Süddeutsche Zeitung

Dietls München:Roter Teppich statt Rossini

Was für eine Stadt würde Helmut Dietl sehen, wenn er das München von heute als Filmemacher betrachtete? Vermutlich eine, die ihm als Blaupause kaum noch taugen würde.

Von Philipp Crone

Es gibt einen Satz aus Helmut Dietls Serie "Kir Royal", der im Prinzip alles beschreibt und zusammenfasst - Dietl, München, Dietls München. In der letzten Folge hat Baby Schimmerlos das Klatschreporterleben satt und strebt nach Höherem, "Hochglanz, Doppelseite", solchen Dingen. Er sitzt dem von Fritz Muliar gespielten Verleger und Strippenzieher Gregori Wiener gegenüber, der dem realen Vorbild Josef von Ferenczy nachempfunden ist, einem halbseidenen Medienmanager mit Hang zu Schmuddelstories. Wiener erklärt, welche Geschichte er unbedingt lesen möchte und sagt den Satz: "Ein bissl Geld, ein bissl Sex, ein bissl Tragik, ein bissl Traum, Märchen, Monarchie, Hochfinanz, Industrie, ein bissl Perversität, das wär' eine Mischung."

Das war eine Mischung, aus der sich zu Dietls Zeiten, zu Beginn zumindest, die Münchner Gesellschaft und ihre Figuren zusammengesetzt haben. Die Geschichten dieser Figuren, dieser machthungrigen Medien- und Filmmenschen, der Möchtegerne und Habealles, die ihren eigenen Traum erleben wollten, oder zumindest ein paar dekadente Partys. Dietl hat das beobachtet, verdichtet, überzeichnet. Die Frage ist: Würde er seine Stadt München heute beobachten: Was und wen würde er da sehen?

Red Carpet und die Schickeria

Das Verhängnis der Schickeria, dieses exklusiven Zirkels an Verrückten und Vermögenden, aus deren Beobachtung "Kir Royal" entstand, ist der rote Teppich. Den gab es zur Schimmerlos-Zeit nicht, damals wurde noch mehr zurückgezogen als nach außen hin herrschaftlich gefeiert, mit Geheimhaltung als oberstem Gebot. Das Gegenteil also eines roten Teppichs, wie er heute bei jeder Kollektionspräsentation eines Schmuckladens in der Maximilianstraße ausgerollt wird. Red Carpet, die Gestalt gewordene Kommerzialisierung der Dietlschen Schickeria. Indem der Filmemacher sie so fulminant nachgestellt hat, wurde diese Parallelwelt auf einmal bekannt und auch für PR-Strategen interessant.

Seit 15 Jahren ist es nun üblich und Routine, die Eröffnung eines Geschäfts zum Beispiel mit dem Glanz der Münchner Prominenz zu würzen. Längst werden Schauspieler, Adelsabkömmlinge oder Alt-Unternehmer für ihre Dienste und ihr Erscheinen entlohnt, indem sie einige der angebotenen Produkte gratis bekommen. Sie müssen lediglich erscheinen und sie tragen.

Instagram statt Fotograf

Heute ist nicht mehr in, wer drin ist, sondern der, der von drinnen etwas nach draußen schickt. Auf Instagram, Facebook und dergleichen. Und da sich im Smartphone-Zeitalter jeder Münchner zu einem potenziellen Klatschfotografen Herbie entwickelt hat, gibt es auch keine Eskalationen mehr. Waren zum Beispiel früher die Deutschen Filmbälle noch ganz besonders alkoholdurchtränkt, so nützt es heute nicht mehr, dass die Fotografen um Mitternacht den Saal verlassen müssen. Wer möchte, macht eben dann mit seinem Handy ein Foto vom leicht derangiert rauchenden Moritz Bleibtreu an einem Ecktisch. Das bremst die Lust, sich richtig gehen zu lassen.

Stattdessen nutzt man eben die Medien nun selbst. Heinrich Haffenloher, dem Kleberfabrikanten aus "Kir Royal", wäre es heute völlig egal, ob ihn Herbie in die Zeitung bringt. Er hätte einfach ein Selfie mit Schimmerlos geschossen und Facebook zugeschissen mit seinen Posts.

Haffenloher. Die markanten Figuren aus Dietls Filmen, gibt es die in München noch? Gibt es. Allerdings nur noch sehr wenige, und auch die achten sehr darauf, sich keine medial verwertbaren Fehltritte zu erlauben. Der Wirt Hugo Bachmaier ist so einer, der gerne noch mit dem Champagnerkübel protzt und sich mit nur leicht bekleideten Models ablichten lässt. Und Münchens oberster Filmboss, Martin Moszkowicz, postet täglich auf Facebook. Der Chef der Constantin Film lässt die Welt zum Beispiel wissen, wie schnell und weit er im Englischen Garten oder in LA gejoggt ist.

Moszkowicz sagt: "Man weiß ja heute gar nicht mehr so genau, ob der Helmut das Lebensgefühl von damals nun eingefangen hat oder ob er es erst geschaffen hat. Und das gelingt Künstlern nur extrem selten, dass sie Einfluss haben auf das wahre Leben."

Wozu braucht es noch Klatschreporter?

Das Lebensgefühl heute: Setz dich in Szene, mit dem Smartphone, der kleinen PR-Maschine. Elyas M'Barek zum Beispiel, derzeit Deutschlands gefragtester Darsteller, ist darin so virtuos wie sonst nur wenige. Wozu braucht es noch Boulevard-Klatschreporter, wenn die Promi-Halbwelt ohnehin von sich aus twittert, wer mit wem zusammen oder nicht mehr zusammen ist.

"Die Stadt hat sich verändert", sagt Moszkowicz. "Zum Glück! Helmut hat ein Lebensgefühl beschrieben, das es heute nicht mehr gibt. Dafür gibt es ein anderes. Damals war München provinziell, heute ist es extrem international, eine High-Tech-Stadt mit einer sehr hohen Lebensqualität." Das kann man allerdings wohl nicht mehr so leicht in eine Serie gießen.

Markante Figuren, besondere Orte - auch da hat sich einiges verändert. Die plüschig-puffige Homo-Erotik-Atmosphäre in Kay's Bistro zum Beispiel, wo die internationale Musikszene in den Achtzigerjahren ihre Exzesse auslebte, gibt es nicht mehr. Kay Wörsching betreibt im Stachus-Zwischengeschoss einen Prosecco-Stand. Und die angesagten Lokale der Stadt, denen Schimmerlos in der ersten Folge einen Besuch abstattet? Das Schumann's, ja, aber das steht derart für sich und außer Konkurrenz, dass selbst Dietl es nie aufgriff und verarbeitete. Das P1 wird heute mehr belächelt als bewundert, ist mehr Touristenattraktion als In-Club. Stattdessen gibt es Promilokale, die sich selbst so nennen. Das H'ugo's beim Bayerischen Hof, wo schon Aufregung herrscht, wenn Ribéry seine Prachtkarre auf dem Gehweg parkt und drinnen eine Trüffelpizza bestellt. Tragik? Traum? Märchen? Ribéry hing einmal als Plakat in Königsornat am Odeonsplatz. Immerhin ein bisschen Monarchie. Sonst nur Geld.

Die neue Welt blieb Dietl fremd

In "Zettl", Dietls letztem Film über die Machtgeilen in Berlin, geht es noch einmal um die Medien. Online. Smartphones. Doch man merkt schnell, dass Dietl diese neue Welt fremd blieb. So fremd, dass auch die Figuren, die Stadt fremd bleiben. Man kann ein Lebensgefühl eben nur schaffen oder einfangen, wenn man es auch selbst er- und durchlebt.

Und der Stenz? Gibt es den im Jahr 2015 in München? Klar, weil Hunderte junger Männer mit dem Monaco-Franze-Konterfei auf dem T-Shirt durch die Stadt laufen. Aber den notorischen Fremdgänger, der sich am Friedensengel oder im Waschsalon auf die Pirsch macht? Der Friedensengel ist eine im Sommer von pseudo-individuellen Touristen belagerte Attraktion geworden und Waschsalons sind mittlerweile in Café-Konzepte integriert. Franz Münchinger müsste heute nicht mehr in der Stadt herumstreunern und im Tambosi in der Sonne die Damen ansäuseln, er hieße auf Muenchensingles wahrscheinlich Herrder7Meere und hätte alle Hände voll zu tun. Sex, Tragik, Traum, Perversität und Märchen, alles auf einen Klick.

So ist 2015. So ist München heute. "Ich bin kein Berufsnostalgiker", sagt Moszkowicz, "und habe nicht das Gefühl, dass es früher besser war. Ich glaube: Es war nicht die damalige Zeit, die Helmut in seinen Serien beschrieben hat, die so außergewöhnlich war. Es war einfach Helmut Dietl, der so außergewöhnlich war."

Trauerfeier

Bei einer Trauerzeremonie haben die Münchner an diesem Wochenende die Gelegenheit, von Regisseur Helmut Dietl Abschied zu nehmen, der am Montag vor einer Woche im Alter von 70 Jahren gestorben ist. Am Sonntag, 12. April, wird in der Aussegnungshalle des Münchner Nordfriedhofs von 10 Uhr an neben dem geschmückten Sarg des Filmemachers ein Kondolenzbuch ausliegen. Bereits einen Tag zuvor wird es eine Trauerfeier geben, zu der jedoch nur die Familie und enge Freunde eingeladen sind. Auf der Karte, die zu diesem Anlass verschickt wurde, steht ein Zitat aus Dietls Serie "Münchner Geschichten" geschrieben: "So ist des im Leben, zerst is schön und dann ist auf amoi alles vorbei." cro

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Quelle:
SZ vom 09.04.2015/lime
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