Straßenkunst:Street-Art für den Stau

Straßenkunst: Gute 114 Meter lang ist das Street-Art-Werk, das Shepard Fairey mit Helfern entlang des Mittleren Rings in Sendling auf eine Mauer gemalt hat. Seine Kunst ist politisch, es geht um den Klimawandel, er will die Autofahrer, die im Stau stehen, wach rütteln.

Gute 114 Meter lang ist das Street-Art-Werk, das Shepard Fairey mit Helfern entlang des Mittleren Rings in Sendling auf eine Mauer gemalt hat. Seine Kunst ist politisch, es geht um den Klimawandel, er will die Autofahrer, die im Stau stehen, wach rütteln.

(Foto: Robert Haas)

Sebastian Pohl von "Positive Propaganda" holt Shepard Fairey nach München. Der US-Künstler, der einst Obamas Wahlkampfporträt schuf, gestaltet auf 500 Quadratmetern ein buntes Protest-Wandbild.

Von Sabine Buchwald, München

Die Natur braucht den Regen dringend, der sich am Donnerstagabend über München ergießt. Shepard Fairey ist das klar. Eines seiner Motive zeigt ein Paar vor einem flammendroten Horizont. Dieser Sonnenuntergang ist nicht romantisch, er wirkt bedrohlich. Die Wälder brennen, auch in Europa und in Deutschland. In Kalifornien, wo der Street-Art-Künstler mit seiner Familie wohnt, kennt man Brandkatastrophen seit langem. Shepard Fairey, 52, beschäftigt auch schon seit Jahren die Verschmutzung durch Industrie und Autoabgase. Er prangert die Machenschaften der Schwerölindustrie an. Auch wenn der Schauer eine gute Sache für die Natur ist - der Künstler, der vor der Mauer an der Heckenstallerstraße steht, schaut todernst in die Kamera. Er sieht schmal aus, müde. Höflich lässt er sich vor seinem Wandgemälde fotografieren, mit und ohne gelbe Warnweste.

Es ist kurz nach 21 Uhr. Die Straße ist hier dreispurig. Ein Fahrstreifen ist auf der Höhe der Arbeiten in der Mitte zur Sicherheit der Künstler mit Pylonen blockiert, der schmale Fahrradweg entlang der Mauer abgesperrt. Man schreit sich an. Eine Unterhaltung in normaler Lautstärke ist auch zu dieser Tagszeit kaum möglich. Tausende Autos rollen hier in Richtung Kiesselbach-Tunnel und Autobahnen. Jeden Tag. Morgens und abends fließt der Verkehr oft nur zähflüssig. Gar nicht selten kommt es zu kleineren Auffahrunfällen, dann reißt der Strom für eine Weile ab.

Straßenkunst: Sebastian Pohl (links) hat Shepard Fairey aus den USA für ein neues Street-Art-Projekt nach München geholt. Sie sind seit Langem befreundet.

Sebastian Pohl (links) hat Shepard Fairey aus den USA für ein neues Street-Art-Projekt nach München geholt. Sie sind seit Langem befreundet.

(Foto: Robert Haas)

Neben Fairey steht Sebastian Pohl. Er wird später an Stelle des Künstlers und über die Zusammenarbeit mit ihm erzählen und auf die Frage antworten, warum ausgerechnet in diesem Münchner Verkehrswahnsinn ein so gigantisches, spektakuläres Wandbild entsteht: "Wo sonst, wenn nicht hier? Viele Leute verbringen doch an dieser Stelle Zeit im Stau. Unsere Intention ist, Kunstwerke zu realisieren, die die Leute zum Nachdenken anregen." Pohl ist der künstlerische Leiter des Kunstvereins "Positive Propaganda".

Fairey will so schnell wie möglich weiterarbeiten an diesem Abend. Für drei Uhr nachts sei ein neuer Guss angesagt, sagt er. Die Stützmauer rechts vor der Passauerstraße in Sendling soll noch in dieser Nacht fertig sein, er will zurück in die USA. So weit der Plan. Die Mauer ist mehr als 114 Meter lang und hat knapp 500 Quadratmeter Fläche. Sie verjüngt sich an den Enden. Bei Street-Art ist die Geschwindigkeit oft eine Überlebensstrategie für die Künstler. Aber Fairey ist kein anonymer Sprayer und auch nicht heimlich hier. Er versteckt sich nicht, wie etwa der englische Street-Art-Star Banksy. Anonymität ist nicht der Grund für die Eile. Was Fairey tut, ist vom Kultur- und Baureferat genehmigt und wird finanziell unterstützt. Aber der Amerikaner hat sich und seinem Team nur eine Woche Zeit für die Umsetzung gegeben. Er ist sehr gefragt, die nächste Ausstellung wird in Kürze in Dallas beginnen.

Straßenkunst: Mitarbeiter von Shepard Fairey schneiden mit einem Skalpell vorsichtig die Konturen an der Schablone nach. Sie stehen dafür auf einer Hebebühne.

Mitarbeiter von Shepard Fairey schneiden mit einem Skalpell vorsichtig die Konturen an der Schablone nach. Sie stehen dafür auf einer Hebebühne.

(Foto: Robert Haas)

Der Regen könnte Probleme bringen für die Künstler. Er droht, die Schablonen aus Papier aufzuweichen, die auf der Mauer kleben. Auf zwei Hebebühnen stehen Mitarbeiter von Fairey und schneiden mit Skalpellen entlang der aufgedruckten Linien die Formen aus. Die Leerstellen werden mit Farbe besprüht, die Schablone dann in Stücken abgezogen. Ab und zu flattern weiße Papierschnipsel zu Boden. Drei Jahre habe er dieses Mural geplant, sagt Fairey. Florale Muster, die an portugiesische Kacheln erinnern, farblich abgestimmte Streifen wechseln sich ab mit szenischen Bildern. Die Sequenzen in der Signalfarbe Rot, in Weiß, Schwarz und Blautönen wirken wie Panels eines Comics, die nachhaltig Sinn ergeben, wenn man komplett daran vorbeigezogen ist: das überlebensgroße Paar vor dem gespenstisch roten "Sunset", eine Tankstelle und ein Tankwart mit Helm und Zapfhahn.

Am westlichen Ende der Mauer stehen drei Buchstaben: GAS. Im amerikanischen Englisch kurz für Gasoline, deutsch: Benzin. Was die Öl- und Gasindustrie tut, beschäftigt Fairey seit 30 Jahren. Die Folgen des Kriegs in der Ukraine waren bei der Vorbereitung des Kunstwerks noch nicht virulent. Über Gas wird in Deutschland aktuell so viel gesprochen wie noch nie zuvor. Es tut fast physisch weh, die drei Lettern auf der Wand zu sehen. Er habe am Computer die verschiedenen Motive entwickelt und dann die Vorlage mit verschiedenen Grauschattierungen ausdrucken lassen, erklärt Fairey. Sie ist gigantisch groß. Er hat Klebeband und Spraydose in der Hand, während er erzählt. Er sucht an der bemalten Wand nach Unregelmäßigkeiten, klebt Kanten ab und sprüht auf die unperfekten Stellen.

Pohl ist es egal, woher jemand kommt. Wichtig ist, dass derjenige etwas zu sagen hat

Sie haben bislang immer nachts gearbeitet, weil es ruhiger ist. Und auch der Hitze der vergangenen Tage sind sie mit der Nachtarbeit entkommen. An den Vormittagen überziehen Maler die fertigen Teile der Mauer mit einem Schutzlack. Gegen UV-Strahlung und Schmierereien. "Das ist leider nötig", sagt Fairey und ergänzt, dass er es nicht wirklich verstehen könne, warum seine Arbeiten immer wieder mal beschädigt werden. Er unterstütze seit so vielen Jahren andere Künstler. Kaum merklich schüttelt er den Kopf, als wolle er sagen: "Ein bisschen Respekt, Leute. Das ist doch nicht zu viel verlangt."

Dann ruft er Sebastian Pohl zu, dass die Mitarbeiter neue Klingen bräuchten und ihm noch eine Lampe fehle. "Ich bin hier das Mädchen für alles", sagt Pohl, lacht und saust los, um die Sachen zu holen.

Kurz darauf setzt man sich mit ihm oberhalb des Mittleren Rings auf einen Bordstein und stellt ihm Fragen. Seit Sommer 2015 gibt es an der Landshuter Allee in Neuhausen eine von Fairey gestaltete Wandfassade, an der "Paint it black" steht. Auch hier eine plakative Kritik an den Ölkonzernen. Bekannt ist Fairey auch in Deutschland spätestens seit der Hope-Kampagne im US-Wahlkampf 2008, für die er das legendäre Porträt von Barack Obama entworfen hatte. Wie ist es gelungen, den Künstler erneut für ein Projekt nach München zu holen?

Straßenkunst: Die neu gestaltete Stützmauer bei Tageslicht.

Die neu gestaltete Stützmauer bei Tageslicht.

(Foto: Robert Haas)

"Wir sind seit sehr langer Zeit Freunde, die ähnliche Visionen teilen", sagt Pohl. 2017 seien sie durch die Straßen von Berlin geschlendert und er habe ihm in scherzhaftem Ton mitgeteilt, dass er als nächsten Meilenstein des Kunstvereins die erste Shepard-Fairey-Ausstellung in Deutschland plane. Fairey habe gelacht und gefragt: "Ok, wann machen wir die?" Der Ausstellungstitel in dem geplanten neuen Museum in der Schellingstraße werde "New Clear Power" sein, sagt Pohl. "Und das ist das Mural zu der Ausstellung." Es sei früher vorgesehen gewesen, wegen der Pandemie aber erst jetzt zustandegekommen.

Warum eine Ausstellung ausgerechnet mit ihm? Pohls spontane Antwort auf diese Frage ist ein empörter Blick. Dann holt er Luft und sagt: "Wer denn sonst?" Sein Job als künstlerischer Leiter von "Positive Propaganda" sei es zu schauen, welche Künstler gesellschaftliche Relevanz haben und wen die Öffentlichkeit verdiene zu sehen. Wenn man solch einen authentischen Kontakt zu Akteuren wie Fairey habe, dann sei es doch nur konsequent, etwas mit ihm umzusetzen - neben all den anderen Künstlern, mit denen der Kunstverein sonst noch arbeitete.

Auf Kritik, doch lieber mit Münchner Künstlern die knappen Flächen in der Stadt zu bespielen, reagiert Pohl empfindlich. Sein Vater, der aus Tunesien stammt, habe zeitlebens hören müssen, er nehme anderen den Arbeitsplatz weg. "Das ist dasselbe Mindset", sagt Pohl. "Die Leute sind missgünstig. Für mich ist es egal, woher jemand kommt und welches Geschlecht er hat, wenn der- oder diejenige etwas Gesellschaftsrelevantes zu sagen hat." Um freie Flächen im öffentlichen Raum müsse man sich bemühen, er tue das schließlich auch seit 1998 vor allem für die lokale Szene. Vor drei Wochen erst hat Pohl die "Hall of Fame" an der Mauer der Großmarkthallen für die Münchner Sprayerszene eröffnet. Was Shepard Fairey mache, sei nicht Graffiti, sondern Street-Art, seine Arbeiten Murals. Leidenschaftlich betont Pohl diesen Unterschied.

Der Kunstverein kann mit der Unterstützung des Kulturreferats rechnen

Mehr als zwei Dutzend solcher Murals hat der Kunstverein "Positive Propaganda" in München initiiert. Das Kulturreferat unterstützt diese Arbeiten, etwa indem es "Positive Propaganda" eine finanzielle Basis gibt. Mit einer institutionellen Förderung jährlich könne der Kunstverein fest rechnen, sagt eine Referatssprecherin. In Projekte fließe dann noch extra Geld, beispielsweise für Reise- und Materialkosten, die stetig steigen.

Die Street-Art-Map von 2021, die einem Pohl an der Heckenstallerstraße in die Hand drückt, ist mittlerweile nicht mehr vollständig. Schräg gegenüber des neuen Shepard-Fairey-Werks ist ein weniger farbstarkes Mural des immer bekannter werdenden Spaniers ESCIF zu finden: braune Baumstümpfe und die Mahnung "We the Forest". Pohl sagt: "Unsere Intention ist, Werke zu realisieren, die man sich in Zukunft vielleicht nicht mehr leisten kann. Ein Großteil der Kunstaktivisten, mit denen wir arbeiten, sind bereits heute schon Geschichte."

Dann geht man mit Pohl zurück zu den Künstlern. Er will schauen, was er für sie tun kann. Es wird eine weitere lange Nacht. Einem DHL-Kurier habe er mal vor der Tür des Kunstvereins erklärt, als der erstaunt von dem Mural am Königsplatz sprach: "Für Menschen wie dich machen wir das."

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