasche. Er formt daraus eine Taube, animiert sie zuckenden Fingers und lässt sie ein Ei legen. Aus Plastikmüll Leben schaffen - ach wenn's so einfach wäre.

Aber vielleicht ist die Menschheit doch noch zu retten. Die Revue "Totem" zumindest entlässt die Premierengäste mit genau diesem guten Gefühl aus dem großen weißen Zelt auf die Theresienwiese. Freilich wird bis zum Finale getreu der 36-jährigen Tradition des Cirque du Soleil so einiges gehoben, aber kaum ein Zeigefinger. Nur einmal, da muss Valentino - das ist der andere Clown, ein italienischer Spargel-Elvis - sich dafür verantworten, einen Plastikbecher beim Flirten auf den Strand geschmissen zu haben. Der Fährtensucher, ein rotgewandeter Strenger mit Suchscheinwerfer im Zylinder, verwandelt sich in einen Stierkämpfer und fordert den Umweltsünder zum Duell. Daraus wird binnen Sekunden ein Fest der Kulturen mit einer Horde Affen, einem darwinesken Forscher, amerikanischen Ureinwohnern, einer Flamenco-Frau, Mama Afrika und gut aufgelegten Musikern. Das mag der eine kitschig-naiv, der andere einfach schön finden, der Dritte kennt genau diesen völkerverbindenden Mix von Tollwood.

"Totem" ist ein Tohuwabohu. Es verbandelt diverse Schöpfungsmythen, Evolution, den Umgang der Menschen mit der Natur und untereinander sowie Forschrittsglauben. Kaum zu entwirren wie ein Traumfänger, besser man zupft erst gar nicht gedanklich daran, lässt die archaischen Bilder, die Eine-Welt-Musik, die fast 800 sehr eng geschnittenen Kostüme und vor allem die unerreicht kreative Artistik ihre Zauberkraft entfalten: Von einem Glitzergott aus der Luft mit Lebenslicht befruchtet, schwingen sich Amphibienwesen unter einem riesigen Schildkrötenpanzer-Skelett am Doppelreck auf. Fruchtbarkeit wird auch bei der Balz der Muskelmänner an den Ringen und beim Turteln der Liebesvögel am Trapez beschworen. Primaten, Neandertaler und ein Anzugträger stellen das berühmte Serienbild von der Menschwerdung nach, wobei es richtig interessant wird, als der Businessmann des Handys und der Kleidung beraubt als nackter Affe seine Urkräfte als Stangentänzer am Chinese Pole entfesselt. Prototyp-Indianer tanzen schamanisch mit Mini-Hula-Hoop-Reifen Tierfiguren, was man im Zirkus bisher ebenso wenig bestaunen konnte wie die Paradenummer des Darwin-Darstellers: Der Greis lässt auf der Suche nach einem Jugendelixier im übermannshohen Glastrichter Leuchtbälle um sich kreisen - die kleinste Disco der Welt.

Die Clowns holen stets alle Fantasterei in die Gegenwart zurück. Einmal tun sie so, als führen sie Wasserski. Das Motorboot ist die Spitze des beeindruckendsten Bühnenelements, eines stählernen Skorpionstachels. Der bäumt sich auf, das Boot hebt ab über alle Berge. Und zu Projektionen des Erdballs, deren Bilder Cirque-du-Soleil-König Guy Laliberté selbst als Weltraumtourist von der Raumstation ISS gemacht hat, düst das Narrenschiff ins All davon. Mishka, komm zurück, die Welt braucht dich.

Cirque du Soleil, "Totem", bis 15. März, Theresienwiese

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