Shakespeare im Münchner Residenztheater:Liebeszombies statt Sommernachtstraum

Liebe und Begehren als Albtraum: Regisseur Michael Thalheimer inszeniert "Ein Sommernachtstraum" von Shakespeare im Residenztheater als wüstes Rammelspiel. Doch nackte Männer und aggressiv agierende Schauspieler sind offenbar zu viel für das Münchner Premierenpublikum.

Beate Wild

Splitternackte Männer, die auf der Bühne masturbieren. War ja fast vorherzusehen, dass eine solche Inszenierung von "Ein Sommernachtstraum" in München für Empörung sorgt. Die Version der Liebeskomödie von William Shakespeare, die der gefeierte Regisseur Michael Thalheimer derzeit im Residenztheater auf die Bühne bringt, sorgte bei der Premiere beim Münchner Publikum für Missstimmung. Dabei ist das Stück eine ehrliche Metapher dafür, dass blinde Liebe und krankhaftes Begehren aus Liebenden Gefühlszombies machen kann.

Sommernachtstraum

Der gefeierte Regisseur Michael Thalheimer zeigt Shakespeares Sommernachtstraum im Residenztheater.

(Foto: Christian Zach / oh)

Beziehungsdramen, Eifersucht, Intrigen. Themen, wie sie auch in jeder Vorabendserie vorkommen. Der Plot von "Ein Sommernachtstraum" kann nicht mehr überraschen, den kennt man in- und auswendig. Doch das Stück zeigt, dass die Liebeswirrungen um Demetrius, Hermina, Lysander und Helena auch 400 Jahre nach ihrer Niederschrift durch einen Mann, der sich Shakespeare nannte, aktuell ist wie eh und je.

Demetrius (Norman Hacker) soll Hermina (Andrea Wenzl) heiraten. Doch die junge Frau ist nicht sonderlich erbaut von diesen Avancen, denn sie liebt einen anderen - Lysander (Michele Cuciuffo). Ihr Vater Egeus (Götz Argus) hält aber Demetrius für den besseren Schwiegersohn und ist sauer auf seine Tochter. Um der Verkuppelung zu entkommen, fliehen Hermina und Lysander aus Athen. Doch Demetrius will nicht so schnell aufgeben und folgt den beiden, um sie aufzuspüren. Den Tipp hat er von Helena (Britta Hammelstein) bekommen, einer Freundin Herminas, die wiederum Demetrius liebt.

Als Puck (großartig gespielt von Oliver Nägele) ins Spiel kommt und ein Liebeszaubermittel, den Nektar einer Blume, der die Gefühle zusätzlich verwirrt, verteilt, beginnen alle durchzudrehen: Wenn der Saft einem Schlafenden in die Augen getropft wird, verliebt er sich in denjenigen, den er nach dem Aufwachen zuerst sieht. Nun nimmt das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel seinen Lauf. Am Ende finden sich zwei Pärchen, doch es ist kein Happy End. Die Liebenden sind verwirrt, vor blinder Begierde in den Wahnsinn getrieben. Ferngesteuerte Roboter, Sklaven ihrer Triebe, Schatten ihrer selbst.

Wer im Theaterbetrieb heute ernst genommen werden will, kann Shakespeares Sommernachtstraum nicht mehr als romantisches Amüsierstück inszenieren. Die Abgründe von Liebe und Trieben, die inzwischen immer häufiger im Vordergrund stehen, bricht Thalheimer konsequent, fast brachial herunter.

Viele Buh-Rufe, dünner Applaus

Der große Simplifizierer des deutschen Theaters macht aus Shakespeares Figuren wilde, unkontrollierte und total übersexte Kreaturen - aus dem Verwirrspiel um die Suche nach dem richtigen Partner wird ein einziges Zerr-, Rammel- und Beißschauspiel. Zombies im Liebeswahn. Bedauernswerte Kreaturen. Die ferngesteuert wirkenden Gesten konterkarieren oft den Text Shakespeares, den die Darsteller mal dahinmurmeln, mal herausschreien und in wenigen Momenten wirklich in den Mittelpunkt stellen. Die Adaption des Stücks ist derart frei, dass nur noch einige Monologe an den Ursprungstext erinnern.

Der Sommernachtstraum ist auch für moderne Inszenierungen ein dankbares Stück: Die zweite Handlung, in der eine Gruppe Handwerker Ovids Theaterstück Pyramus und Thisbe zur Aufführung bringen möchte, bietet reichlich Raum für Slapstick. So auch bei Thalheimer: Die Schauspieler fluten die Bühne mit Theaterklamauk der besten Sorte und spülen damit zwischenzeitlich die ganze Düsternis der Haupthandlung davon.

Es sind die einzigen Szenen, die dem Münchner Publikum zu gefallen scheinen. Hier lachen sie aus vollem Halse. Den Rest der Inszenierung schmähen dagegen viele Zuschauer - vor allem die älteren - mit Worten wie "albern", "totaler Schrott" und "die totale Zeitverschwendung".

Als ein Darsteller - noch im ersten Akt - seine Hose herunterlässt, verlassen zahlreiche Theatergäste den Saal. Nach der Pause bleiben viele Plätze unbesetzt. Am Ende gibt es nur dünnen Applaus, dafür deutlich vernehmbare Buh-Rufe. Bleibt die Frage, ob Thalheimers Inszenierung für das Münchner Publikum zu modern, zu zeitgemäß ist.

Der Regisseur teilt am Ende des Stücks über eine Figur seine Botschaft dem Publikum mit: "Wir sind nicht hier, um Euch zu gefallen." Und: "Ihr sollt verstehen, was Ihr verstehen wollt." Es ist ein schlauer Schachzug, den Original-Schlussmonolog, in dem um Applaus gebeten wird, restlos zu streichen. So applaudiert das Publikum alleine der Inszenierung des Nebenplots.

Insgesamt kann Thalheimers Sommernachtstraum nicht überzeugen. Eine neue Perspektive verschafft er dem Shakespeare-Stück nicht, vielmehr folgt er gängigen Manierismen. Da nerven die baumelnden Penisse weniger als die aggressive Überzeichnung, welche die Schauspieler ihren Figuren angedeihen lassen - ohne ihnen wirklich Kontur und Persönlichkeit zu geben.

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