Süddeutsche Zeitung

Sexuelle Übergriffe auf dem Oktoberfest:Helfer stoßen an ihre Grenzen

Die Zahl der sexuellen Übergriffe auf der Wiesn steigt. Gleich am ersten Oktoberfest- Wochenende ist eine Frau hinter einem Zelt vergewaltigt worden - und das ist nicht der einzige Zwischenfall. Die Frauennothilfe ist oft überfüllt.

Christiane Lutz

Eine einzige Vergewaltigung ist eine zu viel. So lautet die Zwischenbilanz der "Aktion sichere Wiesn für Frauen und Mädchen" nach der Halbzeit des Oktoberfests. Eine Vergewaltigung wurde bisher bei der Polizei angezeigt. Gleich am ersten Wochenende war eine Frau hinter einem Zelt vergewaltigt worden und fand Zuflucht beim Security-Point "Aktion sichere Wiesn für Mädchen und Frauen", die Betroffene betreuen.

Überhaupt ist die Anzahl der sexuellen Übergriffe im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, bis zum Sonntag waren bei der Polizei bereits sechs Anzeigen erstattet worden, die Dunkelziffer der Übergriffe dürfte weit höher liegen. Im vergangenen Jahr gab es auf dem Festgelände laut Polizei keine Vergewaltigung.

Allein in der ersten Wiesnwoche halfen die Teams von Amyna, Imma und des Frauennotrufs München 91 Frauen, eine Steigerung von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und auch wenn oft nur eine Strumpfhose und ein warmer Tee verabreicht werden mussten: "Wir stoßen an unsere Grenzen, räumlich und kräftemäßig", sagte Sprecherin Christine Rudolf-Jilg am Montag.

Der kleine Raum im Security-Point hinter dem Schottenhamel-Zelt war am Wochenende teilweise so überfüllt, dass keine Frauen mehr aufgenommen werden konnten. "Die meisten beanspruchen außerdem das komplette Hilfspaket", so Rudolf-Jilg. Das heißt, es fehlt oft nicht nur das Handy, sondern auch an Freunden, Adressen, an Orientierung sowieso. Auch die Anzahl der Frauen, die auf der Wiesn eine Retraumatisierung erleiden, hat zugenommen. Das heißt, dass sie sich durch ungewollten Körperkontakt an einen vergangenen sexuellen Übergriff erinnern und psychologisch betreut werden müssen.

Meist sind es Touristinnen, die dem Hilfsteam in die Arme laufen oder vom BRK und von der Security gebracht werden. Frauen, die das Bier unter- und die eigene Standhaftigkeit überschätzen. "Die sitzen dann mit hochgerutschtem Dirndl auf der Wiese und schlafen. Klar, dass das manche Männer als Einladung sehen", sagt Rudolf-Jilg.

Einladung? Da stimmt doch was nicht, dachten sich am Wochenende Anna-Katharina Meßmer und Lotte Steenbrink. Warum ist es noch immer Aufgabe der Frau, Regeln zu beachten und sich auf bestimmte Weise zu verhalten, um nicht belästigt zu werden? Kurzerhand starteten die Informatikerin und die Soziologin eine Kampagne, die sich gezielt an Männer richtet: "I frog di", heißt es auf ihrer tumblr-Seite, sie verstehen das als Erweiterung zur Kampagne "Pfotn weg, i mog net" der "Aktion sichere Wiesn". "Ich gehe, seit ich denken kann auf die Wiesn, und wurde immer begrapscht", sagt Anna-Katharina Meßmer, "ich habe gelernt, mich zu wehren. Aber wer bringt den Männern bei, sich richtig zu benehmen?"

Frauen, so Meßmer, fühlten sich nach einer Vergewaltigung oft schuldig, weil vielleicht das Dirndl zu kurz war oder das "Nein" zu leise. Auf der tumblr-Seite der beiden Feministinnen können Plakate mit den Slogans wie "I glang die net o" oder "i mog di. Derf i?" heruntergeladen werden. Ein Anfang, immerhin. Auch Christine Rudolf-Jilg ist die Idee nicht neu, "allerdings fehlen uns Männer, die gezielt ihre Geschlechtsgenossen ansprechen könnten". Meßmer und Steenbrink wollen "i frog di" beim nächsten Karneval groß aufziehen. Deutschlandweit gibt es nämlich noch keine Kampagne, die sich direkt an jene richtet, die am besten verhindern können, dass es zu sexuellen Übergriffen kommt: die Männer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1484407
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.10.2012/dayk
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.