In seinen Erinnerungen an den Revolutionär Felix Fechenbach, die im November 1968 posthum in der Süddeutschen Zeitung erschienen, berichtete der Schriftsteller Oskar Maria Graf über die Atmosphäre im Münchner Wirtshaus "Goldener Anker" während des Ersten Weltkriegs. "In dieser kleinen Gastwirtschaft begann buchstäblich die bayrische Revolution. Was saß denn da neben dem grauhaarigen, bebrillten, immer belebten, immer geistreichen Kurt Eisner?
Vier oder fünf ganz Getreue, rundherum etliche oppositionelle SPD-Proleten, USPDler, Intellektuelle und vor allem kriegsmüde Proletarierinnen, Frauen mit ausgelaugten Gesichtern, zerarbeiteten Händen und entschlossenen Augen. Sie waren eigentlich die Nüchternsten, die Mutigsten. Sie arbeiteten in den Granatfabriken, waren Straßenbahnschaffnerinnen, schufteten sonst wo und erzählten von ihren Nöten, von den Schwierigkeiten der Agitation unter ihren Kolleginnen, und sie machten Vorschläge. (. . .) Sie waren die ersten, die in München, in jenem grauenvollen Kriegswinter, die ersten Hungerdemonstrationen wagten."
Tatsächlich waren es vor allem Frauen, die sich schon in den ersten Kriegsjahren für den Frieden engagierten, mutige Pazifistinnen wie die Lehrerin Marie Zehetmaier, die wegen ihres politischen Engagements aus dem Schuldienst entlassen und in die "Irrenanstalt" Eglfing-Haar eingewiesen worden war. Weil die Männer im Krieg waren, übernahmen häufig Frauen ihre Arbeitsplätze, nicht zuletzt auch in der Rüstungsindustrie. Die Erfahrungen, die sie dort sammelten, Erfahrungen der Solidarität und des Zusammenwirkens, ermutigten sie, sich politisch zu engagieren.
Die Sorge um ihre Männer und Söhne an der Front sowie die zunehmende Lebensmittelknappheit machten viele Frauen allmählich immun gegen die Kriegspropaganda und den Hurrapatriotismus im Kaiserreich. Bereits im Sommer 1916 versammelten sich Frauen auf dem Marienplatz zu ersten Hungerprotesten. Gut ein Jahr später, am 14. August 1917, schrieb der Stadtchronist: "Am Nachmittag sammeln sich trotz der wiederholten polizeilichen Warnungen und ernsten Abmahnungen in der Presse neuerdings Frauen auf dem Marienplatz. Da sie von dort weggewiesen werden, ziehen sie zum Regierungsgebäude, von dem sie durch ein größeres Schutzmannaufgebot in kurzer Zeit ohne besondere Vorkommnisse zerstreut werden." Besonders verdächtig waren der Obrigkeit die Feministinnen Anita Augspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann, die sich mit außerordentlichem Engagement für den Frieden einsetzten.
Anita Augspurg, die das Fotoatelier Elvira mit seiner berühmten Jugendstilfassade in der Von-der-Tann-Straße führte, und Heymann waren auch bedeutende Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht. In ihrem Buch "Sozial bis radikal" schreibt Adelheid Schmidt-Thomé über eine Demonstration, die die beiden Feministinnen während des Frauenstimmrechtskongresses 1912 in München veranstalteten: "Sie organisierten einen Korso mit 20 Kutschen, in den Farben der Suffragetten (weiß, purpur, grün) geschmückt, und fuhren durch die Stadt bis zum Englischen Garten. Die Frauen hatten daran viel Freude, die Stadt nahm das Ganze wohlwollend zur Kenntnis, aber die große Wirkung blieb aus."
Es dauerte noch sechs Jahre, bis Frauen wählen und gewählt werden durften, und dazu war eine veritable Revolution nötig. Gewiss, die Köpfe der Revolution vom November 1918 waren zumeist Männer, nicht zu unterschätzen ist jedoch die Rolle, die die 1882 als Tochter jüdischer Eltern in Warschau geborene Sonja Lerch im Vorfeld des Umsturzes spielte. Die hochgebildete kosmopolitische Frau hatte mit Kurt Eisner und anderen Revolutionären den Streik der Arbeiter der Münchner Rüstungsbetriebe im Januar 1918 organisiert, sie trat als Rednerin gegen die Kriegspolitik und für die Interessen des Proletariats auf. Nach dem Zusammenbruch des Ausstands wurde sie wegen Landesverrats verhaftet, am 29. März fand man sie erhängt in der Isolierzelle des Gefängnisses Stadelheim auf. Ob sie tatsächlich Selbstmord begangen hatte, wie es offiziell hieß, haben die Behörde nie ernsthaft untersucht.
Im Vorwort ihres Buchs "Brotmarken und rote Fahnen", in dem es um die Frauen in der bayerischen Revolution geht, richtet Christiane Sterndorf-Hauck den Blick auf ein berühmtes Foto, das die Friedensdemonstration am 7. November 1918 auf der Theresienwiese zeigt, die der Auftakt zur Revolution war: "Auf dem Foto sind ungewöhnlich viele Frauen zu sehen, jedenfalls gemessen an der Zeit und dem Anlass: einer politischen Demonstration, die wenig später mit dem Sturz einer ganzen Gesellschaftsordnung enden sollte, der bayerischen Monarchie."
Dem gleich nach der Revolution gegründeten Provisorischen Nationalrat, einer Art Übergangsparlament, gehörten acht Frauen an, unter ihnen Anita Augspurg, Aloisia Eberle für die christliche Gewerkschaft, Hedwig Kämpfer für den Landesarbeiterrat und Luise Kiesselbach als Vertreterin des Rats geistiger Arbeiter. Die Präsenz von ein paar weiblichen Abgeordneten im Nationalrat darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die revolutionären Gremien männlich dominiert waren. Die Sozialdemokratin Toni Pfülf, später Abgeordnete im Reichstag, beklagte sich im Dezember 1918 beim Arbeiter- und Soldatenrat: "Auch heute sehe ich nur fünf Frauen im ganzen Arbeiterrat. Das kann so nicht gehen. Wenn Sie eine Frau nicht als totes Gegengewicht gegen die Revolutionierung haben wollen, so müssen Sie die Frau politisieren."
Bei der Landtagswahl am 12. Januar 1919, bei der erstmals Frauen wählen dürfen, erlitt Eisners Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) eine desaströse Niederlage. Die USPD gewann gerade mal drei Sitze, die acht Frauen, die den Sprung ins Parlament schafften, kandidierten für andere Parteien. Ellen Ammann, Aloisia Eberle, Marie von Gebsattel und Therese Schmitt saßen für die katholisch geprägte Bayerische Volkspartei (BVP) im Landtag, Emilie Maurer und Aurelie Deffner für die SPD sowie Käthe Günther und Rosa Kempf für die liberale Deutsche Demokratische Partei DDP.
Rosa Kempf, eine Landarzttochter aus Niederbayern, war Lehrerin und setzte sich insbesondere in puncto Familie und Arbeitswelt für die Rechte der Frauen ein. Auch sie hatte nach der Ausrufung des Freistaats dem Provisorischen Nationalrat angehört. Und dort war Kempf die erste Frau, die vor einem bayerischen Parlament eine Rede hielt. Dabei kritisierte sie, dass auch nach der Revolution die Frauen zu wenig in die politische Arbeit eingebunden seien. Sie vermisse Bäuerinnen im Gremium, ebenso Arbeiterinnen.
"Wir sogenannten bürgerlichen Frauen sind noch am stärksten vertreten. (. . .) Wir hatten auch einen Frauenrat gebildet, aber dieser Frauenrat erhielt hier keine Vertretung, ebensowenig wie der sozialdemokratische Frauenrat nicht zugezogen worden ist." Auch als Landtagsabgeordnete machte sie sich für Fraueninteressen stark, doch genug Zeit, ihre Forderungen durchzusetzen, hatte sie nicht. Bei der vorgezogenen Landtagswahl im Juni 1920 scheiterte ihre Kandidatur. In der NS-Zeit wurde Rosa Kempf, die bis dahin als Dozent für Nationalökonomie arbeitete, kaltgestellt. Sie starb 1948 in einem Pflegeheim bei Darmstadt.
Ellen Ammann, 1870 in Stockholm geboren, war eine Pionierin der katholischen Frauenbewegung. Sie studierte in ihrer Heimatstadt Heilgymnastik, wobei sie den Münchner Mediziner Ottmar Ammann kennenlernte und heiratete. In München engagierte sie sich unter anderem im "Marianischen Mädchenschutzverein" und in der Bahnhofsmission, die sich um Mädchen vom Land kümmerte, welche zur Arbeitssuche in die Stadt kamen. Im Gegensatz zu Pazifistinnen wie Lida Heymann, Anita Augspurg oder die Münchner Zoologin Margarethe Selenka war Ellen Ammann durchaus kriegsbegeistert.
Und obwohl sie dem Frauenstimmrecht ehedem eher skeptisch gegenübergestanden hatte, kandierte sie im Januar 1919 für den Landtag und wurde gewählt. Dreizehn Jahre lang saß sie dort auf den Fraktionsbänken der BVP, in ihren Reden setzte sie sich besonders für die Jugendfürsorge, Wohlfahrtspflege sowie ein verbessertes Gesundheitswesen ein - das alles auf konservativer Basis. Am 22. November 1932 brach sie nach einer Rede im Landtag zusammen und starb noch in derselben Nacht.
Weitaus radikaler war die Münchner Bäckerstochter Hedwig Kämpfer, die eine führende Rolle in der USPD spielte und zwischenzeitlich aus Bayern ausgewiesen wurde. Kämpfer gehörte zu den Gründerinnen des "Bundes Sozialistischer Frauen", der sich Ende 1918 in München konstituierte. Im Revolutionstribunal, das während der ersten Rätepublik am 10. April 1919 eingerichtet wurde, war Hedwig Kämpfer die einzige Richterin unter 27 Männern. Ihrem Vorsatz, keine Todesurteile zu fällen, blieb sie treu; bei Gerichtsverhandlungen, schrieb Lida Heymann, habe sie "mit ernster Entschiedenheit, der nie warme Menschlichkeit fehlte", agiert.
Nach der blutigen Niederschlagung der Revolution wurde Hedwig Kämpfer verhaftet, doch bereits im Juni 1919 war sie offenbar wieder frei und kandidierte auf der Liste der USPD für den Stadtrat. Kämpfer errang ein Mandat, übrigens ebenso wie die Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin Luise Kiesselbach, die für die DDP kandidiert hatte, von 1913 bis 1929 Vorsitzende der Vereins für Fraueninteressen war und in der Wohlfahrtsarbeit große Verdienste erwarb. Nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, floh Hedwig Kämpfer mit ihrem Mann nach Paris. Dort starb sie am 6. Januar 1947 an einer Kohlenmonoxidvergiftung, offenbar verursacht von einem defekten Küchenherd.
Während des Zweiten Weltkriegs war Kämpfer in ein Internierungslager nahe der spanischen Grenze deportiert worden. Dort wurde sie krank, und als sie ein deutscher Beamter fragte, was er mit ihr anfangen solle, sagte sie laut dem Bericht einer Zeugin: "Liegen lassen sollen S' mich! Und wenn ich schon verrecken soll, dann lieber hinter französischem als hinter deutschem Stacheldraht (. . .) Wir sind Frankreich zu Danke verpflichtet, dass es so viele Flüchtlinge aufgenommen hat, wie kein anderes Land in Europa."
Damals und heute - in der nächsten Folge diskutieren Sabine Csampai, von 1990 bis 1996 Bürgermeisterin in München, und die stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen Jamila Schäfer über Frauen in der Politik.