Sexueller Missbrauch bei Kindern:"Geh' nie mit einem Fremden"

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Nach den jüngsten Vorfällen sexuellen Missbrauchs in München sind viele Eltern beunruhigt. Diplom-Psychologin Astrid Siegmann erklärt, wie man reagieren soll.

Bernd Kastner

Was vergangenen November im Münchner Ackermannbogen geschah, beunruhigt viele Eltern: Ein Mann lockt zwei Geschwister, fünf und sieben Jahre alt, in eine Hausecke und misshandelt sie. Astrid Siegmann, Diplom-Psychologin bei der Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen, Imma, erklärt, wie Eltern bei Kindern Symptome von Misshandlungen erkennen und wie sie reagieren sollten.

Astrid Siegmann, Diplom-Psychologin bei der Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen, Imma. (Foto: Foto: oh)

SZ: Sind Mädchen oder Buben gefährdeter, Opfer von sexueller Misshandlung zu werden?

Siegmann: Es werden wesentlich mehr Jungen missbraucht, als man früher angenommen hat. Man geht davon aus, dass etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen Opfer wird, bei den Jungen ist es jeder achte bis zehnte. Mädchen werden öfter von Personen aus ihrem nahen Umfeld missbraucht, häufig von Familienangehörigen. Bei Buben ist der Anteil von Fremdtätern größer.

SZ: Wie können Eltern erkennen, dass etwas vorgefallen ist?

Siegmann: Wenn ein Fremder einem Kind etwas angetan hat, dann erzählen es die Kinder häufig sofort zu Hause. So war es ja auch bei dem Fall am Ackermannbogen. Alle Kinder stehen aber unter einem Schweigegebot: Der Täter, egal ob Fremder oder Bekannter, versucht, sie mit massiven Drohungen zum Schweigen zu bringen. Er werde etwa der Schwester oder der Mutter etwas ganz Schreckliches antun. Je näher der Täter zur Familie steht, desto stärker wirkt so eine Drohung.

SZ: Wenn die Kinder nichts erzählen: Wie erkennt man eine Misshandlung?

Siegmann: Die Reaktion der Kinder hängt von ihrem Alter ab. Kleine fangen oft wieder an, ins Bett zu nässen, werden ängstlich, trauen sich nicht mehr allein nach draußen, wollen im Bett der Eltern schlafen. Oder sie spielen mit Puppen sexualisierte Szenen nach.

SZ: Und ältere Kinder?

Siegmann: Auch bei ihnen kann es zu Bettnässen kommen. Sie ziehen sich aus dem Freundeskreis zurück oder beginnen, Alkohol und Drogen zu konsumieren. Für alle Altersgruppen gilt: Ändert sich plötzlich das Verhalten der Kinder, ist das ein Alarmzeichen.

SZ: Und was dann?

Siegmann: Das Kind ernst nehmen, mit ihm sprechen, sagen, dass man sich Sorgen macht und ihm gerne helfen will. Eltern sollten sich zuerst auf die W-Fragen beschränken: Was ist wann wo passiert, wer hat was getan?

SZ: Und wenn eine Mutter den Verdacht hat, dass der Vater der Täter ist?

Siegmann: Dann sollte sie darüber auf keinen Fall mit dem mutmaßlichen Täter sprechen. Der würde dann nur den Druck auf das Opfer massiv erhöhen. Die Mutter sollte auf jeden Fall Hilfe von außen in Anspruch nehmen.

SZ: Wo bekommt man die?

Siegmann: Wir bei "Imma" helfen Mädchen, Eltern von Jungen sollten sich an "Kibs" wenden.

SZ: Welche Chancen hat ein Kind, das Erlittene zu verarbeiten?

Siegmann: Das hängt von vielen Faktoren ab: Je länger der Missbrauch dauert, je jünger das Kind ist, je näher ihm der Täter steht, desto schwieriger gestaltet sich die Verarbeitung. Generell gilt: Je früher die Hilfe kommt, desto besser fürs Kind. Etwa 30 Prozent der Kinder, die in einem guten sozialen Umfeld leben, zeigen nach der ersten Belastungsphase keine weiteren Symptome.

SZ: Was empfehlen Sie, um Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen?

Siegmann: Wir raten, mit den Kindern über mögliche Gefahrensituationen zu sprechen und ihnen Mut zu machen, sich bei vertrauten Erwachsenen Hilfe zu holen. Dass sie mit einem Fremden nie mitgehen sollen, auch wenn er etwas verspricht, auch wenn er droht. Dass sie nein sagen dürfen, auch wenn sie das als unhöflich empfinden.

Imma, Tel. 089/2607531, www.imma.de; Kibs, Tel. 089/2317169120, www.kibs.de.

© SZ vom 23.10.2008/wib - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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