Süddeutsche Zeitung

Serie: Frauen machen Politik:Strobls Tipp an jüngere Frauen: "Gockelt mehr"

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Das rät die Münchner Bürgermeisterin, obwohl sie das Wichtigtuerische nicht mag. Christine Strobl hat zwar eine mächtige Position - sie kennt aber auch den Alltag mit politischen Selbstdarstellern.

Von Dominik Hutter

Der Fotograf ist wegen Paul Breitner da. Scheckübergabe - der sozial engagierte Ex-Fußballer nimmt eine Spende für die Münchner Tafel entgegen. Als wenig später Christine Strobl auf das Gelände der Großmarkthalle kommt, sind die Bilder längst im Kasten, die Kamera weggepackt. Die Bürgermeisterin bleibt unfotografiert, schüttelt zur Begrüßung Hände und stellt sich schließlich hinter eine Theke mit Gemüsekisten, um an arme Münchner Brokkoli und Feldsalat zu verteilen. Einfach so. Einen Terminhinweis für die Medien gab es nicht. Wie so oft. Strobl agiert gerne im Hintergrund, das Marktschreierische ist nicht ihr Stil. Vielleicht noch etwas Kohl, die Dame? Die SPD-Politikerin bekommt eine Schürze mit der Aufschrift "Münchner Tafel" umgebunden.

Der Inkognito-Auftritt ist typisch für Strobl. Kein großes Herumgetue, keine Wichtigmacherei. Gut möglich, dass viele ihrer Politik-Kollegen eine Ankündigung für die Presse veröffentlicht hätten: "Freitag, 13.30 Uhr, Großmarkthalle: Essensverteilung an Bedürftige, Termin ist auch für Fotografen geeignet". Strobl kommt lieber ohne Tross. Die einzige Frau in der Bürgermeisterriege glänzt durch Zurückhaltung und ist sich nicht einmal sicher, ob das gut so ist. Männer gockeln in der Politik gerne herum, sagt sie. Drängen sich in den Vordergrund und diskutieren mit ebenso großem wie zeitraubendem Selbstdarstellungsdrang.

Das nervt, findet Strobl, und es schreckt Frauen ab, sich in der Politik zu engagieren. "Frauen hätten das eventuell in der halben Zeit ausdiskutiert." Weil sie sich nicht ständig selbst produzieren wollen. Nur: Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, den Beobachtungen, dass sich leider viel weniger bewegt hat als ursprünglich erhofft, empfiehlt sie jüngeren Frauen mit Politikinteresse: "Gockelt mehr!" Weil die Stillen oft untergehen in der sich lautstark artikulierenden Menge. Der Tipp ist eher theoretischer Natur. Strobl selbst würde nie gockeln.

Die 57-jährige SPD-Politikerin ist es gewohnt, inmitten von männlichen Alphatieren zu agieren. In der Hochphase des Dualismus zwischen den Bürgermeisterrivalen Dieter Reiter und Josef Schmid drohte sie schon fast, durchs Raster der Aufmerksamkeit zu fallen. Obwohl sie als Dritte Bürgermeisterin eigentlich eine mächtige und öffentlichkeitswirksame Position in der Münchner Kommunalpolitik einnimmt. Nur: Gegen den direkt gewählten Oberbürgermeister tut sich jeder schwer - "Ober sticht Unter", sagt Strobl.

Ihr Bürgermeisterkollege Schmid hat es trotzdem versucht, wollte als Kopf der personell ebenbürtigen CSU-Fraktion auf Augenhöhe mit Reiter agieren. Das war spannend für Medien und Öffentlichkeit. Strobl, die schon aus Parteiräson keinerlei Ambitionen in diese Richtung hatte, bescherte es eher ein Schattendasein. Zu wenig gegockelt.

Man kann nicht ausschließen, dass ein Mann anders agiert hätte. Denn natürlich ist es immer noch ein großer Unterschied, ob man als Mann oder als Frau in die Politik geht - davon ist Strobl überzeugt. Aktuelles Beispiel: die beiden OB-Kandidatinnen für 2020. Wenn Medien über Kristina Frank und Katrin Habenschaden berichteten, fehle selten die Bezeichnung "jung". Ob derlei auch über zwei Männer um die 40 gesagt würde, die einen Amtsinhaber herausfordern? Bei Politikerinnen spielten Äußerlichkeiten nach wie vor eine große Rolle, bedauert die Bürgermeisterin. Jung und frisch ist gefragt, und anders als bei Männern geht es auch immer wieder um den Kleidungsstil, um die Frisur. "Wenn ich daran denke, wie viel über Angela Merkels Frisur gelästert wurde." Die Bundeskanzlerin habe sich aber nicht aus dem Konzept bringen lassen. "Und irgendwann hat keiner mehr etwas gesagt."

Zweierlei Maß. Das gilt natürlich nicht immer, aber ein grobes Muster ist zumeist eben doch erkennbar. Wenn Männer auf etwas beharren, so hat Strobl beobachtet, gelten sie gemeinhin als durchsetzungsstark. Als zielstrebig. Bei Frauen laute das Urteil in gleicher Sache: Zicke. Und während Frauen gerne gefragt werden, wie sie denn Beruf und Familie unter einen Hut bringen, gelte dies bei Männern als zu vernachlässigendes Problem, das zumeist gar nicht angesprochen wird. Umso mehr wird es gewürdigt, wenn Männer mal in Elternzeit gehen - und sei es nur für ganz kurz.

Prinzipiell findet es die gebürtige Münchnerin jedoch schwierig, typische Männer- oder Fraueneigenschaften in der Politik zu definieren. Es ist oft der Blick von außen, das Urteil anderer, das den Unterschied ausmacht. Für die Attraktivität von Politik spielt das aber eine wichtige Rolle. Oft seien es Kleinigkeiten, die Frauen von politischem Engagement abhalten - die zumeist am Abend und oft auch am Wochenende stattfindenden Treffen etwa. Das ist vor allem für Mütter schwierig mit der Familie zu vereinbaren. Und so wünschenswert es auch sei, wenn sich beide Partner gleichermaßen um den Nachwuchs kümmern: "Das Thema Reproduduktionsarbeit liegt immer noch bei den Frauen", so Strobl. "Da können sie noch so gut ausgebildet sein."

Strobl, die in ihrer langen Politikerinnenlaufbahn auch schon Vorsitzende der städtischen Gleichstellungskommission und der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen war, hat selbst erlebt, wie kompliziert es ist, mit kleinen Kindern Politik zu machen. "Ich war die erste Stadträtin, die im Amt Kinder gekriegt hat", berichtet sie. Die mussten oft mit ins Rathaus, der Kinderwagen stand dann während der Sitzungen im Büro von Strobls Bürgermeister-Vorgängerin Gertraud Burkert. Oder die Oma musste einspringen. Immerhin: Da habe sich inzwischen doch etwas getan, sagt Strobl mit Blick auf die vielen Frauen, die in den vergangenen Jahren Rathaus und Kinder unter einen Hut gekriegt haben:

SPD-Kollegin Verena Dietl etwa oder auch die CSU-Stadträtinnen Kristina Frank, Dorothea Wiepcke und Sabine Bär. Allein in den Reihen der CSU gab es neun Babys in vier Jahren - und inzwischen haben Mütter mit Mandat auch die Möglichkeit, sich von der Teilnahme an den Stadtratssitzungen befreien zu lassen. Dennoch: "Man wird die Bedingungen ändern müssen, um den Anteil von Frauen in der Politik zu erhöhen." Maßgeschneiderte Angebote sozusagen. Vielleicht aber müssen sich die Nicht-Männer dieser Welt einfach auch untereinander solidarischer zeigen. Männliche Netzwerke, das erkennt Strobl an, funktionieren ganz hervorragend und helfen bei der Karriere.

Im Rathaus deckt Strobl ein Themenspektrum ab, das gemeinhin als typisch weiblich gilt: Schulen, Soziales, Kinderbetreuung - sie hat aber auch den Vorsitz im Kreisverwaltungsausschuss inne. Strobl denkt, dass Frauen schon aus ihrer persönlichen Erfahrung heraus Interesse haben, sich in diesen Themenfeldern zu engagieren. Die erkennbaren Defizite bei der Kinderbetreuung seien "bei vielen Frauen Anlass für den Marsch in die Politik".

Am Gemüsestand der Großmarkthalle ist es kalt, ziemlich kalt sogar. Und auch wenn keine Fotografen gekommen sind: Einige der Tafel-Besucher haben vorher gewusst, dass die Bürgermeisterin kommt. Selbstgestricktes und ein Schoko-Nikolaus sind die Dankesgaben für das soziale Engagement, Strobl freut sich sichtlich über die kleinen Aufmerksamkeiten. So macht Politik Spaß. Nur mitgekriegt hat es eben wieder fast keiner.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2018
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